Schnelles Ende der Dauerstreiks? Koalition knöpft sich Tarifeinheit vor
11.12.2014, 05:56 Uhr
Der Entwurf zur Tarifeinheit kommt aus ihrem Haus: Bundesministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles sitzt links neben Außenminister Steinmeier (Archivbild).
(Foto: picture alliance / dpa)
Es geht um ein Gesetz, das Bahnfahrer, Flugreisende und Unternehmen vor weiteren Chaos-Tagen bewahren soll: In Berlin liegt der Gesetzentwurf zur Tarifeinheit auf dem Kabinettstisch. Das Problem: Das Papier könnte verfassungswidrig sein.
Die Tarifautonomie ist ein hohes Gut. Doch anhaltende Auseinandersetzungen mit Spartengewerkschaften haben die Geduld vieler Reisenden zuletzt auf eine harte Probe gestellt. Die Bundesregierung arbeitet an einer schnellen Lösung, die unter den enormen gesamtwirtschaftlichen Schaden scheinbar endloser Tarifstreitigkeiten eindämmen soll.
Tarifkämpfe wie derzeit bei der Bahn sollen künftig per Gesetz vermieden werden. Das zumindest sieht der Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit vor, der an diesem Donnerstag das Bundeskabinett passieren soll. Doch auch wenn der Entwurf wie von der schwarz-gelben Koalition geplant in den kommenden Monaten das parlamentarische Verfahren durchläuft, ist sind weitere Auseinandersetzungen absehbar.
So lehnen der Beamtenbund und die Ärztegewerkschaft Marburger Bund das Gesetz strikt ab und setzen nun auf das Bundesverfassungsgericht. Der Vorsitzende von DBB Beamtenbund und Tarifunion, Klaus Dauderstädt, sagte, das Gesetz sei darauf ausgerichtet, "Arbeitskämpfe kleinerer Gewerkschaften dadurch zu untersagen, dass sie von Arbeitsgerichten stets als unverhältnismäßig, weil auf ein rechtlich unmögliches Ziel gerichtet, angesehen würden". Wenn ihr Tarifvertrag nicht mehr gelte, könnten sie auch nicht dafür streiken.
Darf Nahles die Gewerkschaften zügeln?
Schützenhilfe bekommt Dauderstädt von dem früheren Verfassungsrichter Thomas Dieterich. Der Rechtsexperte hält das von der Regierung geplante Gesetz zur Tarifeinheit von vorneherein für verfassungswidrig. Es "würde die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften eklatant einschränken", sagte er der "Berliner Zeitung". Das sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht kritisierte das von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles geplante Gesetz zudem als "bewusste Täuschung der Öffentlichkeit". Die Regierung behaupte, das Streikrecht werde nicht angetastet, obwohl es faktisch aber so sei, sagte er.
Nach dem Gesetzentwurf aus dem Haus der SPD-Politikerin Nahles soll der Einfluss kleiner Gewerkschaften mit einer Schlüsselstellung in einem Betrieb eingeschränkt werden. Überschneiden sich die Geltungsbereiche verschiedener Tarifverträge, soll nur der Vertrag jener Gewerkschaft gelten, die im Betrieb die meisten Mitglieder hat. Im Streitfall sollen die Arbeitsgerichte entscheiden.
Beamtenbund gegen "Zwangstarifeinheit"
Dauderstädt kündigte den Weg vor das Bundesverfassungsgericht an, sollte die "Zwangstarifeinheit" in vorgesehener Form kommen. DGB-Chef Reiner Hoffmann verteidigte das Vorhaben dagegen erneut. "Das Prinzip "ein Betrieb, ein Tarifvertrag" hat sich über 40 Jahre in Deutschland bewährt. Dies wieder hervorzuheben, ist erklärtes Ziel des Gesetzentwurfs", sagte der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes der "Rheinischen Post".
Insgesamt ist das Gewerkschaftslager im Hinblick auf die Pläne zur Tarifeinheit gespalten. Auch die DGB-Gewerkschaften Verdi, NGG und GEW lehnen das Gesetz ab. Im Gesetzentwurf wird argumentiert, unterschiedliche Tarifverträge konkurrierender Gewerkschaften für dieselbe Beschäftigtengruppe beeinträchtige die Tarifautonomie.
Die Düsseldorfer Fachanwältin für Arbeitsrecht, Regina Glaser, erwartet neue Auseinandersetzungen, wenn das Gesetz kommt. "Es ist zu befürchten, dass das Gesetz die Verteilungskämpfe unter den Gewerkschaften anheizen wird, die es eigentlich gerade verhindern soll", sagte die Anwältin der Kanzlei Heuking. "Es kann zu einem Machtkampf der Gewerkschaften kommen, bei dem die Gewerkschaften durch verstärkte Mitgliederwerbung um ihre Existenz und ihren Einfluss kämpfen müssen."
Quelle: ntv.de, mmo/AFP/dpa