Zehn Jahre nach Hartz IV Linke fordert "Neustart" in der Sozialpolitik
02.01.2015, 10:24 Uhr
Linken-Chefin Katja Kipping kann nichts Positives an Hartz IV finden.
(Foto: picture alliance / dpa)
Vor zehn Jahren tritt ein Gesetz in Kraft, das bald so ziemlich jeder Deutsche kennt: Hartz IV. Die Arbeitslosigkeit sinkt bald darauf, dafür entsteht ein Niedriglohnsektor. Linke und Gewerkschaften wollen das nicht hinnehmen und ziehen ein vernichtendes Fazit.
Zehn Jahre nach dem Start der Hartz-IV-Reform zieht die Linkspartei eine vernichtende Bilanz und fordert einen "grundlegenden Neustart" in der Sozialpolitik. "Hartz IV bedeutet wirklich Armut per Gesetz", sagte die Linke-Vorsitzende Katja Kipping im ARD-"Morgenmagazin". Hartz IV habe einen Niedriglohnsektor befördert. Lohndumping werde noch mit Steuergeldern unterstützt, weil die niedrigen Löhne aufgestockt werden.
Auch sei nicht zusätzliche Arbeit entstanden. "Unsere Bilanz von zehn Jahren Hartz IV besagt ja auch, dass das Arbeitsvolumen in Gänze nicht zugenommen hat, sondern es ist nur neu aufgeteilt worden. Es braucht einen grundlegenden Neustart", sagte Kipping. Die Linkspartei wolle Hartz IV durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung ersetzen, weil unter 1050 Euro pro Monat Armut drohe.
Der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge forderte wegen solcher Folgen bei n-tv.de eine Rückabwicklung der Reform. Der Kölner Ökonom Holger Schäfer hielt dagegen: "Hartz IV ist sehr viel besser als sein Ruf", findet er.
Rund 2,7 Millionen Menschen in Deutschland - das sind 6,3 Prozent - sind heute arbeitslos (Stand Oktober). Vor zehn Jahren war noch jeder Zehnte (10,1 Prozent) ohne Job, 4,4 Millionen Menschen hatten keine Arbeit (Stand Oktober 2004). Im darauffolgenden Jahr erreichte die Arbeitslosigkeit mit rund fünf Millionen Arbeitslosen ihren Spitzenwert seit der Wiedervereinigung. Im Wesentlichen hing diese Entwicklung mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammen ("Hartz-IV-Effekt").
15 Millionen Menschen bekamen Hartz IV
Trotz der positiven Zahlen dringen auch die Gewerkschaften auf durchgreifende Korrekturen. Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske , sagte, bei der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen müsse mehr getan werden. Entsprechende Schritte hatte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles bereits angekündigt. Eine dieser "Korrekturen" ist zum Jahreswechsel in Kraft getreten: Seit dem 1. Januar gilt der Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde.
Rund 15 Millionen Menschen haben nach Berechnungen des DGB in den vergangenen zehn Jahren zumindest zeitweilig Hartz IV bezogen. Das berichtet die "Welt" Anfang der Woche unter Berufung auf eine Analyse des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum zehnten Jahrestag der Arbeitsmarktreform.
"Das Hartz-IV-System ist äußerst komplex und schnell überfordert", zitiert das Blatt aus dem Papier. Immerhin sollten fast zehn Prozent der Bevölkerung finanziell abgesichert und zugleich gefördert werden. Die hohen Ziele der Reform seien jedoch verfehlt worden. Auch zehn Jahre nach dem Start der Hartz-Reformen seien immer noch mehr als sechs Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen.
Zudem habe die Reform die Ausbreitung von Niedriglohn und prekärer Beschäftigung begünstigt. Der Abschied aus der Arbeitslosigkeit sei zudem oft nicht von Dauer. Etwa die Hälfte derjenigen, die eine Beschäftigung aufnähmen, melde sich spätestens nach einem halben Jahr wieder beim Jobcenter.
Quelle: ntv.de, vpe/dpa