EU-Parlament sortiert sich Es kommt zusammen, was nicht zusammen gehört
26.06.2014, 14:46 Uhr
Nigel Farage musste sich mit italienischen Clowns zusammentun, um eine Fraktion bilden zu können. Das Bild zeigt ihn mit Mitgliedern der "Official Monster Raving Loony Party".
(Foto: REUTERS)
Im Europaparlament haben sich die Fraktionen zusammengefunden. Britische Rechtspopulisten treffen sich mit italienischen Clowns, deutsche Euroskeptiker etablieren sich, die CDU kungelt mit zwielichtigen Ungarn. Ein Überblick.
Aus deutscher Sicht scheint es, als wären die Europawahlen recht leicht zu verstehen. Denn auf den Wahlgrafiken tauchen die bekannten Farben auf: Gelb, grün, rot und dunkelrot stehen für die gleichen Parteien wie bei der Bundestagswahl. Die Konservativen mit CDU und CSU werden dunkelblau dargestellt, auch das erschließt sich unmittelbar. Doch allein aus Deutschland haben es dieses Mal Politiker aus 14 Parteien nach Straßburg geschafft, von denen sich 12 einer Fraktion zugeordnet haben. In anderen Ländern ist es noch komplizierter. Bis Mittwoch mussten sich die Fraktionen zusammenfinden - und dabei ergaben sich einige seltsame Konstellationen.
Die Europäische Volkspartei (EVP) stellt die größte Fraktion im EU-Parlament mit 221 Mitgliedern. Sie wird von dem deutschen EU-Abgeordneten Manfred Weber geleitet. Es ist seine dritte Amtszeit im Europaparlament. In der vergangenen Legislaturperiode war er Mitglied im Ausschuss für konstitutionelle Fragen.
Die Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (SPE) hat den ehemaligen Europaparlamentspräsidenten Martin Schulz aus Deutschland als Vorsitzenden gewählt. Er ist schon seit mehr als 20 Jahren EU-Abgeordneter. Mit 191 Mitgliedern ist SPE zweitstärkste Kraft im Parlament.
Die Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR) haben Syed Kamall aus dem Vereinigten Königreich zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Er ist seit 2005 EU-Abgeordneter. In der vergangenen Legislaturperiode war er im Wirtschaftsausschuss aktiv. 70 EU-Abgeordnete haben sich der EKR angeschlossen.
Der belgische EU-Abgeordnete Guy Verhofstadt leitet die Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE). Der ehemalige Premierminister war schon in der vergangenen Legislaturperiode Fraktionsvorsitzender. Insgesamt sind 67 Abgeordnete Mitglied der ALDE-Fraktion.
Die Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) wird von der deutschen EU-Abgeordneten Gabriele Zimmer geleitete. Es ist ihre dritte Amtszeit im Europaparlament. Zimmer war bereits von 2012 bis 2014 Fraktionsvorsitzende. Insgesamt gehören GUE/NGL 52 Abgeordnete an.
Die Grünen/Freie Europäische Allianz (Grünen/EFA) werden von dem belgischen EU-Abgeordneten Philippe Lamberts und von der deutschen Rebecca Harms geleitet. Lamberts folgt dem französischen Abgeordneten Daniel Cohn-Bendit und Harms war schon in der vorhergehenden Legislaturperiode Ko-Fraktionsvorsitzende. Der Grünen-Fraktion im Europaparlament haben sich 50 Abgeordnete angeschlossen.
Die Fraktion Europa der Freiheit und der Direkten Demokratie (EFDD) wird von Nigel Farage aus dem Vereinigten Königreich geleitet und dem italienischen EU-Abgeordneten David Borrelli. Farage ist seit 1999 Mitglied des Europaparlaments und leitete die Fraktion bereits in der 7. Legislaturperiode. Borelli ist zum ersten Mal EU-Abgeordneter und war vorher Stadtrat in Treviso.
Deutsche Euroskeptiker werden geadelt: Eine der spannenden Fragen aus deutscher Sicht war, wo sich die neue AfD im Spektrum einsortieren würde. Spekuliert wurde, dass sie in der EFDD landen, also mit der rechtspopulistischen Ukip aus Großbritannien zusammenarbeiten würden. Lieber wollte die AfD aber in die EKR zu den konservativen Tories des britischen Premierministers David Cameron. Und dort landeten sie nun auch, obwohl die Tories dagegen waren. Für die AfD ist das geradezu eine Adelung - sie wird in Europa von seriösen Parteien anerkannt. Allerdings findet sie sich nun auch neben den weiter rechts stehenden Wahren Finnen und der Dänischen Volkspartei wieder. Auch der Abgeordnete der deutschen Familienpartei ist in dieser Fraktion, obwohl sie sich nicht als euroskeptisch versteht.
