
Der Papst im US-Kongress, hinter ihm Vizepräsident Biden und der Präsident des Repräsentantenhauses, Boehner.
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Mit sanften Worten haut Franziskus dem US-Kongress seine Vorstellungen von guter Politik um die Ohren. Er macht das so gut, dass selbst Republikaner weinen müssen.
Über der US-amerikanischen Flagge, vor der Franziskus spricht, sind die Worte gemeißelt: "In God We Trust", auf Gott vertrauen wir. Man könnte meinen, die Rede des Papstes vor dem US-Kongress sei ein Heimspiel. Das Gegenteil ist richtig.
Vor allem aus republikanischer Sicht ist Franziskus ein schwieriger Gast. Zugleich ist der Papst sehr geschickt: Er präsentiert seine Botschaft so, dass sie an die Weltsicht der Republikaner andockt. Den wichtigsten Teil seiner Rede leitet er mit dem Hinweis ein, in vergangenen Jahrhunderten seien Millionen Menschen in die USA gekommen, um ihre Träume zu verwirklichen. Ganz nebenbei transportiert der argentinische Papst die Vision eines gemeinsamen Kontinents. "We, the people of this continent", sagt er und verändert dabei die berühmten ersten Wörter der US-amerikanischen Verfassung nur leicht. "Wir, die Menschen dieses Kontinents, haben keine Angst vor Ausländern, denn die meisten von uns waren einst Ausländer." Er sage das "als Sohn von Einwanderern und in dem Wissen, dass viele von Ihnen auch von Einwanderern abstammen".
Franziskus spricht mit sanfter Stimme und starkem Akzent, gelegentlich stockend. Wäre dies nicht ein so freundlich wirkender alter Herr, man könnte sagen, dass der Papst dem Kongress die Leviten liest. Denn für die Republikaner ist das, was er sagt, eine Zumutung. In ihrem Vorwahlkampf ist illegale Einwanderung das wichtigste Thema. Präsidentschaftsbewerber Donald Trump hat mexikanische Einwanderer als "Vergewaltiger" bezeichnet und will elf Millionen Papierlose aus den USA abschieben. Trumps Erfolg in den Umfragen hat die Einwanderungsdebatte im konservativen Teil der USA deutlich radikalisiert.
Franziskus macht vor keinem Tabu halt
Im Kongress wirbt Papst Franziskus nun mit schlichten Worten darum, die Flüchtlinge als Menschen wahrzunehmen. Er erinnert sein Publikum an die "Goldene Regel": Behandele andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst. Er muss zwei Mal ansetzen, um die Regel vorzutragen, denn er wird von Applaus unterbrochen. Diese Regel, so Franziskus, zeige in eine klare Richtung: "Lasst uns die Flüchtlinge mit dem gleichen Mitgefühl behandeln, mit dem wir auch behandelt werden wollen. Lasst uns für andere die gleichen Möglichkeiten suchen, nach denen wir auch für uns suchen ... Wenn wir Sicherheit wollen, lasst uns Sicherheit geben."
Eine Zumutung ist Franziskus auch für die Demokraten. "Die Goldene Regel erinnert uns an unsere Verantwortung, das menschliche Leben an jedem Zeitpunkt seiner Entwicklung zu schützen." Jetzt klatschen die Republikaner, stärker noch als vorher die Demokraten; das Thema Abtreibung spielt in allen Wahlkämpfen in den USA eine Rolle, im aktuellen besonders stark.

Zehntausende verfolgten die Rede des Papstes vor dem Kapitol. Im Anschluss an seinen Auftritt vor den Politikern sprach Franziskus auch kurz zu ihnen.
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Doch der Papst ist noch nicht fertig – er macht vor keinem US-amerikanischen Tabu halt. Diese Überzeugung, so fährt er fort, habe ihn immer geleitet, sich für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe einzusetzen. Jeder hier weiß: In 31 der 50 US-Bundesstaaten gibt es noch immer die Todesstrafe, im vergangenen Jahr wurden 35 Menschen in US-Gefängnissen hingerichtet, rund 3000 sitzen in Todeszellen.
