Politik

Verhandlungen über Atomprogramm "Ein nuklear bewaffneter Iran wäre eine massive Bedrohung für Europa"

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Der deutsche Außenminister Johann Wadephul (2.v.r) berät sich mit dem französischen Minister für Europa und auswärtige Angelegenheiten, Jean-Noel Barrot sowie dem britischen Außenminister David Lammy und der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas vor Gesprächen mit dem iranischen Amtskollegen über das Atomprogramm.

Der deutsche Außenminister Johann Wadephul (2.v.r) berät sich mit dem französischen Minister für Europa und auswärtige Angelegenheiten, Jean-Noel Barrot sowie dem britischen Außenminister David Lammy und der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas vor Gesprächen mit dem iranischen Amtskollegen über das Atomprogramm.

(Foto: picture alliance/dpa/MEAE)

EU-Spitzenpolitiker verhandeln mit dem Iran über eine Eindämmung seines Nuklearprogramms. Für wirksame Diplomatie seien sie aber auf US-Präsident Donald Trump angewiesen, sagt Nahost-Experte Stephan Stetter. Zudem sieht er zwei Möglichkeiten, wie Israels Angriffe den Beginn eines Regimewechsels in Teheran bewirken könnten.

ntv.de: Sowohl Israel als auch in den USA Verantwortliche spielen mit dem Gedanken, im Iran einen Regimewechsel herbeizuführen. Kann ein militärisches Eingreifen allein zum Sturz des Mullahregimes führen?

Stephan Stetter: Es kommt aus meiner Sicht auf die Intensität des militärischen Eingreifens an. Momentan greift Israel den Iran aus der Luft an, vereinzelt gibt es Geheimdiensteinsätze des Mossads vor Ort. Ein Regimewechsel auf diese Weise würde nur funktionieren, falls eines von zwei Szenarien eintritt. Entweder sagt die iranische Bevölkerung, die in großen Teilen kritisch gegenüber der eigenen Regierung eingestellt ist: Uns reicht es jetzt. Das könnte eine Dynamik entfalten, in dem die Menschen sich erfolgreich gegen das Mullahregime auflehnen.

Stephan Stetter ist Professor für Internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität der Bundeswehr München. Nach Studium in Heidelberg, Jerusalem, London und Florenz forscht und lehrt er zum Nahen und Mittleren Osten.

Stephan Stetter ist Professor für Internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität der Bundeswehr München. Nach Studium in Heidelberg, Jerusalem, London und Florenz forscht und lehrt er zum Nahen und Mittleren Osten.

(Foto: Stephan Stetter)

Oder?

Oder der Widerstand kommt aus dem iranischen Militär, das seine Felle wegschwimmen sieht und sagt: Wir müssen die Mullahs loswerden, um eine Militärregierung zu etablieren. Das iranische Militär könnte die Ideologie der Mullahs abschütteln. Dazu muss der Druck so hoch sein, dass das Militär denkt: Wir verlieren unsere Optionen vollends durch amerikanische Angriffe. Ich sehe momentan keines dieser beiden Szenarien eintreten. Um von außen militärisch einen Regimewechsel herbeizuführen, müssten zudem Bodentruppen einmarschieren, wie damals im Krieg der USA gegen den Irak. Aber weder Israel noch die Vereinigten Staaten noch irgendjemand sonst ist bislang bereit, das zu wagen, in einem Land, das so groß und komplex ist wie der Iran.

Wie groß ist der Rückhalt in der Bevölkerung für die iranische Staatsdoktrin, die eine Vernichtung Israels fordert?

Es gibt nur einen geringen Rückhalt dafür. Im Iran gibt es historisch bedingt keinen politischen Gegensatz zu Israel, wie das in vielen arabischen Staaten der Fall ist. Die Stimmung in der iranischen Bevölkerung könnte aber kippen angesichts der israelischen Angriffe. Die Iraner wollen keinen Krieg. Die Menschen fliehen massenweise aus den Orten, die angegriffen werden. Ihr Leben ist bedroht. Aus einem Krieg kann so eine zuvor nie da gewesene Feindschaft entstehen. Aber eigentlich gibt es zwischen Israel und Iran historische Bande. Und die Operationen Israels im Iran können nur möglich gemacht werden durch die Zuarbeit iranischer Informanten. Diese Ressource sollte man pflegen und ausbauen.

