Politik

Merkel, die Vierte Eine Regierung im Streitmodus

Vor allem Horst Seehofer beschwor immer wieder Streit in der Koalition herauf.

Vor allem Horst Seehofer beschwor immer wieder Streit in der Koalition herauf.

(Foto: picture alliance / dpa)

Für die Große Koalition geht ein verkorkstes Jahr zu Ende: Auf eine quälend ewige Regierungsbildung folgt eine Phase des Dauerstreits. Viel ruhiger dürfte es 2019 nicht werden. Bei Europa- und Landtagswahlen müssen die teils neu sortierten Parteien gegen fallende Umfragewerte Profil gewinnen. Geht das ohne Zank?

Es war ein Jahr der politischen Dauerkrise - und auch 2019 dürfte für Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Chefin Andrea Nahles nicht einfacher werden. Nach den vor gut einem Jahr geplatzten Jamaika-Verhandlungen von CDU/CSU, FDP und Grünen ist auf der politischen Bühne in Berlin kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Gleich zwei veritable Regierungskrisen mussten die beiden Politikerinnen in ihrer schwarz-roten Koalition in den wenigen Monaten seit der vierten Wahl Merkels zur Kanzlerin schon überstehen. Zum Jahresausklang ist angesichts des bevorstehenden Führungswechsels in der CDU völlig unklar, ob die GroKo das nächste Jahr übersteht - oder ob nicht doch eine rasche Neuwahl vielleicht im Herbst ansteht.

Viel dürfte davon abhängen, ob in der SPD jene Kräfte Oberhand gewinnen, die das Heil der Partei angesichts der katastrophalen Wahlergebnisse und Umfragewerte nur noch in der Opposition sehen. Im Mai sind Europawahlen, im September und Oktober werden in Brandenburg, Sachsen und Thüringen Landtage gewählt. Schon jetzt ist absehbar, dass zwei Dauerthemen des Jahres auch die politische Agenda 2019 bestimmen werden: der Aufstieg der AfD, die mittlerweile in allen Landtagen und im Bundestag sitzt. Und damit eng verbunden der Umgang mit dem Thema Flucht und Migration, das die Rechtspopulisten nutzen, um Sorgen und Ängste in der Bevölkerung zu schüren.

Ein Rückblick: Schon die Koalitionsverhandlungen waren für Merkel, die Union und die SPD ein quälend langer Prozess. Eigentlich hatte der damalige SPD-Chef und Spitzenkandidat Martin Schulz direkt nach der Bundestagswahl im September 2017 verkündet, man werde auf keinen Fall in eine erneute Koalition mit der Union ziehen. Doch nach dem Scheitern von Jamaika war die Lage anders - die Sozialdemokraten mussten sich einen neuen Vorsitzenden suchen, bei den Verhandlungen über die GroKo klang immer mit, dass die SPD diese ja eigentlich gar nicht wollte.

Zurückweisungen und Maaßen stellen Koalition auf Probe

Anfang März gab die SPD-Basis dann endlich grünes Licht für die neue Regierung mit CDU und CSU, in einer Mitgliederbefragung stimmten 66 Prozent der Teilnehmer dafür. Merkel konnte weiterregieren. Am 14. März wurde sie vereidigt - doch aus dem im Koalitionsvertrag versprochenen "Aufbruch für Europa" und der neuen "Dynamik für Deutschland" wurde erstmal nichts. Zwar brachten CDU, CSU und SPD einige Reformen auf den Weg, doch in der Öffentlichkeit blieb vor allem eines hängen: der Dauerstreit in Union und Koalition.

AN Hans-Georg Maaßen wäre beinahe die Große Koalition zerbrochen.

AN Hans-Georg Maaßen wäre beinahe die Große Koalition zerbrochen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Kurz vor der Sommerpause scheiterte Merkels Koalition fast an der Forderung von CSU-Chef Horst Seehofer, bereits in anderen Staaten registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Auch im nationalen Alleingang wollte er dies tun, während für Merkel nur eine europäische Lösung in Frage kam. Nur mit Ach und Krach konnte der Konflikt beigelegt und die Unionsgemeinschaft im Bundestag erhalten werden - in der CSU gab es damals sogar Gedankenspiele, die jahrzehntelange traditionelle Zusammenarbeit mit der CDU zu beenden. Doch direkt nach dem Sommerurlaub war der Streit wieder da, als Seehofer die Migration zur "Mutter aller politischen Probleme" in Deutschland erklärte - und damit indirekt Merkel meinte.

