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Massaker-Videos im Internet Was passiert in der "Hölle" von Al-Faschir?

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Massenexekutionen, Vergewaltigungen und Verstümmelungen. Bei der Eroberung der sudanesischen Stadt Al-Faschir verüben die Angreifer zahlreiche Gräueltaten. Von Völkermord ist die Rede, von einer "Hölle". Doch worum geht es in dem Konflikt, wer ist involviert - und gibt es eine Lösung?

Lachende Gesichter. Mehrere Männer winken in die Kamera. Sie schwenken ihre Gewehre. Hinter ihnen: Leichen. Es sind brutale, zynische Videos, die derzeit in den sozialen Netzwerken kursieren. Sie zeigen Kämpfer der RSF-Miliz im sudanesischen Al-Faschir, die Kriegsverbrechen begehen. Menschen werden gequält und hingerichtet. Die Mörder selbst protzen in den Videos mit ihren Taten.

Nicht nur solche Videos, auch Aussagen von Flüchtlingen zeichnen ein dramatisches Bild. "Wir haben schreckliche Berichte über Massenhinrichtungen, Massenmorde, Vergewaltigungen, Angriffe auf humanitäre Helfer, Plünderungen, Entführungen und Zwangsumsiedlungen erhalten", sagte bereits am Freitag Seif Magango, Sprecher des UN-Menschenrechtsbüros.

Der Fall der Stadt Al-Faschir in der sudanesischen Region Dafur hat international einen Konflikt ins Gedächtnis gerufen, der sonst selten thematisiert wird: Im Sudan herrscht seit Jahren Krieg. Ein Ende ist nicht in Sicht. Die Lage für die Zivilisten ist dramatisch, wird immer schlimmer. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Wer kämpft im Sudan?

Der Sudan hat chaotische und blutige Jahre hinter sich. Nach dem Sturz des Langzeitdiktators Umar al-Baschir 2019 wurde General Abdel Fattah Burhan zum Chef des sogenannten Souveränen Rates, in dem Militär und Opposition den Übergang des Landes gestalten sollten. Burhan wurde damit de-Facto-Staatschef des Sudans und Oberbefehlshaber über die Streitkräfte. Sein Stellvertreter wurde Mohammed Hamdan Daglo, genannt Hemeti, Chef der RSF-Miliz. RSF steht für Rapid Support Forces - schnelle Unterstützungskräfte.

Anette Hoffmann vom niederländischen Think Tank Clinendael spricht gegenüber dem ZDF auch gar nicht von einem Bürgerkrieg, sondern von einem Machtstreit zweier Generäle. Dieser entzündete sich wohl an der Frage, ob und wie die mächtige RSF-Miliz in die reguläre Armee integriert wird. Am 15. April 2023 griff die RSF-Miliz strategisch wichtige Ziele im ganzen Land an. Seitdem tobt ein Krieg, in dem es um die Kontrolle über den Staat und die reichen Ressourcen des Landes geht: Gold, Erdöl und das etwa für Medizin und Lebensmittelindustrie nötige Harz Gummi arabicum.

Wie ist die militärische Lage?

Lange war die Hauptstadt Khartum umkämpft, sie ist mittlerweile stark zerstört und entvölkert. Stattdessen ist Port Sudan mit dem größten Seehafen des Landes die faktische Hauptstadt. Im März dieses Jahres konnten die sudanesischen Streitkräfte Khartum komplett erobern. Derweil hat sich die RSF-Miliz vor allem in der Region Darfur im Osten des Landes festgesetzt. Dort konnte sie nach etwa 500 Tagen Belagerung im Oktober Al-Faschir erobern, die letzte von Regierungstruppen gehaltene Provinzhauptstadt der Region. Zahlreiche Zivilisten hatten dort Schutz gesucht.

Insgesamt gab es in dem Krieg bisher Zehntausende Tote, eine Schätzung spricht gar von 150.000 Toten. Rund zwölf Millionen Menschen wurden vertrieben, etwa drei Millionen davon in umliegende Staaten wie Ägypten, Südsudan oder Tschad. Die UN beschreiben die Lage in dem Land als die größte humanitäre Krise der Welt. Ein Ende des Konflikts ist aber nicht in Sicht. "Beide Seiten haben noch ausreichend Ressourcen, um die Kämpfe fortzusetzen. Auch, weil sie von außen unterstützt werden", sagte Volker Perthes, ehemaliger UN-Sonderbeauftragter für den Sudan, dem "Tagesspiegel".

Was ist in al-Faschir passiert?

