Politik

Waffen für die Kurden im Irak Die letzte Hoffnung heißt Peschmerga

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Die Bundesregierung erwägt Rüstungslieferungen an die Peschmerga. Denn sie sind die einzige Kraft im Irak, die den Vormarsch der Islamisten stoppen könnte. Doch wer sind diese Kämpfer? Und wozu sind sie imstande?

Folter, Vergewaltigungen, Mord - damit müssen Jesiden und andere Minderheiten im Irak rechnen, wenn die Truppen des Islamischen Staates (IS) sie kriegen. Im Zweistromland könnte es zu einem Völkermord kommen. Und es scheint so, als könnten nur die Peschmerga das verhindern.

Wenn sie vorrücken, fließt Blut: Kämpfer des Islamischen Staates.

Wenn sie vorrücken, fließt Blut: Kämpfer des Islamischen Staates.

(Foto: REUTERS)

Die Mitgliedsstaaten der EU treibt deshalb die Frage um, ob es vertretbar ist, den Kämpfern Munition und Waffen zu liefern. Die Bundesregierung zählt eher zu den Befürwortern. Doch wen will sie da eigentlich unterstützen?

Die Peschmerga sind ein Produkt des Osmanischen Reiches. Schon Ende des 19. Jahrhunderts bildete der damalige Sultan erste militärische Einheiten aus den kurdischen Stämmen. Im 20. Jahrhundert entwickelten sie sich mehr und mehr zu einem Baustein der kurdischen Unabhängigkeitsbewegung, zum einzigen verlässlichen Sicherheitsgaranten des heimatlosen Volkes. Der Name Peschmerga, "die dem Tod ins Auge sehenden", etablierte sich. Zu erkennen waren die Krieger einst an ihren weiten Lodenhosen mit dem gelben Stoffgürtel. Doch dieser traditionelle Look ist heute eher die Ausnahme.

Mittlerweile sind die Peschmerga offiziell die Streitkraft der Autonomen Region Kurdistan im Irak. Ihre Lodenhosen haben sie durch Kampfanzüge in Camouflage ersetzt und ihre Säbel und Büchsen durch Maschinengewehre.

Zahlenmäßig sind sie IS überlegen

Nach Angaben der Denkfabrik Washington Institute gibt es 130.000 von ihnen. Allerdings verfügen nicht alle über eine ebenbürtige Ausbildung und Ausstattung. Bei rund 30.000 Einheiten handelt es sich im Kern um Polizeikräfte. Sie sind dem Innenministerium unterstellt und entsprechend trainiert. 70.000 Männer gehören kleineren, traditionell orientierten Milizen an. Sie stehen unter der Kontrolle der beiden dominanten kurdischen Parteien. Koordinierte Einsätze dieser Kräfte erwiesen sich bisher als eher schwierig. Was man im eigentlichen Sinne als Streitkraft bezeichnen würde, trifft dem Institut zufolge nur auf ungefähr 33.000 der Kämpfer zu. Zahlenmäßig dürften die Peschmerga dem IS dennoch gewachsen sein. Die Islamisten verfügen im Irak laut Schätzungen über bis zu 15.000 und in Syrien bis zu 8000 Kämpfer. Doch die Masse ist auch nicht das Problem der Peschmerga.

Nach Angaben des Washington Institute haben die 33.000 Mann zwar eine gründliche Ausbildung genossen, doch es fehlt ihnen an Kampferfahrung. Die alten Haudegen, die noch mit Guerilla-Methoden gegen Iraks Diktator Saddam Hussein gekämpft haben, wissen zwar, wie man gegen eine organisierte Armee vorgeht, aber nicht, wie mit den dynamischen Milizen-Methoden des IS. Viele der jüngeren Peschmerga wiederum haben ihre Waffen bisher nur bei Übungen abgefeuert. Hinzu kommt, dass die meisten nur begrenzte Arabisch-Kenntnisse haben, was die so wichtige Kooperation mit Zivilisten in vielen der umkämpften Gebieten erheblich erschwert.

Auch bei der Ausrüstung gibt es laut dem Institut erhebliche Defizite. Zwar verfügt die Kerntruppe der Peschmerga über ausreichend modernes und schweres Gerät. Dazu gehören Panzer, Raketenwerfer und Haubitzen. Nur fehlt es oft an Munition und Geld für die Instandhaltung der Gerätschaften. Die irakische Regierung in Bagdad weigert sich seit jeher, die Streitkräfte der kurdischen Autonomieregion zu finanzieren. Geld fließt nur an die Polizeikräfte.

Unheilvolle Allianzen

Waffen, Munition und andere Rüstungsgüter aus der EU wären für die Peschmerga deshalb ein echter Gewinn im Kampf gegen IS. Für die wichtigste Maßnahme halten Militärexperten allerdings eine koordinierte Luftunterstützung. Die irakische Airforce ist in einem erbärmlichen Zustand. Derzeit springen die USA mit gezielten Luftschlägen ein. Weil sie die irakische Regierung aber nicht aus der Pflicht entlassen wollen, halten sie sich allerdings noch stark zurück.

Es gilt als durchaus realistisch, dass die Peschmerga, angemessen ausgestattet, den IS-Milizen Einhalt gebieten könnten. Aber ist es auch wirklich unbedenklich, gerade diese Kämpfer zu unterstützen?

Die Gefahr, dass sich eine aufgerüstete kurdische Streitkraft eines Tages gegen den Westen wendet, halten Experten für gering. Seit Jahren zählen die USA weltweit zu den wichtigsten Verbündeten der Kurden im Irak. Denkfabriken wie das Washington Institut, aber auch die deutsche Stiftung für Wissenschaft und Politik werben daher dafür, den Peschmerga zu helfen.

Ein Risiko besteht allerdings: Aus Angst, Teile des kurdischen Siedlungsgebietes an IS zu verlieren haben sich neue kurdische Allianzen gebildet. So haben sich die Peschmerga aus dem Irak auch mit der PKK aus der Türkei solidarisiert. Die als Terrororganisation eingestufte Truppe von Abdullah Öcalan ist bereits im Kampfeinsatz gegen die Islamisten. Dass Peschmerga-Kämpfer in ihrer schwierigen Lage militärisches Gerät aus dem Westen auch an ihre Zweckwaffenbrüder weiterreichen, wird sich kaum verhindern lassen. So könnten Waffen- und Ausrüstungslieferungen am Ende dazu führen, dass EU-Staaten auch eine Kraft päppeln, die mit der Türkei einen Nato-Partner und Beitrittskandidaten seit Jahrzehnten mit Anschlägen malträtiert.

Quelle: ntv.de

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