"Ich will meine Akte" Hans Modrow und die West-Schlapphüte
28.02.2018, 07:30 Uhr
Hans Modrow verlangt Akteneinsicht.
(Foto: picture alliance / Britta Peders)
Als Ministerpräsident begleitet Hans Modrow den Sterbeprozess der DDR. Dann erfährt der Ex-SED-Funktionär, dass er von westdeutschen Geheimdiensten jahrzehntelang überwacht wurde. Nun will Modrow Akteneinsicht erzwingen.
Es ist wohl allzu natürlich, dass alte Menschen in stiller Stunde über ihr langes Leben nachdenken. Viele von ihnen wollen noch in ihrer Biografie vorhandene weiße Flecken tilgen. In Ostdeutschland gehört dazu die Einsicht in die Stasi-Akte, die mitunter zur Neubewertung von Personen im engeren Umfeld führt. Das unbarmherzige Ticken der biologischen Uhr bringt es mit sich, dass die betroffenen Menschen nicht mehr viel Zeit dafür haben, noch vor ihrem Tod zu erfahren, was sich in ihren einzelnen Lebensphasen abgespielt hat.
Hans Modrow geht es auch so. Der ehemalige DDR-Ministerpräsident hat allerdings erfahren, dass er nicht nur von der DDR-Staatssicherheit, sondern auch von westlichen Geheimdiensten überwacht worden war. Der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hatte es ihm im Jahr 2013 schriftlich bestätigt. Der CSU-Politiker hatte Modrow aber auch unmissverständlich klargemacht, dass die Akten gesperrt seien und auch blieben. Sie seien "zeitgeschichtlich bedeutsam" und gehörten ins Bundesarchiv. Seitdem kämpft Modrow darum, Einblick in seine Akten zu erhalten.
Modrow, der Ende Januar 90 Jahre alt geworden war, beschäftigt deshalb sogar die Justiz. Im Gegensatz zu dem Prozess in den 1990er-Jahren, in dem Modrow unter anderem wegen Anstiftung zur Wahlfälschung angeklagt und zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden war, ist er beim am Mittwoch beginnenden Prozess vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig der Kläger.
Verweis auf Bundesarchivgesetz
Modrow führt diesen Kampf auch öffentlich - mit dem Buch "Ich will meine Akte", das kürzlich von "edition ost" herausgegeben wurde. Der Autor Robert Allertz, der unter anderem für das sogenannte Insiderkomitee zur Förderung der kritischen Aneignung der Geschichte des MfS arbeitet, dokumentiert Modrows Schriftwechsel mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), dem Bundesnachrichtendienst (BND), dem Bundesinnenministerium, dem Bundeskanzleramt sowie der der Stasi-Unterlagenbehörde.
Modrow lässt nichts unversucht, um Einblick in die Akten zu bekommen. Er schreibt die zuständigen Behörden an, blitzt bei ihnen aber immer wieder ab. Diese verweisen auf das Bundesarchivgesetz, wonach Archivgut des Bundes erst nach 30 Jahren einzusehen ist. An Akten mit Geheimhaltungspflicht kommt man erst nach 60 Jahren heran. Damit wäre eine Akteneinsicht erst 2027 möglich - zu spät für einen Mann, der gerade sein zehntes Lebensjahrzehnt begonnen hat.
So spielt also die Zeit gegen Modrow. Er und Buchautor Allertz verlangen, dass die westdeutschen Geheimdienste genauso ihre Archive öffnen wie nach Ende der SED-Herrschaft in der DDR die Staatssicherheit. Beiden geht es um die "Gerechtigkeit und die Herstellung gleicher Lebens- und Erinnerungsverhältnisse in Ost und West".
Jahrzehntelang überwacht
Dass er auch vom Westen bespitzelt wurde, ist für Modrow keine Überraschung. Seit 1958 (vom BND) beziehungsweise 1965 (vom BfV) ging das - bis 2012, also noch lange nach der Wiedervereinigung Deutschlands, als Modrow erst Bundestags- und dann EU-Parlamentsabgeordneter war. Durch eine Kleine Anfrage der Linke-Bundestagsfraktion kam allerdings vor vier Jahren heraus, dass der Verfassungsschutz Modrow bereits seit 1951 überwachte. Zu dieser Zeit war er bereits Funktionsträger im Jugendverband FDJ und hoffnungsvoller SED-Nachwuchskader.
In den 1950er-Jahren war Modrow mit Mitgliedern des westdeutschen FDJ-Ablegers in Kontakt. 1958 - also drei Jahre vor dem Mauerbau - trat er bei der Abgeordnetenhauswahl in West-Berlin für die SED an. "Ich hatte später stets Kontakte zur Bundesrepublik, war auch auf DKP-Veranstaltungen, die von Diensten überwacht wurden", sagte Modrow der "Berliner Zeitung". Er sei nicht so blauäugig gewesen, zu glauben, nicht unter Beobachtung gestanden zu haben.
Überrascht ist er eigenen Angaben zufolge von der Länge der Zeit. Schließlich sei er doch 1989 - also kurz vor der Wende in der DDR - im Westen als Reformer und einziger hochrangiger Hoffnungsträger der SED gehandelt worden. Modrow, dessen Verhältnis zu Erich Honecker nicht frei von Spannungen war, will zudem aus den in der Bundesrepublik angelegten Akten wissen, ob der SED-Generalsekretär im Herbst 1989 Ermittlungen gegen ihn wegen Hochverrats anstrebte.
Zehntausende DDR-Bürger auf dem Radar
Vor allem die geheimdienstlichen Aktivitäten in der Wendezeit beschäftigen Modrow. Und in dieser Hinsicht arbeitet er sich auch an den Russen ab. Modrow war klar, dass Stasi-Chef Erich Mielke ihn bespitzeln ließ - zumal er bei den SED-Granden den Ruf eines Querkopfs hatte. Allerdings fand Modrow in seinen Stasiakten nur wenig Erhellendes. Ein ehemaliger Stasi-Oberst steckte ihm dann, dass seine Akten im Dezember 1989 in Dresden dem sowjetischen Geheimdienst übergeben worden seien. Man habe verhindern wollen, dass diese beim Sturm auf die Stasi-Zentrale in der Elbestadt in "falsche Hände" gerieten. Modrow ist es bis heute nicht gelungen, an diese Akten zu gelangen.
Bei seinem Gang vor das Bundesverwaltungsgericht geht es Modrow nicht nur um seine Person. Er hat ein weiterreichendes Ziel: Mit seiner Klage will er erreichen, dass auch die Beschäftigung der westdeutschen Geheimdienste mit anderen DDR-Bürgern ins Blickfeld rückt. Nach Regierungsangaben handelt es sich um etwas mehr als 70.000 Personen. Anders gesagt: Der ehemalige DDR-Ministerpräsident und SED-Bezirkschef von Dresden und jetzige Vorsitzende des Ältestenrates der Linkspartei will, dass auch dieses Kapitel der deutschen Teilungsgeschichte aufgearbeitet wird.
Quelle: ntv.de, mit dpa