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Mögliche Partei-Neugründung Maaßen bekommt Aufmerksamkeit, die CDU ihre Ruhe

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Wenn es nach Maaßen geht, wird am Samstag aus der Werteunion eine Partei.

Wenn es nach Maaßen geht, wird am Samstag aus der Werteunion eine Partei.

(Foto: picture alliance/dpa)

Hans-Georg Maaßen will aus der Werteunion eine Partei machen und die CDU hinter sich lassen. Damit würde sich Maaßen in einen umkämpften Teil des politischen Marktes stürzen - mit unsicheren Erfolgsaussichten. Dennoch kommen durch den Schritt womöglich beide Seiten voran.

Hans-Georg Maaßen ist sicher nicht, was man einen begnadeten Redner nennen würde. Am Abend des 11. Januar brandet in der Gaststätte, in der Maaßen redet, dennoch immer wieder Begeisterung auf. Ein Video der Rede im nordrhein-westfälischen Radevormwald steht online. Man sieht, wie Maaßen vor rund 100 Menschen fast eine Dreiviertelstunde lang spricht, Seite um Seite seines Manuskripts wegarbeitet. Seine Vorwürfe sind schwer: Wie die CDU ihn behandele, das sei kein Umgang, wie er in einer freiheitlichen demokratischen Partei üblich sei. So ginge man in sozialistischen Staaten mit parteiinternen Feinden um. Maaßen sagt das ohne Bewegung in der Stimme, er hält einen Vortrag.

Maaßen sagt: "Wir haben lange genug die eine Wange hingehalten, wir müssen nicht auch noch die andere hinhalten" und legt eine Manuskriptseite weg. Die Menge applaudiert, aber Maaßen reagiert nicht. Er wartet, bis der Saal sich beruhigt hat und redet weiter: Er wolle sich mit seinem Verein, der Werteunion, von CDU und CSU abspalten und eine eigene Partei gründen.

Eine weitere Partei rechts der CDU. Neben der AfD, den Freien Wählern und seit Neuestem dem Bündnis Sahra Wagenknecht. Man mag sich fragen, wem diese Partei Stimmen streitig machen wird? Aber man darf sich auch wundern, wie ein so dröger Mensch wie Maaßen Wählerinnen und Wähler begeistern will. Unter dem Video von Maaßens Vortrag immerhin sind Hunderte begeisterter Kommentare zu lesen. Ein User schreibt: "Viel Erfolg für Ihre neue Partei. Meine Stimme haben Sie!"

"Räume der Werteunion keine großen Chancen ein"

Von 2012 bis 2018 war Maaßen Präsident des Bundesverfassungsschutzes. Diesen Posten musste er räumen, nachdem er im Spätsommer 2018 rechtsextreme Ausschreitungen in Chemnitz verharmlost hatte. Maaßen bezweifelte damals die Echtheit eines Videos, auf dem ein Mann aus einer Gruppe rechter Demonstranten auf zwei Migranten zustürmte: Es habe keine "Hetzjagden" gegeben. Maaßen bekräftigte seine Sichtweise trotz aufgekommener Beweise später erneut.

Bei der Bundestagswahl 2021 kandidierte Maaßen für die CDU in Thüringen, was auch innerhalb der Union kritisiert wurde. Immer weiter entfernte er sich von seiner Partei, die im Februar 2023 schließlich ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn einleitete. Kurz zuvor war er Vorsitzender der Werteunion geworden, eines Vereins, der sich selbst als "konservative Basisbewegung innerhalb von CDU und CSU" versteht, von den Unionsparteien aber nicht anerkannt wird. Mit diesem Verein will sich Maaßen nun von denen lossagen, die ihn ohnehin loswerden wollen: Die Werteunion entscheidet am Samstag darüber, ob aus ihr eine Partei hervorgehen soll.

Die Werteunion hat nach eigenen Angaben 4000 Mitglieder, davon haben demnach 85 Prozent ein Parteibuch von CDU oder CSU. Beide Zahlen werden von Fachleuten bezweifelt. Vergangene Woche allerdings genügten zwei Mitglieder der Werteunion, um auch CDU und CSU in ein schlechtes Licht zu rücken: Die beiden nahmen an einem Treffen von Rechtsextremen in Potsdam teil, bei dem die Vertreibung von Menschen aus Deutschland diskutiert wurde. Die Werteunion bestätigte und verteidigte die Anwesenheit ihrer NRW-Vorsitzenden und deren Stellvertreterin. CDU-Chef Friedrich Merz hingegen sagte, er wolle, dass CDU-Parteibuch und Mitgliedschaft in der Werteunion bald nicht mehr miteinander vereinbar sind.

"Das wäre für die CDU ganz günstig"

Sollte die Werteunion sich aber jetzt als Partei neu gründen, wäre das überflüssig. Alle größeren politischen Parteien schlössen in ihren Statuten die Mitgliedschaft in einer zweiten Partei aus, sagt der Politologe Uwe Jun ntv.de. Die Werteunion habe CDU und CSU in eine unangenehme Lage gebracht, erklärt der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher im Gespräch mit ntv.de: Eine Gruppierung in ihren Reihen, zu der sie sich verhalten musste, auf die sie aber wenig Zugriff hatte, weil sie eben keine offizielle Organisation innerhalb der CDU war.

