Politik

Thüringens Innenminister Maier "Die AfD hat keine Lösungen, sondern befeuert nur Ängste"

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Georg Maier ist Vorsitzender der SPD Thüringen und Innenminister des Freistaats Thüringen.

Georg Maier ist Vorsitzender der SPD Thüringen und Innenminister des Freistaats Thüringen.

(Foto: IMAGO/Jacob Schröter)

"Die AfD bedroht unsere Demokratie", sagt Thüringens Innenminister Georg Maier im Interview mit ntv.de. Für die Stichwahl im Kreis Sonneberg in Südthüringen, bei der an diesem Sonntag ein Landrat gewählt wird, hat er als SPD-Chef von Thüringen deshalb zur Wahl des CDU-Kandidaten aufgerufen. "Bei der Landratswahl geht es auch darum, als Demokraten zusammenzuhalten."

Richtung Berlin sagt Maier: "Die Politik sollte darauf achten, dass alle mitmachen können, statt neue Ängste zu produzieren." Auf die Frage, ob er ein Verbot der AfD angesichts ihrer Umfragewerte noch eine Option sei, erklärt Maier, dies sei "ein Instrument der wehrhaften Demokratie", das man nicht ausschließen könne und das "nicht an Umfragezahlen" hänge. "Aber es muss sehr gut begründet sein. Aus meiner Sicht wäre es momentan zielführender, die AfD politisch zu stellen."

ntv.de: Sie haben schon am Abend des ersten Wahlgangs in Sonneberg zur Wahl des CDU-Kandidaten bei der Stichwahl aufgerufen. Wie schwer ist Ihnen das gefallen?

Georg Maier: Das ist mir schon ein bisschen schwergefallen, weil die CDU in Südthüringen ja sehr konservativ unterwegs ist. Im Bundestagswahlkampf hat sie dort Hans-Georg Maaßen aufgestellt, dessen Wahlsieg wir mit unserem Kandidaten Frank Ullrich verhindern konnten. Aber jetzt haben wir eine andere Situation. Bei der Landratswahl geht es auch darum, als Demokraten zusammenzuhalten.

Die Thüringer AfD nennt die anderen Parteien "Blockparteien". Wenn alle anderen zur Wahl der CDU aufrufen, verstärken Sie dann nicht diese Unterstellung?

Zunächst einmal ist das ein perfider Ausspruch - insbesondere der SPD gegenüber, die wir nie Blockpartei waren. Und natürlich ist das nur Propaganda. Das ist eine Stichwahl, es gibt zwei Kandidaten: Da sind Wahlempfehlungen völlig normal. Vielleicht sollte sich die AfD mal fragen, warum alle anderen Parteien eine Wahlempfehlung abgeben, die nicht AfD heißt.

Sind Erfolge der AfD eine Gefahr für die Demokratie?

Ich glaube, die AfD ist tatsächlich eine Gefahr für die Demokratie, weil sie unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnt, sogar dagegen agiert und sich ein anderes politisches System vorstellt. Sie macht daraus auch gar kein Geheimnis: Ein autoritäres Staatsverständnis nach dem Vorbild Putins ist bei der AfD deutlich herauszuhören. Der Thüringer AfD-Chef hat einen völkischen Staatsbegriff - für ihn gehört man nur dazu, wenn man biologisch zu dem gehört, was Herr Höcke sich als deutsches Volk vorstellt. In Thüringen ist die AfD klar rechtsextremistisch. Damit bedroht sie unsere Demokratie.

Der Kreis Sonneberg ist der Landkreis in Thüringen mit dem zweithöchsten Haushaltsnettoeinkommen, die Arbeitslosigkeit liegt bei 5,1 Prozent. Warum wählen die Menschen dort in so großer Zahl eine Partei, die die Demokratie bedroht?