Iran ist ein Vielvölkerstaat mit vielen Minderheiten, die politische Opposition ist zersplittert und untereinander zerstritten. Gibt es auch größere Gruppen, die demokratische Bestrebungen haben?

Die gibt es auf jeden Fall. Aber ein Regime wie im Iran darf nicht unterschätzt werden. Es ist ein Land, das in der Außen- und in der Innenpolitik hochaggressiv ist. Demokratiebewegungen wurden gewaltsam unterdrückt. Je höher der Druck ist, desto stärker greift der Geheimdienst-Apparat der repressiven Regimes zu. Jedes autoritäre Regime kann sehr plötzlich zusammenbrechen. Nur weiß das keiner davor. Dieses Szenario könnte auch im Iran passieren.

Trump hat zwei Wochen Bedenkzeit angemeldet für die Entscheidung, ob die USA in den Krieg eintreten. Warum?

Israel hat deutlich gemacht: Für die Zerstörung der Urananreicherungsanlage brauchen wir die Amerikaner mit ihren speziellen Bomben. Aber die USA zögern. Trump könnte pokern, damit die Iraner sich jetzt in Sicherheit wiegen und er doch in ein paar Tagen angreift. Er könnte aber auch verunsichert sein. In der republikanischen Partei gibt es zwei Lager. Einerseits diejenigen, die sagen: Wir müssen jetzt Bomben auf den Iran werfen. Andererseits diejenigen, die sagen: Wir wollen uns aus kriegerischen Konflikten heraushalten. Eigentlich war dieser Isolationismus auch Trumps außenpolitisches Motto im Wahlkampf. Nebenbei läuft noch ein bisschen die diplomatische Schiene. Der US-Sondergesandte Steve Witkoff soll eventuell mit den Iranern verhandeln. Aber im Grunde hat man die diplomatischen Bemühungen an die Europäer outgesourct. Das spricht dafür, dass konkrete diplomatische Verhandlungen derzeit keine Priorität der USA sind.

Wie betrifft der Konflikt die Europäer?

Wir Europäer sind auf allen Ebenen massiv betroffen von diesem Konflikt. Erstens wäre ein nuklear bewaffneter Iran, der mit Russland verbündet ist und ballistische Raketen hat, eine massive Bedrohung für Europa. Zweitens ist der Iran ein Unsicherheitsfaktor in der gesamten Region des Nahen und Mittleren Ostens. Und diese Konflikte haben erhebliche Auswirkungen auf Europa. Sie kreieren politischen Extremismus, sie führen zu Flüchtlingsbewegungen, sie verkomplizieren die diplomatische Lage.

Die Europäer verhandeln heute mit dem iranischen Außenminister Abbas Araghtschi über das Atomprogramm, auch der deutsche Außenminister Johann Wadephul ist dabei. Ist davon ein Resultat zu erwarten?

Die Mittel der Europäer sind äußerst begrenzt, weil das Verhältnis zu den USA seit Trumps Amtseintritt angespannt ist. Früher war das anders. Unter der US-Regierung von Barack Obama wurde 2015 ein "Gemeinsamer umfassende Aktionsplan" entwickelt, mit technischen Beschränkungen und Kontrollmechanismen, die gewährleisten, dass der Iran davon abgehalten werden sollte, in die Nähe der Entwicklung von Atombomben zu kommen. Vetomächte des UN-Sicherheitsrats waren beteiligt, darunter Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Da gab es eine Arbeitsteilung und funktionierende transatlantische Beziehung. Die Amerikaner haben dem diplomatischen Prozess mit den Europäern Spielraum gelassen.

So etwas ist jetzt nicht mehr möglich?

Leider sind die europäischen Möglichkeiten für Verhandlungen stark eingeschränkt. Was sollen die Europäer bieten? Wie sollen sie ernst zu nehmend drohen, ohne das militärische Potenzial der USA? Die USA sind der Player, um den es hier geht, der etwas anbieten könnte. Europa kann da wenig machen. Was Europa versuchen kann: Im Bündnis mit den Staaten der Golfregion Einfluss auf Trump auszuüben, um ihn bei den Verhandlungen mit den Iranern mit ins Boot zu holen.

Mit Stephan Stetter sprach Lea Verstl

Quelle: ntv.de

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