Politik

Seehofers neuer Angriff Es geht um Merkel, nicht um die Sache

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Seehofer und Maaßen.

(Foto: imago/photothek)

Erneut greift Innenminister Seehofer die Kanzlerin massiv an. Dass es ihm dieses Mal um politische Inhalte geht, ist unwahrscheinlich. Der CSU-Chef arbeitet am politischen Ende Merkels - und sucht sich inzwischen mächtige Verbündete.

Das Ende des Asylstreits vor der parlamentarischen Sommerpause wirkte einigermaßen versöhnlich. Horst Seehofer signalisierte, dass er nun bekommen habe, was er sich in seiner Funktion als Innenminister gewünscht habe. Die Kanzlerin wirkte nicht nachtragend, betonte, dass Diskussionen nun mal zum Politikbetrieb dazugehörten. Burgfrieden. Schon damals wurde spekuliert: Ging es Seehofer wirklich um die Sache, um eine "Wende in der Asylpolitik", wie er sagte? Oder ging es ihm darum, die Kanzlerin zu schwächen? Und wenn es ihm nicht um Inhalte ging, wann kommt der nächste Aufstand? Er ist da. Die Gräben zwischen Merkel und ihrem Innenminister sind wieder aufgeworfen. Und es spricht wenig dafür, dass Seehofer dieses Mal politische Inhalte durchsetzen will. Er will ganz offensichtlich das Ende der Ära Merkel herbeibeschleunigen - und sucht sich dafür auch Verbündete.

Im Asylstreit konnte Seehofer argumentieren, es gehe ihm um konkrete Politik. Die Bevölkerung erwarte nun einmal eine Wende in der Zuwanderungspolitik, argumentierte er. Das mag noch einigermaßen plausibel geklungen haben. Nun geht Seehofer erneut auf Kollisionskurs mit der Kanzlerin. Allerdings bei einem Thema, das deutlich abstrakter ist. Einem, bei dem es schwer fallen dürfte, zu argumentieren, dass es hier um konkrete Politik geht. Denn die Kluften reißen auf an der Deutungshoheit über das, was in Chemnitz passiert ist, an Formulierungen und einer mehr oder weniger klaren Abgrenzung gegen rassistische Gewalt.

Nachdem in der sächsischen Stadt ein Mensch mutmaßlich von zwei oder drei Flüchtlingen erstochen worden ist und es anschließend zu Ausschreitungen kam, unter anderem von Neonazis, reagiert die Kanzlerin zunächst schneller als ihr Innenminister. Über ihren Sprecher lässt sie mitteilen, dass sie es nicht tolerieren werde, wenn "Hetzjagden" auf Menschen anderen Aussehens" veranstaltet würden. Mit dieser Formulierung lehnt sie sich weit aus dem Fenster. Lokale Medien und die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft dementieren wenig später. Gewalttätige Übergriffe auf Ausländer – ja. Aber "Hetzjagden" habe es wohl nicht gegeben. Während Merkel und ihr Sprecher in die Kritik geraten, ihnen vorgeworfen wird, falsche Informationen zu verbreiten und die falschen zu verurteilen, hüllt sich Seehofer in strategisches Schweigen.

Maaßen hat Äußerungen geschickt geplant

Nach einigen Tagen dann geht der Innenminister mit einer großzügig interpretierbaren Erklärung an die Öffentlichkeit. Er habe Verständnis für die Wut der Bürger, hieß es darin. Aber welche Bürger? Bei Gewalt, ließ er wissen, gelte "null Toleranz". Auch Hetzparolen verurteilt er. Eine klare Stellungnahme gegen Rechtsextremismus gibt es im Zusammenhang mit Chemnitz jedoch nicht. Umso deutlicher fällt seine Positionierung gegen seine Chefin aus. Die Migrationspolitik sei "die Mutter aller Probleme", sagt er auf der Klausurtagung der CSU in Neuhardenberg. Ein Frontalangriff auf die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, die - so versteht es Seehofer offenbar - Gewalt wie in Chemnitz überhaupt erst möglich gemacht hätte. Merkels Standpunkt in der Debatte wird dadurch erneut geschwächt, nachdem kurz zuvor auch der CDU-Ministerpräsident von Sachsen, Michael Kretschmer, in einer Regierungserklärung sagte, es habe "keinen Mob und keine Hetzjagden" gegeben.