Wir haben in Thüringen eine sehr positive Wirtschaftsentwicklung, nicht nur im Landkreis Sonneberg. Wirtschaftlich ist Thüringen mittlerweile Vorreiter im ganzen Osten. Die Arbeitslosenquote und das Pro-Kopf-Einkommen helfen nicht, diese Frage zu beantworten. Da spielen andere Gründe eine Rolle, die etwas tiefer gehen. Natürlich hat das etwas mit den Erfahrungen der Wende und Nachwendezeit zu tun. Dieser Umbruch hat im Bewusstsein der Menschen hier tiefe Spuren hinterlassen. Es war ein Umbruch zum Guten, das muss man deutlich sagen, aber für viele hat er tiefe Einschnitte bedeutet, niedrige Einkommen, Arbeitslosigkeit. Diese Erfahrungen haben Ängste hinterlassen, die vor allem in Krisenzeiten wieder hochkommen. Und wir leben in einer Zeit der Krisen.

Was für Ängste sind das?

Dass sich so etwas noch mal ereignen könnte. Diese Ängste werden von der AfD gezielt verstärkt. Sie macht, was populistische Parteien immer machen: Sie sieht jede Krise als Chance, um den Menschen Ängste einzujagen. Dabei präsentiert sie vermeintlich einfache Lösungen, die in der Praxis nicht funktionieren würden.

Aber es gibt noch einen weiteren Grund, den man deutlich benennen muss: Deutschland ist auch 33 Jahre nach der Einheit noch immer nicht gerecht. Wir haben es noch immer nicht geschafft, die Löhne zwischen Ost und West anzugleichen. Ostdeutsche haben im Durchschnitt weniger Vermögen als Westdeutsche, und zwar deutlich weniger. Wegen der Arbeitslosigkeit und der niedrigen Einkommen in den 1990er-Jahren und den Nullerjahren wird hier noch ein großes Problem mit zu niedrigen Renten auf uns zu rollen. Auf solche Fragen hat die Politik noch keine abschließende Antwort gefunden.

Der "Thüringen Monitor" hat vor Kurzem ergeben, dass die Menschen sich umso stärker abgehängt fühlen, je ländlicher sie leben. Kann die Landes- oder die Bundespolitik an diesem Gefühl überhaupt etwas ändern?

Ich glaube schon. Das muss unser Anspruch sein. Thüringen ist ein Bundesland, dessen Bevölkerung rapide schrumpft. Gerade im ländlichen Raum ist das besonders spürbar. Ich wohne im Thüringer Wald in einem kleinen Kurort, auch dort sieht man das. Man sieht, dass Geschäfte schließen, weil es keine Nachfolger gibt. Medizinische Versorgung und Mobilität sind nicht so gut wie in den Städten. Für ein Land, das von der Demografie so hart gebeutelt ist, sind das große Herausforderungen. Umso wichtiger ist, dass es uns gelingt, die Lebenswirklichkeit im ländlichen Raum zu verbessern.

In Sonneberg kam die SPD-Kandidatin in der ersten Runde nur auf 13 Prozent, die gemeinsame Kandidatin von Linken und Grünen erreichte 4 Prozent. 2018 erhielt der gemeinsame Kandidat von SPD und Linken noch 37,6 Prozent. Wird der Wettlauf zwischen den demokratischen Parteien und der AfD jetzt von der CDU ausgetragen, vielleicht nicht nur in Sonneberg?

Nein. Es ist nicht so, dass Kandidatinnen und Kandidaten der SPD flächendeckend in Thüringen schlecht abschneiden, ganz im Gegenteil: Wir stellen fünf Landräte, und wir sind zuversichtlich, dass wir auch im nächsten Jahr bei der Kommunalwahl Landräte dazugewinnen können. Dass wir dieses Mal nicht so gut abgeschnitten haben, war auch der Tatsache geschuldet, dass die Wahl sehr plötzlich erforderlich wurde, weil der Amtsinhaber erkrankt ist. Anja Schönheit war eine sehr gute, sehr bodenständige Kandidatin. Aber sie war nicht so bekannt.