Auch deshalb würde die CDU im Moment sicher gerne auf diejenigen Mitglieder verzichten, die tatsächlich zur Werteunion abwandern, sagt Biebricher. Zu dieser Gruppe dürfte Hans-Georg Maaßen gehören, gegen den schon seit Februar vergangenen Jahres ein Parteiausschlussverfahren läuft - mittlerweile in zweiter Instanz. Deshalb sei die mögliche Parteigründung für die CDU "ganz günstig", meint Biebricher.

Maaßen plant mit seiner Partei bereits bei den anstehenden Landtagswahlen im Osten anzutreten. Er denke nicht, dass man eine Mehrheit erringen werde, ordnete Maaßen in Radevormwald selbst seine Erfolgsaussichten ein. "Ich räume der Werteunion um Maaßen im Augenblick keine großen Chancen ein", sagt die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch ntv.de und fügt hinzu: "Sie ist auch nicht dabei, die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden."

"Aiwanger ist Maaßen meilenweit überlegen"

Schuld an den trüben Aussichten für Maaßens Partei ist auch der politische Raum, in den sie vorstoßen will. Die Werteunion wolle konservativ-liberale Positionen besetzen, möglicherweise auch mit radikaleren Einschlägen, "ohne dabei allzu radikal zu erscheinen", sagt Professor Jun. Allerdings ist er nicht der Einzige, der hier wenig Raum für eine neue Partei sieht: "Die Lücke zwischen der AfD auf der extremen rechten Seite und einer sich konservativ gebenden CDU ist meines Erachtens nicht allzu groß", sagt Münch: "Und diese Lücke besetzen gerade schon die Freien Wähler".

Thomas Biebricher weist darauf hin, dass im selben politischen Spektrum auch noch das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht unterwegs sei. "Es gibt momentan ein Überangebot in diesem Bereich", sagt der Frankfurter Professor. Er könne nicht erkennen, wo da die Originalität der Werteunion als Partei bestehen solle.

Die inhaltlichen Differenzen zwischen Werteunion und Freien Wählern etwa dürften für viele Menschen nur schwer zu erkennen sein, meint Uwe Jun. Einen Unterschied im Stil sieht Münch: "In Sachen Populismus, bei der Ansprache der Bürger, bei der Verkörperung der einfachen Leute, da ist Hubert Aiwanger Herrn Maaßen meilenweit überlegen."

Unzufriedenheit und fehlende Anerkennung

Maaßen will ohnehin mit allen reden und zusammenarbeiten, er hasse den Ausdruck "Brandmauer", sagt er in Radevormwald. Die Politikwissenschaftlerin Münch schließt eine Kooperation von Freien Wählern und Werteunion aus, beide Parteien hätten vollkommen unterschiedliche Stoßrichtungen, auch in der Ansprache. Sie sehe auch nicht, was Maaßen für Aiwanger attraktiv machen sollte, sagt die Münchner Wissenschaftlerin. Uwe Jun ergänzt: "Dass Herr Maaßen mit der Parteigründung ja eigene Führungsansprüche geltend machen will, macht eine unmittelbare Zusammenarbeit mit den Freien Wählern nicht unbedingt wahrscheinlicher."

Wenn aber die Erfolgsaussichten für eine Werteunion-Partei so gering sind, ihr politisches Terrain so umkämpft ist, warum würden Hans-Georg Maaßen und seine Mitstreitenden das Wagnis einer Parteigründung eingehen? Die Unzufriedenheit mit der Union und fehlende Anerkennung aus deren Reihen seien sicher Gründe, sagt Jun. Münch meint: "Ich glaube, das ist ein relativ kleiner Kreis, der Herr Maaßen das Gefühl gibt, dass er da irgendetwas Größeres bewegen könnte."

"Die sind wir jetzt losgeworden"

Maaßen schätze seine Chancen offenbar besser ein als andere, so Münch. Das Wählerverhalten in Deutschland sei sehr beweglich geworden, darauf setze er zu Recht. Dass die Werteunion davon profitieren könne, sei aber nicht gegeben.

Sicher sei jedoch: Schon sich überhaupt als Partei zu gründen, zu Wahlen anzutreten, bringe bereits Vorteile und Privilegien mit sich, sagt die Politikwissenschaftlerin. Spendenbegünstigungen, Zugang zu öffentlichen Mitteln, zur Parteienfinanzierung - möglicherweise hoffe die Werteunion noch gar nicht auf den Einzug in die Parlamente, so Münch. Vielleicht wolle sie sich erst einmal eine solide Ausgangslage schaffen.

Stabilisieren würde die Parteiwerdung der Werteunion vorrangig CDU und CSU. Die Abwanderung eines so kleinen Anteils an Mitgliedern sei zu verschmerzen, sagt der Politologe Jun. Viel wichtiger: Laut Thomas Biebrich ergibt sich für Friedrich Merz so die Gelegenheit zu sagen: "Schaut, es gibt möglicherweise in der Union Leute, die zu sehr in Richtung rechten Rand schielen, aber die sind wir jetzt losgeworden."

Quelle: ntv.de

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