Was macht eigentlich Steinbrück? Es war einmal ein Kanzlerkandidat
22.09.2014, 09:42 Uhr
Ein Bild aus Wahlkampfzeiten: Peer Steinbrück im August 2013. Heute geht es im Leben des Politikers etwas beschaulicher zu.
(Foto: picture alliance / dpa)
Altkanzler Schmidt ist sein Mentor, doch das hilft Peer Steinbrück am 22. September 2013 gar nicht. Bei der Bundestagswahl unterliegt er Angela Merkel deutlich. Ein Rückblick auf einen ganz besonderen Kandidaten und die Zeit danach.
Peer Steinbrück könnte jetzt Klartext reden, wie man das von ihm kennt. Das wäre die Gelegenheit. Die Moderatorin fragt, was anders wäre, wenn er auf dem Kanzlersessel säße. Ernster Blick durch die randlose Brille, aber Steinbrück versucht es gar nicht erst. "Nicht viel", sagt er. Die Bundesregierung handle verantwortungsvoll, Merkel und Steinmeier: ein gutes Tandem. Der Kurs gegen Russland: richtig. "Es gibt keinen Anlass für nicklige kleinkarierte Kritik", sagt er Anfang September im WDR. Kurz: Es gibt einfach nichts zu meckern.
Vor genau einem Jahr war das noch anders. Damals versucht Steinbrück nichts Geringeres, als Angela Merkel aus dem Kanzleramt zu verdrängen. Doch er scheitert krachend und holt nur 25,7 Prozent, das zweitschlechteste Wahlergebnis der SPD seit 1949. Ob es dem Land mit ihm anders ginge, ob er der bessere Kanzler wäre, lässt sich kaum überprüfen. Es spielt auch keine Rolle mehr. Der 22. September 2013 liegt weit zurück und Steinbrück ist heute längst nur noch eine politische Randfigur.
Ein Blick zurück: Nach dem erschütternden Wahlabend braucht der Kandidat eine Weile, um sich von dieser "in jeder Hinsicht bemerkenswerten Erfahrung" zu erholen. Er schottet sich erst einmal ab, zieht sich zurück. Das zurückliegende Jahr hat Kraft gekostet, die intensive mediale Begleitung ihm ohnehin nie behagt. Im Dezember appelliert Steinbrück an die SPD-Mitglieder, in dem Mitgliedervotum eine Große Koalition zu unterstützen. Ganz ohne Zähneknirschen geht das nicht. Denn er muss mitansehen, wie seine Partei auf jenes Bündnis zusteuert, dass er im Wahlkampf eigentlich ausgeschlossen hat.
"Alles personalisiert und vieles skandalisiert"
Steinbrück gehört damals zwar noch zur Verhandlungsdelegation der SPD, aber es ist ein Rückzug auf Raten. Ein Ministeramt kommt für ihn nicht infrage, Fraktionschef will er nicht werden. Der 67-Jährige bleibt - wie bereits vor der Wahl - einfacher Abgeordneter. In den ersten Reihen sieht man ihn aber nur noch selten. Für Sigmar Gabriel und Thomas Oppermann geht es in der Hierarchie bergauf, für Steinbrück, den ehemaligen Ministerpräsidenten, Finanzminister und Kanzlerkandidat kann es nur nach unten gehen. "Mir war immer klar, dass ich in meinem politischen Leben den Staffelstab irgendwann übergeben muss, in dieser Situation befinde ich mich nun", sagt er der "Welt" in einem Interview.
Davon gibt er nicht mehr viele. Die Gründe dafür liegen im Wahlkampf. Steinbrück gibt den Medien eine Mitschuld an seiner Niederlage. Sie hätten Grenzen überschritten, "alles personalisiert und vieles skandalisiert", klagt er. Steinbrück kann nicht vergessen. Wie ihn der Springer-Verlag kurz vor der Wahl in die Nähe der Stasi rücken wollte. Und wie ihm die Debatten um seine Nebeneinkünfte, die öffentlichen Tränen und den Stinkefinger auf dem Cover des SZ-Magazins den Wahlkampf durchkreuzten - für ihn alles Nebensächlichkeiten.
Doch Steinbrück weiß seine Ausrutscher inzwischen auch mit Humor zu nehmen. "Gelegentliche Ausreißer von mir führten ja auch dazu, dass andere sich nicht mit mir langweilten. Knigge wäre die Hutschnur geplatzt, wenn er meinen Stinkefinger gesehen hätte", ulkt er im Frühjahr während einer Lesung aus dem Werk des Benimm-Ratgebers. Das Honorar spendet er an eine Jugendeinrichtung in Hannover. Längst kann man ihn wieder als Redner buchen. Nach Berechnungen der "Bild"-Zeitung nahm Steinbrück seit Jahresbeginn mindestens 150.000 Euro für bezahlte Nebentätigkeiten an. Was Ende 2012 noch ein Aufreger war, stört inzwischen niemanden mehr. Steinbrück schreibt auch an einem neuen Buch, das im Frühjahr 2015 erscheinen soll. Eine Abrechnung soll es aber nicht werden.
Ein Buch, aber keine Abrechnung
Ansonsten sind Wortmeldungen rar geworden. "Nicht nur Russland ist schuld. Auch der Westen hat Fehler gemacht", sagt Steinbrück dem "Stern" im Frühjahr. Dennoch kritisiert er kurz später Ex-Kanzler Gerhard Schröder für dessen gemeinsame Geburtstagsfeier mit Wladimir Putin. "Ich hätte es an seiner Stelle nicht getan. International wird das möglicherweise als deplatziert wahrgenommen." Die große Mehrheit der Interviewanfragen lehnt er weiterhin ab. Keine Zeit und zu viele Verpflichtungen. Doch im Juni nimmt sich Steinbrück viel Zeit.
In der "Zeit" schreibt er eine lange Rezension über "Ganz oben, ganz unten", das Buch von Christian Wulff. Der SPD-Politiker nutzt die Plattform für einen kernigen Rundumschlag gegen die "Medien als Folterwerkzeug" und solidarisiert sich mit dem Ex-Bundespräsidenten. "Wenn jeder Satz und jede Bewegung darauf abgeklopft werden, ob sie als Fauxpas oder Fettnäpfchen ausgebeutet werden können", schreibt Steinbrück. Es beschäme ihn, den richtigen Zeitpunkt für eine Geste gegenüber Wulff verpasst zu haben.
Steinbrück ist heute Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, Vorsitzender der USA-Parlamentariergruppe. Ob er 2017 mit 70 noch einmal für den Bundestag kandidiert, ist fraglich. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hätte ihn gern als Aufseher im Kuratorium der RAG-Stiftung. Auch ohne Steinbrück wird die Republik in diesen Tagen sozialdemokratischer. Mindestlohn, Rente mit 63, Doppelpass: Viele der Forderungen, mit denen er über die Marktplätze gezogen ist, werden mit der Großen Koalition Realität. Ihm selbst hilft das nicht. Er hat seine einzige Chance vertan.
In der SPD bleibt Peer Steinbrück daher eine kurze Episode. Der Partei bietet sich hingegen schon in drei Jahren die nächste Gelegenheit, den Kanzler zu stellen. Das Zeitfenster könnte dann schon günstiger sein - mit einem anderen Kandidaten.
Quelle: ntv.de