Völkermord an Jesiden Gabriel schließt Waffenlieferung nicht aus
12.08.2014, 13:39 Uhr
Gabriel (l) und Ortac, der Vertreter der Jesiden, im Willy-Brandt-Haus in Berlin.
(Foto: dpa)
SPD-Chef Gabriel fürchtet einen Genozid an den Jesiden im Nordirak. Für humanitäre Hilfe gebe es deshalb keine Obergrenze. Auch die Frage nach Waffenlieferungen aus Deutschland könnte noch aktuell werden. Die Linken liegen bereits über Kreuz.
SPD-Chef Sigmar Gabriel hat vor einer Vernichtung der Jesiden im Nordirak durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gewarnt. "Das ist die Vorbereitung eines Völkermords, eines Genozids. Um nichts anderes geht es dort", sagte Gabriel nach einem Gespräch mit Vertretern der jesidischen Gemeinden in Deutschland. "Die Glaubens- und Kulturgemeinschaft der Jesiden im Irak soll ausgerottet werden - und das mit einer wirklich brutalen Präzision, dass, glaube ich, die internationale Völkergemeinschaft davon überrascht ist", meinte Gabriel.
Der Vizekanzler unterstützt eine Forderung der Jesiden, dass die internationale Gemeinschaft und die irakische Armee Schutzzonen für die Jesiden im Nordirak errichten sollten. Deutsche Waffenlieferungen an kurdische Peschmerga-Kämpfer oder das irakische Militär lehnte Gabriel zum jetzigen Zeitpunkt ab, schloss diesen Schritt für die Zukunft aber nicht prinzipiell aus. Der Westen müsse sich die Freiheit nehmen, die Situation jederzeit neu zu bewerten, um dann zu entscheiden, was notwendig sei. Eine Aufrüstung etwa der regulären irakischen Armee aus Deutschland sei rechtlich grundsätzlich möglich.
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist zur Lieferung von Rüstungsgütern wie gepanzerten Fahrzeugen oder Sprengfallen-Detektoren bereit. Sie bekräftigte aber, dass Waffenlieferungen für den Kampf gegen den IS zunächst nicht in Frage kommen. "Aber unterhalb dieser Schwelle möchten wir alle Möglichkeiten ausnutzen, die uns zur Verfügung stehen", sagte die CDU-Politikerin.
Die Rüstungsgüter aus Bundeswehrbeständen sollen an die irakische Regierung geliefert werden. Die Bundeswehr ist laut von der Leyen auch zum Transport bereit. Bisher hatte die Bundesregierung nur humanitäre Hilfe für die von der IS angegriffenen Gebiete im Irak zugesagt. Forderungen nach Waffenlieferungen hatte sie zurückgewiesen.
Gysi bringt Parteilinke gegen sich auf
Linksfraktionschef Gregor Gysi stieß mit seinem Ja zu Waffenlieferungen in den Irak unterdessen auf Widerstand in den eigenen Reihen. Seine beiden Stellvertreter Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch stellten sich gegen ihn. "Waffenlieferungen in Spannungsgebiete unverantwortlich", twitterte Wagenknecht. Die Position der Linken bleibe: Rüstungsexporte seien Geschäfte mit dem Tod und gehörten verboten. Ähnlich äußerte sich Bartsch in der "Mitteldeutschen Zeitung": "Ich finde, dass in der Region schon genug Waffen sind. Deutschland sollte beim Waffenexport entschlossen auf die Bremse treten."
Gysi hatte sich am Montag im rbb überraschend für deutsche Waffenlieferungen an die irakische Armee und kurdische Kräfte ausgesprochen, um den Vormarsch der IS zu stoppen. "Deutschland hat was damit zu tun, (...) indem wir auch die kurdischen und irakischen Kräfte unterstützen können, die IS-Armee zu schlagen", sagte er. "Aber nicht mit eigenen Soldaten, sondern indem wir dann vielleicht mal einen Waffenexport genehmigen."
Hilfe könnte aufgestockt werden
Nach Angaben Gabriels ist Deutschland bereit, seine humanitäre Hilfe von etwa 4,5 Millionen Euro aufzustocken. Es gebe angesichts der Dramatik sicher keine Obergrenze. Die Jesiden hätten ausdrücklich nicht darum gebeten, dass Deutschland Flüchtlinge aufnimmt. Wichtiger sei der Aufbau von Schutzzonen rund um Sindschar im Nordirak, um eine Zerstörung des religiösen Zentrums der Jesiden und einen Untergang der Kultur zu verhindern.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier soll nach den Worten Gabriels die Idee von Schutzzonen für die Jesiden nun im Kreis seiner Amtskollegen vorstellen. Der militärische Schutz der Zonen wäre Aufgabe der irakischen Armee oder der USA. "Die Frage einer Bundeswehrbeteiligung stellt sich nicht", sagte Gabriel. Das Eingreifen der Amerikaner, die IS-Terroristen aus der Luft bekämpfen, sei richtig. Die USA hätten eine besondere Verantwortung im Irak, wo die aktuelle Entwicklung ja "nicht vom Himmel gefallen" sei.
Der Vorsitzende der christlich-jesidischen Gesellschaft in Deutschland, Irfan Ortac, betonte, das Ausmaß der Verfolgung im Nordirak durch die IS-Terroristen sei noch völlig unklar. "Ein Völkermord ist seit dem 2.8.2014 in vollem Gange." Seiner 4000 Jahre alten Religionsgemeinschaft drohe die Vernichtung. Nun müsse es schnell Schutzzonen für Jesiden, Christen und andere Minderheiten geben. Ortac lobte die Ankündigung, dass die Bundesregierung mehr Geld für die humanitäre Hilfe bereitstellen wolle: "Wir haben volles Vertrauen in Deutschland, das es seiner Verantwortung gerecht wird."
Quelle: ntv.de, ppo/dpa