Schmähgedicht im Bundestag "Die Werbung gönne ich Böhmermann"
13.05.2016, 11:34 Uhr
Er hat es wirklich getan. Im Bundestag trägt der CDU-Abgeordnete Detlef Seif das vollständige Schmähgedicht von Jan Böhmermann vor. Von Kollegen wird er dafür teilweise heftig kritisiert. Bei n-tv.de erklärt Seif, warum er es trotzdem wieder machen würde.
n-tv.de: Sie haben im Bundestag gestern das Schmähgedicht von Jan Böhmermann vorgelesen. Wussten Sie nach dem Aufstehen schon: Das mach ich heute?
Detlef Seif: Nein. Ich hatte eine rein rechtspolitische Rede vorbereitet, ohne die Namen Böhmermann und Erdogan. Vor mir hat Hans-Christian Ströbele gesprochen. Er hat behauptet: Wenn man den Paragrafen 103 abschafft, wäre das Strafverfahren gegen Böhmermann erledigt. Das stimmt ja nicht, denn Erdogan hat Strafantrag gestellt und das Verfahren läuft. Anschließend hat Harald Petzold von den Linken geredet. Da hieß es: Böhmermann könne sich auf Kunst- und Meinungsfreiheit berufen, der Paragraf 103 sei veraltet und stehe dem im Wege. Da fühlte ich mich veranlasst, meine Rede zu ändern und Böhmermanns Schmähgedicht vorzulesen.
Wieso?
Eines hat mich in der Diskussion mit Bürgern und Besuchergruppen oft überrascht. Beim Thema Böhmermann gab es zwar eine feste Meinung, aber als es um den Inhalt ging und darum, was wirklich in dem Schmähgedicht steht, waren meist nur Fragmente bekannt. Insofern verstehe ich das, was ich gemacht habe, eher als Aufklärung. Die Rede und Rezitierung hat zu einer Versachlichung geführt. Zumindest sind wir jetzt alle auf demselben Kenntnisstand und reden nicht mehr heroisch über das, was Böhmermann getan hat, ohne seine Äußerungen vollständig zu kennen.
Einige Ihrer Kollegen waren sehr überrascht, es gab empörte Zwischenrufe.
Bei SPD, Linken und Grünen bin ich in der Vergangenheit schon viel gewöhnt gewesen. Aber dass man da jetzt so ein Drama draus konstruiert, verstehe ich nicht. Wir haben über die Abschaffung einer Strafvorschrift beraten. Dabei wurden Argumente vorgebracht, die so klangen, als ob Böhmermann der Verfechter der Kunst- und Meinungsfreiheit sei. Wahrscheinlich waren viele Kollegen verblüfft, dass man gegen die nicht ausgesprochene Absprache verstößt, so etwas nicht vorzutragen.
Sie sind Jurist. Wie bewerten Sie Böhmermanns Gedicht aus rechtlicher Sicht?
Wenn ich ein Gutachten verfassen müsste, würde ich sagen: Das Satireformat war in weiten Teilen zulässig, durch schmähende Äußerungen aber teilweise nicht mehr gerechtfertigt. Begriffe wie "Ziegenficker" oder "Kinderpornos schauen" gehen zu weit. Wenn Erdogan Minderheiten unterdrückt und gegen die Pressefreiheit arbeitet, dann ist es in Ordnung, wenn Böhmermann das kritisch aufgreift. Es ist aber nicht in Ordnung, wenn schmähende Begriffe benutzt werden, die in keinem Zusammenhang dazu stehen und nur auf die Ehrverletzung zielen. Mal angenommen, wir sagen: Erdogan ist eine ziemlich zwielichtige Gestalt, der kann sich nicht auf den Ehrschutz berufen. Wenn wir so anfangen zu selektieren, als Rechtsstaat, der Rechte zur Verfügung stellt, stellen wir uns letztlich auf die Ebene einer willkürlichen Organisation, die nach Gutdünken entscheidet.
Sie haben nun dazu beigetragen, dass diese Zeilen auf ewig in den Bundestagsprotokollen nachlesbar sein werden. Haben Sie dann nicht dasselbe gemacht wie Böhmermann, nämlich gezeigt, was nicht geht?
Der von Erdogan beauftragte Anwalt hat schon festgestellt, dass an meiner Rede nichts zu beanstanden ist. Im Kontext habe ich es als Beispiel dargestellt, was man nicht tun sollte und was überzogen ist. Das findet im Übrigen bei jeder Berichterstattung und bei jeder Gerichtsverhandlung statt. Wenn man über Beleidigungen berichtet, trägt man sie nochmal in die Öffentlichkeit. Das kann dazu beitragen, dass die Ehre noch einmal angekratzt wird. Wenn es richtig vorgetragen wird, führt das jedoch eher dazu, dass andere Menschen sagen: Mensch, das führt ja wirklich zu weit.
Böhmermann twitterte nach Ihrem Auftritt. "Ich weiß nicht, was ich als Wähler schlimmer finde: wenn ein MdB Crystal Meth nimmt oder das Schandgedicht öffentlich im Parlament vorträgt!" Er triumphiert. Hat Sie das geärgert?
Nein. Es sei Jan Böhmermann gegönnt, dass er im Rahmen seines Geschäftsmodells einen Werbeeffekt für seine Sendung hat. Als Abgeordneter des Bundestags geht es mir darum, dass wir richtige Gesetze machen und diese in den Kontext stellen. Dass Böhmermann wieder beleidigend wird und mich mit Kollegen auf eine Stufe stellt, die Crystal Meth nehmen oder damit handeln, ist nicht unbedingt eine Kundgabe der Achtung. Aber das nehme ich hin.
Was für Reaktionen haben Sie auf Ihre Rede erhalten?
Vom höchsten und teilweise übertriebenen Lob bis hin zur Beleidigung unter der Gürtellinie war alles dabei. 80 Prozent Zustimmung und Verständnis, 20 Prozent Shitstorm und das fast ausschließlich aus dem Lager von SPD, Linken und Grünen. Einige Kollegen sind auf mich zugegangen und haben gesagt: Prima, dass du das gemacht hast. Selbst im Parlament war einigen nicht bekannt, was wirklich in dem Böhmermann-Gedicht stand.
Im Internet gab es etliche Kommentare, die Ihnen vorwerfen, Sie hätten sich als Hinterbänkler profilieren wollen. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?
Das drängt sich natürlich zunächst auf. Dabei bin ich ja kein Unbekannter. Ich bin Unions-Obmann im Europaausschuss. Bei der Abstimmung über das dritte Hilfspaket für Griechenland gehörte ich zu den Abweichlern, was auch nicht unbedingt karrierefördernd war. Mir geht es um die inhaltlich richtige Bearbeitung, ohne Ansehen meiner eigenen Karriere, das ist auch in dieser Sache so.
Mit Detlef Seif sprach Christian Rothenberg
Quelle: ntv.de