Der Kriegstag im Überblick Leichen in Isjum weisen Folterspuren auf - Ukraine darf Haubitzen bestellen
17.09.2022, 21:08 Uhr
Russische Kampfpanzer auf dem Weg zur Front.
(Foto: picture alliance/dpa/Russian Defence Ministry)
Russische Truppen graben sich britischen Angaben zufolge nach Gebietsverlusten im Nordosten ein. Sie beschießen zudem verstärkt ukrainische Ortschaften. In Isjum scheinen die Untersuchungen der Leichen befürchtete Kriegsverbrechen zu bestätigen. Die Ukraine darf in Deutschland Haubitzen bestellen. Der 206. Kriegstag im Überblick:
Russen sollen um wichtige Versorgungslinie bangen
Das russische Militär hat nach Einschätzung britischer Geheimdienste im Nordosten der Ukraine eine Verteidigungslinie zwischen dem Fluss Oskil und der Stadt Swatowe aufgebaut. In der Region gehe die ukrainische Offensive weiter, teilte das Verteidigungsministerium in London in seiner regelmäßigen Lageeinschätzung auf Twitter mit. Russland dürfte die Kontrolle des Gebiets zwischen Swatowe und dem Oskil besonders wichtig sein, da dort eine der wenigen noch funktionierenden Haupt-Nachschublinien aus der russischen Grenzregion Belgorod verlaufe. Russland werde wahrscheinlich deshalb versuchen, das Gebiet in der Ukraine hartnäckig zu verteidigen.
Zahlreiche Ortschaften durch Russen beschossen
Intensive Kämpfe gibt es nach Angaben des "Kyiv Independent" weiterhin auch im Donbass und im Süden des Landes. So berichtet der Bürgermeister der besetzten Stadt Melitopol, Iwan Fedorow, dass eine russische Militärbasis nahe der Stadt zerstört worden sei. Die Besatzungsbehörden selbst meldeten dagegen die Bombardierung der Stromversorgung im südlichen Teil der Stadt. Nach Angaben des Gouverneur der Region Donezk, Pavlo Kyrylenko, hätten russische Truppen zudem das Wärmekraftwerk in Slowjansk beschossen und dabei beschädigt. Beim Beschuss der Städte Bachmut und Swjatohirsk seien zudem zwei Zivilisten gestorben. Elf Menschen seien verletzt worden.
Stromversorgungsleitung in Saporischschja repariert
Zudem habe Russland weitere Regionen der Ukraine mit Raketen beschossen. Nach eigenen Angaben in Cherson, Mykolajiw, Charkiw und Donezk. Die Ukraine bestätigte dies in Teilen. Nach ihren Angaben trafen vier Raketen das Dorf Tavriyske. Dabei wurden eine Schule, ein Sportverein und ein Kulturzentrum zerstört. Nach Angaben des Leiters der regionalen Militärverwaltung Oleksandr Starukh gab es keine Verletzten. Auch in Stepnohirsk wurden Hochhäuser beschossen. Menschen wurden jedoch auch dort nicht verletzt. In Orichov ist bei Angriffen ukrainischen Angaben zufolge eine Person verletzt worden.
Das russische Verteidigungsministerium unterstellt ukrainischen Truppen, zweimal Ziele nahe des Atomkraftwerks Saporischschja beschossen zu haben. Das ukrainische Außenministerium dementiert dies. Im Kraftwerk selbst tritt langsam Besserung ein. So konnte eine der Stromversorgungsleitungen nach Angaben der internationalen Atomenergiebehörde IAEA repariert werden und ist wieder in Betrieb. Die Stromversorgung wird für die sicherheitskritische Kühlung der Anlage benötigt, da alle sechs Reaktoren heruntergefahren wurden und das Kraftwerk deswegen selbst keinen Strom mehr produziert.
US-Thinktank warnt vor False-Flag-Anschlägen
Viele der Informationen beider Kriegsparteien lassen sich im Krieg derzeit nicht bestätigen. Das Institute for the Study of War (ISW) warnt aktuell speziell vor russischen Angriffen gegen die ukrainische Zivilbevölkerung unter falscher Flagge. Der Thinktank forderte die Ukrainer in den besetzten Gebieten auf, zwischen dem 17. Und 20. September öffentliche Plätze zu meiden. Solche Angriffe unter falscher Flagge könnten demnach Versuche sein, "die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft von der Niederlage in Charkiw und der Entdeckung russischer Kriegsverbrechen" abzulenken, schrieb das ISW.
