Sterbehilfe-Debatte Respekt im Bundestag ist möglich
13.11.2014, 13:41 UhrZwei Dinge zeigt die Sterbehilfe-Debatte im Bundestag: Abgeordnete sind in der Lage, nachdenklich und respektvoll zu diskutieren. Und mit dem nötigen moralischen Druck kann man die Bundesregierung unter Zugzwang setzen.
Ein Vater, der an Krebs gestorben ist. Ein anderer Vater, der schwer erkrankt war und schließlich aufhörte zu essen und zu trinken, um sterben zu können, wenn auch unter Qualen. Ein jüngerer Bruder, der einem Hirntumor erlegen ist. Mehrere Abgeordnete, die sich an der vierstündigen Sterbehilfe-Debatte im Bundestag beteiligen, berichten von Sterbefällen, die sie selbst erlebt oder begleitet haben. Als Zuhörer muss man mehrfach schlucken.
Die Grünen-Abgeordnete Lisa Paus berichtet, wie ein Mensch aus ihrem engsten Umfeld nach einer Lungenkrebs-Diagnose lange dafür kämpfen musste, Medikamente zu erhalten, mit denen er seinem Leben ein Ende setzen konnte. Ihr kommen die Tränen, während sie spricht. Am Ende hätten diese Tabletten "eine stark suizidpräventive Wirkung" entfaltet - sie wurden gar nicht genommen.
Paus gehört zu einer Gruppe um die Grünen-Politikerin Renate Künast und die Linke Petra Sitte, die eine liberale Sterbehilfe-Regelung fordert: kein Verbot von Sterbehilfe-Vereinen, keine Kriminalisierung der Suizidbeihilfe. Im Bundestag ist dies eine Minderheitenposition. Ganz anders draußen: Einer aktuellen Umfrage zufolge finden 77 Prozent der Deutschen, dass es Ärzten erlaubt sein sollte, schwerstkranken Patienten Sterbehilfe zu leisten. Genauso viele lehnen ein Verbot von Sterbehilfeorganisationen ab.
Diese öffentliche Meinung macht die ohnehin nicht leichte Diskussion für die Abgeordneten besonders schwierig: Egal, wie gut die Argumente der Sterbehilfe-Gegner sind - vor allem in ethischen Fragen ist es heikel, sich gegen eine große Mehrheit der Bevölkerung zu stellen.
Angst vor der offenen Tür
Der CDU-Abgeordnete Michael Brand tut es dennoch. Er ist der erste Redner an diesem Tag, er gibt den Ton vor, indem er von seinem Vater erzählt, der im Jahr seiner Geburt die Diagnose Krebs erhalten habe. "Krankheit und Tod waren bei uns zuhause immer mit am Tisch." Er will verhindern, "dass am Ende eine Tür geöffnet wird, die wir nicht mehr zubekommen, und durch die dann viele durchgeschoben werden, die da nicht durch wollen".
Paus und Brand stehen für völlig unterschiedliche Positionen, doch ihre beiden Auftritte sind gleichermaßen beeindruckend. Für fast alle Redner dieses Vormittags gilt: Sie sprechen nachdenklich, klug und zeigen Respekt vor den Kollegen, die eine andere Position haben.
So macht es auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der inhaltlich eine Position vertritt, die zwischen Paus und Brand liegt. Lauterbach gehört zu einer Gruppe von Abgeordneten, die es Ärzten ermöglichen will, einem Patienten ein Medikament zu geben, mit dem dieser sich das Leben nehmen kann. Bislang ist dies gar nicht strafbar. Allerdings verbieten zehn von siebzehn Landesärztekammern diese Form der Sterbehilfe. Ein Arzt, der gegen dieses Standesrecht verstößt, wird zwar nicht verklagt, riskiert aber den Verlust seiner Zulassung.
"Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie des Sterbens"
Lauterbach spricht sich eindringlich gegen "Serien-Sterbehelfer" aus: "Sie reisen an und helfen in einer Situation, wo der Tod oft noch vermeidbar wäre." Er sagt: "Wenn wir wirklich die organisierte Sterbehilfe verbieten wollen, dann müssen wir Rechtssicherheit für Ärzte herstellen."
Der CDU-Politiker Peter Hintze teilt Lauterbachs Position. "Schutz des Lebens?", fragt er ins Plenum. "Ein klares Ja. Aber bei einer zum Tode führenden Krankheit geht es ja gar nicht um das Ob des Sterbens, sondern um das Wie des Sterbens." Hintze fordert, ein Arzt müsse seinem Patienten beim Sterben helfen dürfen. "Das will auch die große Mehrheit der Bevölkerung. Und ich meine, der Deutsche Bundestag sollte dieser Mehrheit eine Stimme geben."
Noch liegen keine ausformulierten Gesetzentwürfe vor; entscheiden will der Bundestag erst im kommenden Jahr. Wie diese Entscheidung dann ausfällt, ist noch völlig offen - selbst in der Linksfraktion gibt es unterschiedliche Positionen. Es gebe keine Pflicht zu leben, aber es gebe auch keine Verpflichtung der Gesellschaft, den Tod zu einer leicht erreichbaren Dienstleistung zu machen, sagt etwa die Linken-Abgeordnete Kathrin Vogler, die ein Verbot von Sterbehilfe-Organisationen unterstützt. Ihre Fraktionskollegin Petra Sitte, deren Vater die Nahrung verweigerte, um sterben zu können, sieht dies anders: Die Ohnmacht und die Quälerei, die ihr Vater durchgemacht habe, "die soll niemand erleben".
"Zuallererst bestmögliche Pflege"
Neben dem Respekt haben die Beiträge in dieser Debatte noch eine Gemeinsamkeit: So gut wie alle Redner betonen, dass die Palliativversorgung in Deutschland dringend verbessert werden muss. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sieht dies sogar als Voraussetzung, bevor der Bundestag über eine Sterbehilfe-Regelung befinden kann. Gesundheitsminister Hermann Gröhe sagt dies zu und setzt die Koalition damit unter Zugzwang: "Schwerstkranken und Sterbenden schulden wir zuallererst menschliche Zuwendung und bestmögliche Hilfe."
Das dürfte ein weiter Weg werden. Zugleich liegt hierin wahrscheinlich der größte Wert der Sterbehilfe-Debatte. "Es kommt nicht oft vor, dass wir eine schwierige Diskussion in diesem Hause mit so viel Fingerspitzengefühl und Respekt führen", sagt Oppermann. Für Debatten über den teilweise katastrophalen Zustand der Altenpflege in Deutschland etwa gilt dies in der Regel nicht. Zu diesem Thema, merkt die Grünen-Abgeordnete Elisabeth Scharfenberg an, habe es in diesem Jahr noch keine vierstündige Debatte gegeben. "Das sollten wir nachholen." Viele Redner, die nach ihr kommen, greifen diese Forderung auf.
Quelle: ntv.de