Der Kriegstag im Überblick Humanitäre Feuerpause gescheitert - Israel startet Vermittlung
05.03.2022, 22:21 Uhr
1,3 Millionen Ukrainer haben ihr Land bereits verlassen. Täglich fliehen mehr.
(Foto: REUTERS)
Die Kämpfe in der Ukraine gehen mit großer Härte und vielen Opfern weiter. Beide Kriegsparteien werfen sich gegenseitig vor, die vereinbarte Evakuierung zweier umkämpfter Städte verhindert zu haben. Überraschend reist Israels Ministerpräsident Bennett für eine Vermittlungsmission zunächst nach Moskau und dann weiter nach Berlin. Mehr als eine Million Ukrainer haben inzwischen ihr Land verlassen. Zehntausende von ihnen sind nach Deutschland geflohen.
Kampf um Mariupol geht weiter
Der Versuch, Zivilisten aus den umkämpften ukrainischen Städten Mariupol und Wolnowacha über humanitäre Korridore in Sicherheit zu bringen, ist weitgehend gescheitert. Russland teilte am Nachmittag offiziell mit, seine Angriffe auf die beiden eingekesselten Städte wieder aufgenommen zu haben. "Da die ukrainische Seite nicht bereit ist, auf die Nationalisten einzuwirken oder die Waffenruhe zu verlängern, wurden die Offensivaktionen um 18 Uhr Moskauer Zeit (16 Uhr mitteleuropäischer Zeit) wieder aufgenommen", erklärte ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums.
Zuvor hatten die ukrainischen Behörden bereits die für heute geplante Evakuierung der beiden benachbarten Städte ausgesetzt. Beide Seiten warfen sich gegenseitig vor, die am Vortag vereinbarte Feuerpause nicht einzuhalten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief zur weiteren Verteidigung Mariupols auf. "Alle, die Hilfe brauchen, sollten die Möglichkeit bekommen, rauszukommen", sagte der Präsident. "Alle, die ihre Stadt verteidigen können, müssen den Kampf fortsetzen." In der Großstadt Mariupol halten sich wahrscheinlich mehrere Hunderttausend Zivilisten auf.
Nach ukrainischer Darstellung setzte Russland seine Offensive auch in anderen Kriegsgebieten fort. Beim Vormarsch auf Kiew trafen die russischen Truppen in westlichen Vororten und der nördlichen Stadt Tschernihiw weiter auf heftigen Widerstand. In Tschernihiw wurden Dutzende Zivilisten durch Artillerie- und Raketenbeschuss getötet. "Überall auf dem Boden lagen Leichen", sagte ein Anwohner der Nachrichtenagentur AFP. Die Stadt ist stark zerstört.
Das russische Militär meldete die Einnahme mehrerer kleinerer Orte sowie einer Militärbasis nahe der südukrainischen Gebietshauptstadt Cherson. Insgesamt habe man bisher mehr als 2000 Objekte militärischer Infrastruktur und mehr als 700 Panzer der Ukraine vernichtet, sagte der russische Militärsprecher Igor Konaschenkow.
Putin droht dem Westen
Präsident Wladimir Putin zufolge hat die russische Armee einen Teil der militärischen Ziele in der Ukraine bereits erreicht. So sei die "Zerstörung der militärischen Infrastruktur" in der Ukraine "als Teil der Operation (...) praktisch abgeschlossen", wie ihn russische Agenturen zitieren. Er nannte etwa Waffen- und Munitionslager.
Putin warnte den Westen vor der Durchsetzung einer Flugverbotszone über der Ukraine. "Jede Bewegung in diese Richtung wird von uns als Teilnahme des jeweiligen Landes an einem bewaffneten Konflikt betrachtet", sagte Putin. Die NATO hatte eine entsprechende Forderung der Ukraine bereits zurückgewiesen. Putin wiederholte Bedingungen für ein Ende des Kriegs gegen die Ukraine, darunter vor allem die Entmilitarisierung des Landes. "Unsere Vorschläge liegen bei einer Gruppe von Unterhändlern aus Kiew auf dem Tisch. Wir hoffen, dass sie positiv darauf reagieren werden", sagte er. "Wir müssen klar und deutlich wissen, welche Waffen wo sind und unter welcher Kontrolle sie stehen." Die beiden Kriegsparteien verabredeten nach übereinstimmenden Angaben, ihre direkten Gespräche am Montag fortzusetzen.
Israels Premier auf Vermittlungsmission
Am Abend wurde bekannt, dass der israelische Ministerpräsident Bennett als Vermittler nach Russland gereist war. Bennett traf sich zu einem Gespräch mit Putin, wie ein Sprecher des israelischen Regierungschefs bestätigte. Angaben zum Inhalt des dreistündigen Gesprächs zwischen Bennett und Putin machte der israelische Sprecher nicht. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte laut russischen Nachrichtenagenturen, Putin und Bennett hätten die "Lage in der Ukraine" erörtert.
Bennett habe nach dem Treffen den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj informiert und sich vor dem Gespräch mit Putin "mit den USA, Deutschland und Frankreich abgestimmt", hieß es aus dem Büro des israelischen Ministerpräsidenten. Aus Moskau reiste er zu einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz nach Berlin.
Mehr als 1,3 Millionen Ukrainer geflüchtet
Die Bundespolizei hat in Deutschland bislang 27.491 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine registriert, wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums mitteilte. Er wies zugleich darauf hin, dass die tatsächliche Zahl der nach Deutschland eingereisten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine deutlich höher sein könnte, da die Daten der Bundespolizei auch wegen nicht existierender Grenzkontrollen nur einen Teil der Geflüchteten abbilden würden. Weltweit waren nach Schätzung des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR bis Samstag mehr als 1,36 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen, die meisten davon nach Polen.
In vielen deutschen Städten gingen erneut Menschen auf die Straße, um gegen den Krieg und für Frieden in der Ukraine zu demonstrieren. Auch in Rom demonstrierten Zehntausende Menschen. Die russische Botschaft in Berlin beklagte unterdessen eine "Diskriminierung" von Russen in Deutschland. Die Botschaft teilte mit, sie habe allein in den vergangenen drei Tagen Hunderte Beschwerden von Landsleuten in Deutschland erhalten, die sich über Drohungen und Hassbriefe beklagt hätten.
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Quelle: ntv.de, mbo/dpa/AFP