Zusätzlich befeuert wurde der Streit durch ausländerfeindliche Ausschreitungen in Chemnitz und in diesem Zusammenhang relativierende Äußerungen des damaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen. Dienstherr Seehofer stellt sich zunächst hinter Maaßen. Als Seehofer Maaßen Ende September dann doch aus dem Amt nehmen und ihn auf den höher dotierten Posten eines Staatssekretärs im Innenministerium wegloben wollte, stimmten Merkel und Nahles zunächst zu. Wenig später mussten beide Frauen zugeben, dass sie die Stimmung in der Bevölkerung völlig falsch eingeschätzt hatten. Aus der durch den Umgang mit Maaßen ausgelösten zweiten Regierungskrise innerhalb weniger Monate kamen Merkel und Nahles nur heraus, indem sie Fehler einräumten. Maaßen wurde letztendlich in den einstweiligen Ruhestand versetzt.

Die dramatischen Verluste von Union und SPD bei den Landtagswahlen in Bayern am 14. Oktober und in Hessen zwei Wochen später brachten in der Koalition und vor allem in der Union eine Dynamik in Gang, deren Ende noch nicht absehbar ist. Dass etwas ins Rutschen gekommen war, musste Merkel spätestens am 29. September klar geworden sein. Gegen ihren ausdrücklichen Willen servierte die Unionsfraktion an diesem Tag in einer Kampfabstimmung ihren Vertrauten Volker Kauder als Fraktionschef ab - und wählte den zuvor vor allem Finanzexperten bekannten Nordrhein-Westfalen Ralph Brinkhaus zum Nachfolger.

Grüne lauern im Umfragehoch

Die Kanzlerin zog selbst die Notbremse: Am 29. Oktober verkündete sie ihrem Präsidium und später der Öffentlichkeit, dass sie nach 18 Jahren als CDU-Vorsitzende beim Parteitag im Dezember nicht erneut für dieses Amt kandidieren werde. Es folgte ein Dreikampf um ihr parteipolitisches Erbe zwischen Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz und Gesundheitsminister Jens Spahn, bei dem die Saarländerin Kramp-Karrenbauer das bessere Ende hatte.

Was der Wechsel im CDU-Vorsitz für die Statik der ohnehin wackeligen Koalition mit der SPD bedeutet, steht noch in den Sternen. Nahles steht parteiintern unter Druck. Doch will man wirklich Neuwahlen riskieren? Bei Umfragewerten von derzeit um die 14 Prozent? Aber dass Merkel tatsächlich wie angekündigt bis zum planmäßigen Ende der Koalition im Jahr 2021 Kanzlerin bleiben wird, glauben selbst in der CDU-Spitze wohl nur wenige.

Umbruch auch in der zweiten Unionspartei: Die schweren Verluste bei der Landtagswahl in Bayern brachten das Fass bei der CSU endgültig zum Überlaufen. Schon lange hatten sich viele Christsoziale von ihrem Vorsitzenden Seehofer abgewendet. Seine Rempeleien auf der Berliner Bühne wurden auch in der Heimat immer weniger goutiert. Um das politische Alphatier wurde es seit Monaten einsamer. Am Ende blieb ihm nur der Verzicht auf den Parteivorsitz - doch wie Merkel will Seehofer sein Regierungsamt behalten. Und wie sich bei Merkel viele nicht vorstellen können, dass sie bis zum Ende der Wahlperiode durchhält, gilt das auch bei Seehofer als wenig wahrscheinlich.

Sollte die Koalition zerbrechen, rücken die Grünen in den Fokus. Dass die FDP eine Jamaika-Neuauflage ohne Merkel will, macht ihr Chef Christian Lindner ziemlich deutlich. Die Grünen dagegen dürften kaum bereit sein, auf Basis ihrer 8,9 Prozent von der Bundestagswahl zu verhandeln, da sie in Umfragen jetzt bei über 20 Prozent liegen. Klar ist: Die Partei hält sich bereit. Jemand an der Grünen-Spitze spricht vom Bibel-Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen, in dem es darum geht, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Es endet mit den Worten: "Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde." Angesichts der Lage sicher kein schlechter Rat - für alle Parteien.

Quelle: ntv.de, Von Jörg Blank und Carsten Hoffmann, dpa

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