Für seinen neuerlichen Angriff auf die Kanzlerin hat sich Seehofer außerdem prominente Unterstützung aus dem eigenen Haus geholt: den Chef des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen. Auch er zweifelt an, dass es Hetzjagden gegeben habe. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und stellt die Echtheit eines Videos in Frage, das den Angriff einer Männergruppe auf zwei Migranten zeigen soll. Dass Maaßen derart klar Stellung bezieht, lässt viele im politischen Berlin ebenso ratlos zurück wie die Art und Weise: Der Geheimdienst-Chef gibt seine brisanten Erkenntnisse nicht etwa in einer offiziellen Stellungnahme preis, sondern in einem Interview mit der "Bild"-Zeitung. Auch der Zeitpunkt dürfte bewusst gewählt worden sein. Das Interview erscheint vor einem Wochenende. Pressestellen sind im Stand-By-Modus, die Bundespressekonferenz ist geschlossen. Maaßens Äußerungen können zwei Tage lang in die Debatte einsickern. Noch pikanter wird die ganze Angelegenheit durch einen Bericht des Magazins "Focus", wonach Maaßen seine Erkenntnisse auf Geheiß des Innenministers preisgegeben haben soll. Eine konzertierte Attacke auf die Kanzlerin.

Die Sommerpause ist gerade erst vorüber und sie steckt schon im alten Dilemma: Lässt sie Horst Seehofer, der sich inzwischen mächtige Verbündete für seine Angriffe sucht, weiter gewähren, oder gibt sie ihm den Laufpass? Schon im Asylstreit hatte er die Kanzlerin mit immer neuen Forderungen vor sich hergetrieben, drohte mit Rücktritt und setzte seine Chefin in einem Maß unter Druck, das in dem Verhältnis von Kanzlerin zu Innenminister eine völlige Neuheit war. Schmeißt sie ihn raus, droht die Koalition zu zerbrechen. Lässt sie ihn machen, demonstriert sie der Öffentlichkeit, wie zerrissen die Union ist, wie schnell ihre Machtposition ins Wackeln kommen kann und riskiert immer neue Angriffe.

Die AfD, der lachende Dritte

Seehofer verkörpert nicht das Klischee des polternden Bayern, der sich auch mal im Ton vergreift, wenn er in Fahrt kommt. Er wählt seine Worte bewusst. Daher dürfte ihm kaum entgangen sein, dass seine Formulierung im Kanzleramt für Kopfschütteln und an ganz anderer Stelle für Begeisterung sorgen dürfte. Denn die Ursache für die Gewalttat von Chemnitz in der Zuwanderung zu sehen, ist zu einhundert Prozent die Argumentationslinie der AfD. In der Partei und bei ihren Anhängern wird Merkel gerne als "Mutti" verhöhnt. Dass Seehofer von der "Mutter aller Probleme" spricht - eine Steilvorlage.

Der lachende Dritte in der Debatte um Chemnitz ist also die AfD. Vertreter der Partei haben die Ausschreitungen von Beginn an kleingeredet, Verständnis gezeigt für rassistische Übergriffe. Seehofer, Maaßen und Kretschmer geben der Partei nun Recht - es sei alles halb so wild. Hetzjagden habe es nicht gegeben, die Migration sei schuld an allem, die Videos von den Übergriffen seien möglicherweise gefälscht. Dass die Generalstaatsanwaltschaft inzwischen die Echtheit der Videos bestätigt, dürfte eine Information sein, die bei deutlich weniger Menschen hängenbleibt, als der Hinweis des Geheimdienst-Chefs auf "gezielte Falschinformation".

Wenn Maaßen oder Seehofer wegen der neuerlichen Attacke auf die Kanzlerin ihren Hut nehmen müssten, würde das der AfD noch mehr Aufwind geben. Ein Geheimdienst-Chef, der an die gleichen Wahrheiten glaubt wie die AfD - und deswegen gefeuert wird. Ein Innenminister, der im gleichen Thema wie die AfD das größte Problem dieses Landes sieht - und dafür freigestellt wird. Beide Szenarien würden die Partei massiv stärken. Denn sie würden das Narrativ der AfD bestärken, wonach in diesem Land eine Art Gesinnungsdiktatur herrsche: "Entweder bist du für Flüchtlinge oder gegen die Regierung."Schon die Forderungen von SPD, Grünen und Linken nach einer Entlassung Maaßens und die Forderung der SPD nach einem Rücktritt Seehofers passen aus Sicht der AfD in diese Logik.

Dass Seehofers Konfrontation der CSU in Bayern im Hinblick auf die Landtagswahl geschadet hat, dürfte Seehofer verstanden haben. Dass er mit seinem Angriff auf die Kanzlerin in Berlin Wahlkampf für Bayern macht, erscheint inzwischen unwahrscheinlich. Seehofer will, was die AfD auch will: Merkel beschädigen - nicht mit allen, aber mit vielen Mitteln.

Quelle: ntv.de

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