Politik

JU-Chef Winkel über Wagenknecht "Ein absolutes No-Go, eine völlig undemokratische Entgleisung"

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JU-Chef Winkel glaubt nicht an Koalitionen zwischen BSW und CDU in Sachsen und Thüringen.

JU-Chef Winkel glaubt nicht an Koalitionen zwischen BSW und CDU in Sachsen und Thüringen.

(Foto: picture alliance / dts-Agentur)

Wie BSW-Chefin Wagenknecht in die Sondierungsgespräche mit der CDU in Thüringen eingegriffen hat, löst beim Chef der Jungen Union, Johannes Winkel, Empörung aus. Er glaube nicht an eine Koalition, sagt er im Interview mit ntv.de vor dem Deutschlandtag am Wochenende. In der Migrations- und der Ukraine-Frage fordert er mehr Entschlossenheit.

ntv.de: Herr Winkel, am Wochenende trifft sich die Junge Union zum Deutschlandtag in Halle. CDU-Chef Merz kommt ebenfalls und hält eine Rede. War er auch Ihre erste Wahl als Kanzlerkandidat?

Johannes Winkel: Die Junge Union hat Friedrich Merz schon seit langer Zeit unterstützt. Natürlich sind wir jetzt froh, dass er nun unser Kanzlerkandidat ist. Wir haben als Junge Union lange für ein stärkeres konservativeres Profil gekämpft und haben es auch bekommen.

Wie stehen Sie zu einer Koalition mit den Grünen nach der Bundestagswahl? Bayerns Ministerpräsident Markus Söder war ja dagegen, Merz schließt es nicht aus.

Schwarz-Grün liegt außerhalb meiner Vorstellungskraft. Die Inhalte auf Bundesebene sind einfach grundverschieden. Wenn die Grünen sich um 180 Grad drehen, wären Gespräche möglich, aber man kann es sich kaum vorstellen.

Können Sie sich eine Partnerschaft zwischen Habeck und Merz vorstellen?

Friedrich Merz steht für soziale Marktwirtschaft, Robert Habeck für ökologische Planwirtschaft. Also: nein.

Welches Signal erwarten Sie von Merz?

Vom Deutschlandtag wird das Signal ausgehen, dass wir als Junge Union und junge Generation hinter Friedrich Merz als Kanzlerkandidat stehen. Das soll auch ein Stück weit der Auftakt in das Wahlkampfjahr werden. Natürlich erwarten wir von Friedrich Merz, dass er beschreibt, wie er sich die Zukunft für die junge Generation vorstellt. Da sind wir gespannt. Da geht es um ganz verschiedene Themen wie Verteidigung, Kampf gegen Islamismus und auch Generationengerechtigkeit.

Eines der wichtigsten Themen in diesem Jahr war der Umgang mit der Zuwanderung. Die Regierung hat Grenzkontrollen eingeführt, Abschiebungen erleichtert und auf EU-Ebene das neue gemeinsame Asylsystem GEAS beschlossen. Ist die Regierung besser als ihr Ruf?

Annalena Baerbock und Nancy Faeser haben das GEAS über Monate blockiert und verwässert, wo sie nur konnten. Am Ende bringt das GEAS auch kaum etwas. Die Bundesregierung hat beim Thema Migration eine Verweigerungshaltung an den Tag gelegt, die nicht nur schädlich für die Migrationspolitik ist, sondern für unsere Demokratie insgesamt.

Wie meinen Sie das?

Verschiedene Ampel-Vertreter haben immer wieder gesagt, ihnen seien die Hände gebunden. Die Rechtsordnung erlaube keine strengeren Maßnahmen. Wenn der Gesetzgeber selbst sagt, dass die Rechtsordnung nicht veränderbar ist, gleicht das einer Kapitulation.

Aber wenn es so ist? Wenn das Grundgesetz oder EU-Recht nun einmal enge Grenzen setzt?

Die Verfassung und das EU-Recht sind ja nicht unveränderbar. Der Job des Gesetzgebers ist es, Gesetze zu ändern. Wenn die Politik selbst das System als manövrierunfähig darstellt, muss man sich nicht wundern, wenn die Leute irgendwann die Systemfrage stellen. Das ist ein riesiges Problem.

Die Ampel hat ein Sicherheitspaket beschlossen, die Union hat es aber im Bundesrat gestoppt, weil es ihr nicht weit genug geht. Wie passt das zusammen? Wäre es nicht besser, zumindest etwas zu beschließen? Nachlegen könnte man ja immer noch.

Ich fand es bemerkenswert, wie Friedrich Merz vorher die Initiative ergriffen hatte und die Regierung zum Handeln gezwungen hat. Jetzt macht es aber überhaupt keinen Sinn, sich für völlig verwässerte Sicherheitspakete in Mithaftung zu begeben. Am Ende des Tages müssen wir den Zuzug kontrollieren. Die Kontrolle haben wir nicht, seit zehn Jahren nicht. Übrigens, Stichwort Europarecht: Polens Premierminister hat innerhalb von zwei Tagen das Asylrecht außer Kraft gesetzt. Da zeigt sich politische Führungsstärke. Das EU-Recht ist in Polen das gleiche wie bei uns.

Sollte Deutschland auch das Asylrecht aussetzen, so wie Polen?

Ja, natürlich. Deutschland darf Polen da auch nicht im Stich lassen. Olaf Scholz hat diese Führungsstärke offenbar nicht.

Sie sind für eine Kontingentlösung für Flüchtlinge. Hat das individuelle Asylrecht da überhaupt noch Platz?

Ein individuell einklagbares Asylrecht macht dann Sinn, wenn es um individuell politisch Verfolgte geht. So war das in den 50er und 60er Jahren auch gedacht.