Und dann hat die AfD den Wahlkampf als wahre Materialschlacht geführt, wie ich das noch nicht erlebt habe. Es gab kaum einen Laternenpfahl im Landkreis, der nicht mit einem AfD-Plakat versehen war; dass die AfD über Geldmittel verfügt, ist ja kein Geheimnis. Das wurde dort gezielt eingesetzt.

Eine grüne Kommunalpolitikerin aus dem Landkreis hat gesagt, das Klima dort sei "wie vergiftet".

Teilweise erlebe ich das auch so. Ich bin kein Sozialwissenschaftler und kann das nicht mit Studien belegen, aber gefühlt gibt es heute mehr Menschen, deren Weltbild völlig verfestigt ist und die andere Meinungen vollständig ablehnen. Dann wird das Ganze noch garniert mit Sprüchen wie "Wir leben ja in einer Diktatur". Diese Menschen sehen eine andere Meinung als persönlichen Angriff. Man kann schon sagen, dass das politische Klima ein Stück weit beschädigt ist. Das hat auch etwas mit der populistischen Attitüde der AfD zu tun. Ein anderer Faktor sind sicherlich die sozialen Medien. Ich höre immer wieder, dass ich mich mal über "andere Kanäle" informieren solle. Da spürt man sehr deutlich den Einfluss von Desinformationskampagnen. Das ist durchaus besorgniserregend. Auf der letzten Innenministerkonferenz haben wir darüber gesprochen, wie widerstandsfähig unsere Demokratie gegen Angriffe von außen ist. Denn es steht zu vermuten, dass russische Bots und Trolle hier ihr Unwesen treiben.

Im nächsten Jahr wird in Thüringen der Landtag gewählt. Was passiert, wenn die Parteien der jetzigen Landesregierung dann keine Mehrheit bekommen und auch sonst keine Koalition gebildet werden kann?

Wir haben jetzt schon eine Minderheitsregierung, die sich leider nicht verlässlich auf einen Duldungs- oder Kooperationspartner stützen kann. Dem verweigern sich CDU und FDP, was ich sehr bedauerlich finde. Dadurch sind die Entscheidungsprozesse im Landtag schwerfällig geworden. Dabei bräuchte man gerade jetzt schnelle Entscheidungen, eine Agenda, die man abarbeitet. Auch deshalb schafft die Demokratie es in Thüringen nicht, die Menschen davon zu überzeugen, dass sie effizient, gut und schnell arbeiten kann. Als Spitzenkandidat der SPD kämpfe ich dafür, dass es nach der Wahl wieder eine Mehrheitsregierung gibt. Dafür gibt es auch eine Chance. Ich glaube daran, dass es uns gelingt, die Mechanismen der AfD offenzulegen - dass sie keine Lösungen hat, sondern nur Ängste befeuert. Wenn wir es dann auch noch schaffen, Veränderungsprozesse so zu gestalten, dass wir alle mitnehmen, dann kann das funktionieren.

Sie meinen das Heizungsgesetz.

Zum Beispiel. Die Politik sollte darauf achten, dass alle mitmachen können, statt neue Ängste zu produzieren.

Ist ein Verbot bei der AfD noch eine Option oder kommt das für eine Partei nicht infrage, von der in Thüringen 28 und bundesweit 19 Prozent der Wahlberechtigten sagen, dass sie sie wählen wollen?

Ein Parteienverbot ist ein Instrument der wehrhaften Demokratie, das in Deutschland ja auch schon angewendet wurde. Insofern kann man das nicht ausschließen und es hängt auch nicht an Umfragezahlen. Aber es muss sehr gut begründet sein. Aus meiner Sicht wäre es momentan zielführender, die AfD politisch zu stellen.

Mit Georg Maier sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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