EU-Hasser bandeln mit Clowns an: Die Ukip von Nigel Farage tat sich dagegen mit der Fünf-Sterne-Bewegung des italienischen Komikers Beppe Grillo zur EFDD zusammen. Die Briten haben dort 24 Sitze, die Italiener 17. Ansonsten hat keine weitere Partei in dieser Fraktion mehr als 2 Abgeordnete. Die Frage ist, für wen von beiden diese Zusammenarbeit eigentlich erniedrigender ist.
Rechtsradikale kommen nicht zusammen: Immer wieder wurde die AfD gefragt, ob sie auch mit den weit rechts stehenden Parteien Front National aus Frankreich und PVV aus den Niederlanden zusammenarbeiten würde. Die Parteichefs Marine Le Pen und Geert Wilders waren kurz davor, eine rechtsextreme Fraktion zu bilden - doch die Sache scheiterte. Die Gründe sind nicht ganz klar. Ohne die PVV bekam der Front National nicht genügend Parteien zusammen, um eine Fraktion zu bilden. Für die Bildung einer Fraktion sind mindestens 25 Abgeordnete aus mindestens sieben Staaten notwendig. Damit entgeht den Rechtsradikalen viel Geld und die Möglichkeit, politische Mitarbeiter anzustellen. Fraktionslose Abgeordnete können zwar für organisatorische Dinge auf einen Mitarbeiterstab zurückgreifen, aber dieser wird vom Parlament gestellt. In der politischen Arbeit sind die Angestellten darum wenig hilfreich.
Satiriker zankt Nazi: Fraktionslos sind auch der NPD-Politiker Udo Voigt, der in dem internationalen Parlament ausländerfeindliche Politik machen will, und der Satiriker Martin Sonneborn von "Die Partei", der bislang kein anderes Projekt hat, als Voigt das Leben schwer zu machen. Sonneborn war von Grünen, Linken und Liberalen umworben worden, lehnte aber ab.
CDU muss Orbán ertragen: Für die Fraktionen ist jeder zusätzliche Abgeordnete wichtig. Das bringt Redezeiten und das Recht, Ausschussvorsitzende zu benennen. Nur so ist eigentlich die Zusammensetzung der größten Fraktion der EVP zu erklären: Mit CDU und CSU sitzt dort auch die nationalkonservative Fidesz des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán, die in ihrer Heimat fremdenfeindliche Politik macht und die Pressefreiheit einschränkt. Auch die italienische Forza Italia von Silvio Berlusconi hat sich eigentlich schon zu viel erlaubt, um in den seriösen Kreis an großen europäischen Parteien zu passen. Bis auf Großbritannien kommt aus jedem EU-Land mindestens ein EVP-Mitglied. Zum Vorsitzenden wählte die Fraktion einen Deutschen: den CSU-Politiker Manfred Weber.
Viele deutsche Spitzenleute: Weitere deutsche Fraktionsvorsitzende gibt es mit Gabi Zimmer bei den Linken und mit Rebecca Harms bei den Grünen. Die Sozialdemokraten werden nur vorübergehend von Martin Schulz angeführt, der wieder auf den Posten des Parlamentspräsidenten wechseln wird. Sie bilden die einzige Gruppe mit Parteien aus allen 28 EU-Staaten.
Kleinparteien finden Unterschlupf: In einer Fraktion finden sich gleich drei deutsche Parteien: Die Grünen haben zusätzlich die Piratin Julia Reda und den ÖDP-Politiker Klaus Buchner aufgenommen. Die Tierschutzpartei kam bei den Linken unter, die Freien Wähler bei den Liberalen.
Engere Zusammenarbeit: Weil die anti-europäischen Kräfte am rechten Rand bei dieser Wahl stärker geworden sind, wollen die anderen Fraktionen enger zusammenarbeiten als bisher. Es ist bereits die Rede von einer "Großen Koalition" zwischen EVP und Sozialdemokraten. Diese "Koalition" wird allerdings wesentlich lockerer sein als das namensgleiche Bündnis im Deutschen Bundestag. Denn im Europaparlament sind sogar die Abgeordneten einer Fraktion oft unterschiedlicher Meinung und das wird sich auch in den nächsten Jahren nicht ändern. Wenn man die Zusammensetzung der Fraktionen betrachtet, versteht man auch schnell, warum das so ist.
Quelle: ntv.de