Ein Ausgangspunkt war aber auch die Erfahrung mit den Juden, die vor den Nazis aus Deutschland flohen und in vielen Ländern abgewiesen wurden.

Man könnte es ja auch durchaus so ausgestalten, dass Staaten freiwillig Kontingente aufnehmen. Nehmen Sie die Ukrainer. Ich bin überzeugt davon, dass kein Ukrainer weniger in Deutschland wäre, wenn es das individuelle Asylrecht nicht gäbe. Man kann den Menschen auch so helfen. Aber kann man das Asylrecht in Zeiten der Massenmigration aus wirtschaftlichen Gründen aufrechterhalten? Ich bin nicht dieser Meinung. Mit dem individuellen Recht auf Asyl geben wir ein Versprechen ab, das wir gar nicht halten können. Und wir wollen es auch gar nicht halten.

Finanzminister Lindner hat vorgeschlagen, geflüchteten Ukrainern nicht mehr Bürgergeld zu zahlen, sondern eine Leistung, die zwischen dem liegt, was Asylbewerber und Bürgergeldempfänger bekommen. Schließen Sie sich an?

Menschen, die noch nie in die Sozialkassen eingezahlt haben, sollten natürlich nicht mit denen gleichgestellt werden, die das jahrzehntelang getan haben. Insofern ist das ein Vorschlag, über den man reden kann. Aber die Migrationsfrage wird sich nicht durch einen Unterbietungswettbewerb bei den Sozialleistungen entscheiden. Sondern an der Kontrolle des Zuzugs.

Sie wollen eine Drittstaatenregelung. Was sagen Sie zum Modell Italiens? Die schicken einen Teil der Migranten in Lager in Albanien. Dort wird über Aufnahme entschieden.

Das ist eine denkbare Lösung. Den Automatismus: Wenn du es irgendwie nach Europa schaffst, wirst du schon im deutschen Sozialstaat landen, den darf es nicht mehr geben. Ist der durchbrochen, wird auch die Migration nachlassen. Davon bin ich fest überzeugt. Es geht um das Signal: Es kommt nicht mehr jeder unbeschränkbar in den deutschen Sozialstaat.

In der CDU gibt es Bestrebungen, einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegen das BSW zu erreichen. Wie stehen Sie, wie die Junge Union dazu?

Wenn es eine neue Partei gibt, ist es vernünftig, Gespräche zu führen und sich kennenzulernen. Was Sahra Wagenknecht jetzt aber gemacht hat, war ein absolutes No-Go, eine völlig undemokratische Entgleisung. Aus dem Berliner Polit-Büro hat sie ein in Thüringen ausverhandeltes Sondierungspapier für nicht zustimmungswürdig befunden. Ich bin jetzt sehr gespannt auf die Reaktion der Landesverbände des BSW. Lassen sie sich gefallen, dass Sahra Wagenknecht diktatorisch von außen entscheidet? Ist das BSW eine demokratische Partei, in der Landesverbände eigene Meinungen haben dürfen? Denen es um die Belange des Landes gehen darf? Oder geht es nur um Sahra Wagenknecht selbst? Wenn die Landesverbände sich der großen Führerin aus Berlin einfach beugen, kann es keine Koalition mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht geben. Dann wird das über kurz oder lang auf einen Unvereinbarkeitsbeschluss hinauslaufen.

Glauben Sie, dass es zu einer Koalition in Thüringen und Sachsen kommt?

Das hängt von der Reaktion der Landesverbände ab. Im Moment kann ich es mir nicht vorstellen. Ich glaube, Sahra Wagenknecht will auch gar nicht regieren und daher sollte man sie auch nicht dazu zwingen.

Wie fanden Sie den gemeinsamen Beitrag von Kretschmer, Woidke und Voigt, die mehr Verhandlungen forderten? Wirkte das wie auf Bestellung von Wagenknecht?

Ich habe das aufmerksam gelesen. Die einzelnen Sätze kann man nur schwer angreifen. Aber ein Gesamtbild wird deutlich. Ich hatte da ein sehr ungutes Bauchgefühl.

Wie sehen Sie auf die Ukraine-Frage? Sollte das Land auch Gebiete abtreten für einen Frieden?

Es ist eine Frage der souveränen Ukraine. Aber die Voraussetzung für Verhandlungen ist doch nicht die Einstellung der Waffenlieferungen. Dann gäbe es die Ukraine in zwei Monaten nicht mehr. Das Gegenteil ist richtig. Gerade wenn man Verhandlungen will, muss man die Ukraine in eine Situation bringen, in der sie nicht nur noch bedingungslos kapitulieren kann. Olaf Scholz und Rolf Mützenich lassen die Ukraine dagegen am langen Arm verhungern. Wenn man selber einmal in Butscha war, ist das einfach beschämend. Wie die SPD wirksame Hilfe verhindert hat, ist ein Skandal.

Sollte Deutschland den Marschflugkörper Taurus liefern?

Selbstverständlich. Am besten hätten wir ihn am ersten Tag geliefert.

Merz hat ja gesagt, man solle Putin auffordern, die Bombardierung von Kindergärten und Krankenhäusern einzustellen und mit dem Taurus drohen. Sie meinen also, solche Bedingungen sollte man nicht stellen?

Wenn wir die Ukraine gegen Russland unterstützen wollen, sollten wir es schlicht und ergreifend tun. Wir müssen eine Grundsatzentscheidung treffen. Wollen wir die Ukraine unterstützen oder nicht? Wenn ja, sollten wir es auch richtig und nicht halbherzig tun.

Mit Johannes Winkel sprach Volker Petersen

Quelle: ntv.de

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