Leichen in Isjum weisen Folterspuren auf
Grund von Kriegsverbrechen abzulenken, hätte Russland wohl in jedem Fall, wie die ersten Erkenntnisse aus der Gegend um das befreite Isjum nahelegen. Fast alle Leichen, die aus den Gräbern in Isjum geborgen wurden, weisen ukrainischen Angaben zufolge Spuren eines gewaltsamen Todes auf. Laut dem Gouverneur der Oblast Charkiw, Oleh Syniehubov, ist dies bei 99 Prozent der Leichen der Fall, die am 15. September aus den Gräbern exhumiert wurden. "Es gibt mehrere Leichen, deren Hände auf dem Rücken gefesselt sind, und eine Person ist mit einem Strick um den Hals begraben", schrieb Syniehubov auf Telegram. "Offensichtlich wurden diese Menschen gefoltert und hingerichtet." Im Zuge dieser Entdeckungen forderte die tschechische EU-Ratspräsidentschaft die Einsetzung eines internationalen Kriegsverbrecher-Tribunals zur Ukraine. "Im 21. Jahrhundert sind solche Angriffe auf die Zivilbevölkerung undenkbar und abscheulich", erklärte der tschechische Außenminister Jan Lipavsky auf Twitter.
Scholz will Waffen nicht im Alleingang liefern
Die Debatte um weitere Waffenlieferungen aus Deutschland bleibt derweil vielstimmig. Bundeskanzler Olaf Scholz pocht weiterhin darauf, diese Entscheidung nicht im Alleingang, sondern nur in Absprache mit Bündnispartnern treffen zu wollen. Er entgegnete gar, mit den bisherigen deutschen Waffenlieferungen "haben wir mittlerweile wahrscheinlich mit die entscheidendsten Waffen geliefert, die für das jetzige Gefecht im Osten der Ukraine notwendig sind", so Scholz im "Deutschlandfunk". Dann warnte der Deutsche Bundeswehrverband vor einer "Kannibalisierung unserer Truppe". Verbandschef André Wüstner äußerte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland gegenüber Verständnis für den Wunsch der Ukraine nach schweren Waffen, gab allerdings zu bedenken: "Was aus unserer Sicht als Berufsverband allerdings nicht mehr geht, ist die Abgabe von Waffen und Munition der Bundeswehr. Jede einzelne Lieferung führt zu einer Schwächung der Bundeswehr."
Ukraine darf Haubitzen bei deutscher Waffenschmiede ordern
Positive Kunde gab es für die Ukraine dann aber doch noch: Die Bundesregierung hat der Ukraine den Kauf von Haubitzen aus deutscher Produktion genehmigt, wie ein Regierungssprecher bestätigte. Die "Welt am Sonntag" hatte zuvor unter Berufung auf ihr vorliegende Dokumente darüber berichtet. Wie die "Welt am Sonntag" unter Berufung auf ihr vorliegende Dokumente berichtet, geht es dabei um 18 Exemplare des Waffensystems RCH-155 im Wert von 216 Millionen Euro, das Kiew beim Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann (KMW) in Auftrag geben möchte. Wermutstropfen: Die Haubitzen könnten demnach allerdings frühestens in zweieinhalb Jahren ausgeliefert werden.
Russland fehlen Teile für eigene Waffensysteme
Auch Russland hat Probleme mit fehlenden Waffen. Allerdings sind der Grund hier die westlichen Sanktionen, die Russlands Fähigkeit einschränken, moderne Waffen für den Krieg in der Ukraine zu bauen. Dies sagte der Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Rob Bauer, zu Reuters. Demnach werde die russische Waffenindustrie durch die Sanktionen immer mehr behindert, denn einige der Komponenten, die sie für ihre Waffensysteme benötige, stammen aus der westlichen Industrie. So falle es Russland offenbar zunehmend schwer, Ersatz für Marschflugkörper und fortschrittlichere Waffensysteme zu produzieren. Trotz der Sanktionen könne Russland jedoch noch "eine Menge Munition" herstellen, fügte er hinzu.
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Quelle: ntv.de, als/dpa/AFP/rts