Grüner Rauch steigt auf über dem Gesundheitsministerium, während die Welt brennt: Die Ampelkoalition will Cannabis legalisieren. Wir haben zwar gerade Wichtigeres zu tun - und dennoch ist die Idee gut.
Die Rhythmen der Politik führen manchmal zu komischen Tänzen. Gerade diskutiert die Republik über die Legalisierung von Drogen. Dafür schaute Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sogar einmal wieder bei Markus Lanz vorbei. Ausgerechnet jener Politiker, der im Frühstückscafé zwischen zwei Schlucken Heißgetränk die FFP2-Maske aufsetzt, wirbt im deutschen Fernsehen für die Legalisierung von gesundheitsschädigenden Rauschmitteln.
Das Gras macht, soviel steht fest, ein bisschen besessen, das lässt sich schon an der Vokabelvielfalt ablesen. Für das Weed haben wir deutlich mehr Ausdrücke als die Inuit für den Schnee - schon deshalb, weil die Inuit derer keineswegs Hunderte kennen, wie die Legende besagt, sondern allenfalls zwölf.
Der Bobel ist jedenfalls Kult: Amüsiert nehmen wir zur Kenntnis, dass der Rapper Snoop Dogg eine professionelle Hilfe für das Rollen der Glückskegel engagiert hat. Im Bewerbungsverfahren musste die Frau sich gegen Snoops Toningenieur sowie einen venezolanischen Zigarrenroller behaupten und spontan Tuning-Vorschläge für die Blunts entwickeln, schreibt jedenfalls der Musikexpress.
Esstisch statt Kriegsschiff
Der Vorstoß für die Kräuterraketen klang vor den ganzen Schlamasseljahren frisch und progressiv: Im Jahr 2015 posierte Cem Özdemir vor dem Großstadtspinat. Selbst der FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner wirkt fast fassadenlos, wenn er über den Bubatz spricht. Doch die Zeiten ändern und wenden sich: die Pandemie, der Krieg, die Krise. Ein Volk, das nicht weiß, ob es den Winter warm, gesund und mit Strom übersteht, interessiert sich gerade nicht so brennend für die Dopaminstengel. Mühsam wehrt sich Lauterbach gegen den Eindruck, die Ampel führe nur ein weiteres Scharmützel im großen Kulturkampf der Progressiven gegen die Alten.
Politik ist eben eine Frage des Timings, manchmal geht das grotesk schief: Als die Dänen sich im Jahr 1807 in Kopenhagen den Briten geschlagen und ihre Flotte hergeben mussten, pflanzten sie Tausende Eichen für eine neue. Es sind störrische Leutchen, die Dänen. Etwa 200 Jahre zogen also ins Land, und als die Behörden mitteilen konnten, dass die Bäume endlich mit Wachsen fertig seien - baute man Schiffe längst aus Stahl. Das Holz wurde also, unter anderem, zu diesem schönen "Spisebord", einem Esstisch also.
Wie die Baummitteilung aus Dänemark wirkt jetzt die Kunde, die Regierung wolle uns die Hauptschultrompeten gestatten: ein bisschen aus der Zeit gefallen. Träge dümpelt die Debatte um das Bubatz dahin. In der Union warnte Dorothee Bär (CSU) tapfer und wie immer, dass die Bammelbolzen nicht so harmlos seien, wie man meint. Es wirkt mäßig überzeugend: Bär stammt aus Bayern, wo man sich allherbstlich im Kollektiv wie ein Achtarmiger den Alkohol in die Kehle orgelt. Andererseits: Ist Saufen wirklich ein gutes Argument fürs Quartzen?
Prestigeträchtige Entkriminalisierung
Tatsächlich ist das Projekt vor allem für den grünliberalen Teil der Ampel durchaus prestigeträchtig: Sie will weniger Strafrecht, beim Schwarzfahren, bei Werbung für den Schwangerschaftsabbruch und eben auch beim Cannabis - quasi eine Abkehr von der stets straffreudigen Politik der Union. Diese Entkriminalisierungskampagne läuft aber nicht immer wie gewollt, denn manchmal holt die Ampel die Politik von früher ein.
Gerade hat der Bundestag den Volksverhetzungsparagrafen noch einmal verschärfen müssen. Künftig soll auch das "gröbliche" Verharmlosen von Kriegsverbrechen strafbar sein. Das Strafrecht hat in der juristischen Welt den höchsten Anspruch an die Verständlichkeit, aber selbst nach dem dritten durchgezogenen Hexenbesen würde mir nicht einfallen, was der Unterschied zwischen einer "gröblichen" und einer normalen Verharmlosung von Kriegsverbrechen ist.
Sowohl beim Cannabis als auch bei der Hetze verdirbt die EU das Timing: Anlass der Verschärfung des Strafrechtsparagrafen sind nämlich nicht etwa Gräuel in der Ukraine und russische Propaganda, sondern ein EU-Beschluss - er stammt aus dem Jahr 2008. Und beim Gras holen die Regierung womöglich ebenfalls frühere Versprechen ein: Die EU hat sich nämlich eigentlich verpflichtet, den Kommerz mit dem Stoff zu verhindern. Aber so ist das eben, wenn man Brüssel, die größte Quelle neuer Paragrafen, nicht scharf genug beobachtet.
Wer kiffen will, kann es schon jetzt
Der Trost, falls die Legalisierung am EU-Recht scheitert: Wer kiffen will, kann es eh schon jetzt - und darf es sogar, denn der Konsum war und ist erlaubt. Besitz und Handel sind es dagegen nicht, aber da hilft die normative Kraft des Faktischen: Die Hasenheide oder der Görlitzer Park in Berlin sind geradezu Freilichtsupermärkte für jeden, der sich zum Feierabend eine Dschungelklarinette drehen möchte. Man muss die Dealer dort nicht suchen, man wird gefunden. Die Herren (es sind ausschließlich Herren) machen aufmunternde Schnalzgeräusche und stehen gut ausgeleuchtet unter den Laternen.
Wenn man einmal von der fraglichen Qualität des Berliner Straßen-Dopes absieht, ist es im Grunde ein wenig wie in den Niederlanden: Auch dort ist der Drogenhandel eigentlich verboten, wird aber geduldet. Mögen Rechtssoziologen aufklären, was diese Diskrepanz zwischen Sollen und Sein mit unserem Verhältnis zur Rechtsordnung macht.
Nicht nur diese seltsame Toleranz des Illegalen ist ein gutes Argument für die Legalisierung. Es ist auch der richtige Moment in sonst entbehrungsreicher Zeit. Wir sollen weniger duschen, bald wieder Abstand halten und jeden Tag die Nachrichten aushalten. Lustvolle Selbstschädigung, ein leicht erhöhtes Psychoserisiko und Antriebsverlust sind vielleicht genau die Form der sanften Unvernunft, die unserem Land bisweilen fehlt. Und das müssten die in Brüssel eigentlich auch einsehen.
Quelle: ntv.de