Politik

Die Fehler werden die Fanatiker machen Der IS als Stasi-Kalifat

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(Foto: REUTERS)

Ist der "Islamische Staat" wirklich nur ein Haufen radikalreligiöser Irrer, die mit der Kraft des Wahns ein Kalifat errichten konnten? Neue Recherchen sprechen für etwas ganz anderes: Der Erfolg des IS fußt auf ganz und gar areligiösen Maximen.

Wie wäre der Krieg in Syrien ohne den "Islamischen Staat" verlaufen? Hätte der anfangs zivile Aufstand der Syrer im Frühjahr 2011 vielleicht doch Aussicht auf Erfolg gehabt? Der Gedanke scheint heute müßig, wo die Katastrophe mit bis dato mehr als 200.000 Toten ihren Lauf genommen und der IS eine Fläche von der Größe Großbritanniens zum "Kalifat" gemacht hat. Recherchen des Spiegel-Journalisten Christoph Reuter legen aber nahe, dass die heutige Stärke des IS kein zwingendes Ergebnis eines Aufstandes ist, der von vorneherein zum Scheitern verurteilt gewesen wäre.

Sie ist vielmehr Ergebnis eines Schritt für Schritt ausgeführten Eroberungsplans ehemaliger Geheimdienstler aus dem Irak. In der Anarchie Syriens sahen sie die Chance für ihre Untergrundorganisation "Islamischer Staat im Irak". Reuter stieß bei seinen Recherchen auf Geheimpapiere mit entsprechenden Plänen. Rebellen hatten diese nach dem Tod eines der Hauptstrategen des IS aufbewahrt und dem deutschen Journalisten zur Verfügung gestellt. Gemäß dem Plan dieses Irakers namens Haji Bakr hätten die Dschihadisten, stets geleitet von der Maxime der Machtausbreitung, kühl und hochflexibel ein "Stasi-Kalifat" errichtet. Die wahren Strippenzieher waren dabei nicht die fanatischen IS-Kämpfer. Es waren jene erfahrenen Geheimdienstler aus der Schule der Baath-Partei im Irak unter Saddam Hussein. Abu Bakr al-Bagdadi, seit 2014 "Kalif" des Islamischen Staats, ist demnach eher ein Repräsentant, der für das "Joint Venture" aus Strategen und Fanatikern steht.

IS fußt auf völlig unreligiösen Maximen

Schon 2012 begannen aus dem Irak eindringende Mitglieder des "Islamischen Staates im Irak" den Plan in Syrien umzusetzen. Mit einem Netz aus Spitzeln und als Missionszentren getarnter Rekrutierungsbüros begannen die IS-Leute vor etwa zwei Jahren, im Norden Syriens buchstäblich jedes Dorf zu durchdringen. Sie hatten den Auftrag, mächtige, potentiell gefährliche oder nützliche Personen, Vermögensverhältnisse und Schwachstellen in der Gemeinschaft auszukundschaften. Das Prinzip: die totale Überwachung. Nach der Eroberung durch Rebellenverbände herrschte in manchen Orten Aufbruchsstimmung, es wurden Stadträte gewählt und neue Strukturen aufgebaut. Das alles sollte der IS von innen heraus zu zerstören wissen.

Reuter betont in seinem zu den Recherchen erschienenen Buch, dass die später nach außen zur Schau gestellte radikale Religiosität der IS-Kämpfer nie Selbstzweck gewesen sei, sondern ein Instrument zur Beherrschung. Im Gegensatz zu Al-Kaida gingen die IS-Strategen nicht von mündigen Menschen aus, die sich mit entsprechender religiöser Gehirnwäsche freiwillig zu einem Islamischen Staat zusammenschließen würden. Vielmehr sehe der IS die Menschen als Schafe, die man eher durch Unterwerfung gewinne als durch Bekehrung. Das einzige, was IS und Al-Kaida noch gemeinsam hätten, sei das dschihadistische Label, schließt Reuter. In der strategischen Planung, dem skrupellosen Wechsel von Allianzen und den Propagandainszenierungen des IS sei im Kern nichts Religiöses erkennbar.

Die Strategen sterben aus, die Fanatiker nicht

Doch der Überraschungseffekt, mit dem der IS sich große Landstriche Nordsyriens und des Iraks zueigen gemacht hat, ist vorüber. Warum gelingt es den unzähligen anderen kämpfenden Gruppen in Syrien nicht, die Stasi-Dschihadisten zu besiegen? Den Versuch gab es Anfang 2014, als für Rebellengruppen aller erdenklichen ideologischen Ausrichtung das Maß voll war und sie sich mit vereinten Kräften auf die nunmehr sichtbare schwarze Macht der IS-Kämpfer stürzten. Sie sahen, dass sie stark genug waren, vertrieben die Dschihadisten sogar fast aus deren Hochburg Rakka. Doch nicht gerechnet hatten sie mit der perfiden Skrupellosigkeit des Islamischen Staates. Die Kämpfer schlüpften ins Gewand von Rebellenkämpfern, schickten Selbstmordattentäter los und schossen wild um sich. Die Rebellen flohen, nach zwei Wochen war der IS zurück.

Es ist aber nicht allein die Schwäche oder Konzeptlosigkeit der Aufständischen, die einst den Kampf gegen das syrische Regime begonnen hatten. Das syrische Regime machte sich den IS zunutze und umgekehrt. Schon früh hatten sich die beiden, die eigentlich Todfeinde sein müssten, gegenseitig als Bündnispartner auf Zeit gefunden. "Den IS und das syrische Regime verbindet ein skurriles Verhältnis. Es funktioniert aber nur, weil beide Seiten sich sicher sind, am Ende auch den jeweils anderen zu besiegen", sagt Reuter im Gespräch mit n-tv.de.

Das Ende dieses Zweckbündnisses wäre damit theoretisch erst gekommen, wenn keine anderen Feinde mehr da sind. Kommt es also in Syrien zum Showdown zwischen den Regimetruppen und dem IS? So einfach ist es natürlich nicht, zumal seit mehr als einem halben Jahr auch noch die von den USA geführte Anti-IS-Koalition in den Krieg eingetreten ist. Die Bombardements haben den Dschihadisten Verluste beigebracht, die man aber nicht überschätzen sollte. Doch genau die bisher so erfolgreiche Zusammenarbeit von Ex-Geheimdienstlern und fanatischen Dschihadisten könnte eine Schwäche innerhalb des IS beinhalten. "Wenn von den alten Geheimdienstprofis immer mehr ums Leben kommen, ändert sich mit der Zeit das zahlenmäßige Verhältnis innerhalb der Organisation. Die Baath-Leute sind in ihrer Anzahl begrenzt. Die Fanatiker dagegen wachsen wie Pilze im September nach. Und die werden irgendwann Fehler machen. Sie werden sich auf Kämpfe einlassen, die sie nicht gewinnen können", prophezeit Reuter.

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Quelle: ntv.de

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