Mit dem Fiat zum Kapitol
Schon vor der Rede war klar, dass etwas höchst Ungewöhnliches passiert. Franziskus fuhr nicht in einer Limousine zum Kapitol, dem Sitz von Senat und Repräsentantenhaus, sondern mit seinem Fiat 500L. Schon das dürfte ihn aus Sicht vieler Konservativer in den USA unter Sozialismusverdacht stellen. Der Abgeordnete Paul Gosar hatte dem Papst im Vorfeld der Rede allen Ernstes vorgeworfen, mit seinem "Klimagerede" sozialistische Argumente zu übernehmen. Den Auftritt von Franziskus boykottierte der – wohlgemerkt katholische – Republikaner.
Zumindest aus republikanischer Sicht liegt Gosar nicht ganz falsch. Erst kürzlich hat der Papst in einer eindringlichen Enzyklika den Klimawandel eine der wichtigsten Herausforderungen der Menschheit genannt. Mit Blick auf Einwanderungspolitik wirbt Franziskus seit Langem für Menschlichkeit und Mitgefühl. Das Atomabkommen mit dem Iran unterstützt er ebenso wie die Annäherung der USA an Kuba, die der Vatikan sogar als Vermittler begleitet hat. Als wäre das nicht genug: In einem Apostolischen Schreiben hat der Papst die ökonomischen "trickle down"-Theorien kritisiert, die, kurz gefasst, besagen, dass auch die unteren Schichten davon profitieren, wenn die Reichen reicher werden. Diese Theorie gehört zum Glaubensbekenntnis der Republikaner.
Über Wirtschaftspolitik spricht der Papst in seiner 50-minütigen Rede nicht. Auch hier macht er es geschickter. Viel sei erreicht worden, um extreme Armut in den USA zu bekämpfen. "Ich weiß, dass Sie meine Überzeugung teilen, dass noch viel mehr getan werden muss."
Selbst ein Republikaner muss weinen
Gleich zu Beginn seiner Rede hatte er sich die Zustimmung des gesamten Publikums gesichert. Er sei dankbar, im Kongress der Vereinigten Staaten sprechen zu dürfen, "in the land of the free and the home of the brave", zitiert er die US-amerikanische Nationalhymne. Hinter ihm putzt sich John Boehner, der Vorsitzende des Repräsentantenhauses, die Nase. Boehner ist Republikaner und Katholik. Es ist nicht das letzte Mal, dass er während der Rede zum Taschentuch greift.
Dabei passt kaum eine Botschaft des Papstes zur republikanischen Agenda. Neben der Einwanderung und der Armutsbekämpfung spricht Franziskus über den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, über Waffenhandel und darüber, dass im Kampf gegen den Extremismus die Freiheit nicht geopfert werden dürfe. Jetzt sei die Zeit für mutige Handlungen und Strategien, um Armut zu bekämpfen, den Ausgeschlossenen ihre Würde zurückzugeben und die Natur zu schützen, sagt der Papst.
Der Applaus am Ende der Rede ist stark und von Jubelrufen begleitet. Die Senatoren und Abgeordneten hätten so intensiv zugehört, "wie ich es noch nie gesehen habe", sagt eine CNN-Korrespondentin. Im Anschluss an seinen Auftritt vor dem Kongress richtet Franziskus von einem Balkon ein paar Worte an die vielen Menschen, die vor dem Kapitol seine Rede verfolgt haben. Als er die anwesenden Kinder segnet, kommen Boehner schon wieder die Tränen.
Dann bittet Franziskus die Menschen, für ihn zu beten. Doch dies ist kein Papst, der sich nur an Gläubige wendet. Ausdrücklich bittet er auch jene, die nicht an Gott glauben, ihm gute Wünsche zu schicken. Er ist ein Papst für alle – sogar für Republikaner.
Quelle: ntv.de