Schon vor der Eroberung war die Lage in al-Faschir dramatisch. Laut Schätzungen befanden sich zur Zeit der Belagerung 300.000 Zivilisten dort. Sie hatten kaum Zugang zu Lebensmitteln oder medizinischer Versorgung, aßen Wurzeln oder Tierfutter. Im Zuge der Eroberung der Stadt am 26. Oktober kam es zu zahlreichen Gräueltaten. Augenzeugen berichteten von "Szenen eines Völkermords", UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher sprach von einer "Hölle" mit Massenexekutionen, Vergewaltigungen und Verstümmelungen. Das sudanesische Ärztenetzwerk meldete 1500 tote Zivilisten innerhalb weniger Tage. Bei einem Angriff auf eine Klinik wurden laut der Weltgesundheitsorganisation WHO 460 Menschen erschossen.

Seit der Einnahme von al-Faschir ist die Stadt weitgehend abgeschottet. Berichte über Gräuel stützen sich auf Augenzeugen, die aus der Stadt fliehen konnten, Regierungsangaben sowie Fotos und Videos, die von Mitgliedern der RSF-Miliz verbreitet werden. Unabhängig lassen sich viele Angaben nicht überprüfen, das wahre Ausmaß der Gräuel ist unbekannt. Allerdings berichtete das Humanitarian Research Lab (HLR) der US-Uni Yale anhand von Satellitendaten von Massakern - Verfärbungen des Bodens sollen auf Blutlachen hindeuten. Demnach gab es Hinrichtungen in der Nähe von zwei Krankenhäusern sowie "systematischen Tötungen" am Wall der Stadtbefestigung im Osten von Al-Faschir.

Wie reagieren die RSF auf die Vorwürfe?

Sie stritten zunächst ab, dass es Massaker gegeben habe. Einerseits wirft die Miliz der Armee vor, viele der Videos von Gräueltaten "gefälscht" zu haben. Andererseits sollte aber ein Komitee eingerichtet werden, um die Authentizität der Videos und die Vorwürfe zu überprüfen.

Vor allem ein Mann macht dabei von sich Reden: Brigadegeneral Al-Fateh Abdullah Idris, genannt Abu Lulu. Er hat auf Tiktok Videos von seinem brutalen Vorgehen in Al-Faschir veröffentlicht. Ein von der Nachrichtenagentur AFP verifiziertes Video zeigt, wie Abu Lulu aus nächster Nähe unbewaffnete Männer erschießt. Ein anderes zeigt ihn mit weiteren Bewaffneten neben Dutzenden Leichen und ausgebrannten Fahrzeugen. Abu Lulu selbst rühmt sich per Video, 2000 Menschen ermordet zu haben.

Ein von den RSF veröffentlichtes Video zeigt ihn dann Ende vergangener Woche hinter Gittern. Laut der Miliz nehmen "Rechtsausschüsse" Ermittlungen auf, um die Kämpfer "zur Rechenschaft zu ziehen". Ob das stimmt, ist nicht klar.

Was haben ethnische Zugehörigkeiten mit dem Konflikt zu tun?

Der RSF-Miliz wird vorgeworfen, gegen ethnische Minderheiten brutal vorzugehen. "Vor allem für die nicht-arabische Bevölkerung ist die Lage sehr gefährlich", sagte Perthes dem "Tagesspiegel" mit Blick auf Al-Faschir. "Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass es in anderen von den RSF eingenommenen Städten zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen und zu ethnischen Vertreibungen gekommen ist."

Das hat eine Vorgeschichte: In Darfur leben neben Arabern auch Volksgruppen wie Fur, Masalit und Zaghawa sowie kleinere Gruppen. Im Kampf um mehr politische Mitbestimmung erhoben sie sich Anfang der 2000er Jahre gegen die Regierung. Die Aufstände der ethnisch-afrikanischen Bevölkerung wurden brutal niedergeschlagen, 300.000 Menschen kamen zwischen 2003 und 2008 ums Leben. Der internationale Strafgerichtshof spricht von einem Völkermord. Mit dabei: Burhan als Teil der Armee, vor allem aber Daglo und die Dschandschawid, arabische Reiternomaden, denen etliche Kriegsverbrechen vorgeworfen werden. Aus ihnen entstand 2013 die RSF-Miliz. Der Kampf der ethnischen Gruppen um Land und Ressourcen wie Wasser hält bis heute an.

Wie reagiert die internationale Gemeinschaft?

Der UN-Sicherheitsrat zeigte sich "zutiefst besorgt" über die zunehmende Gewalt. Die stellvertretende UN-Generalsekretärin für Afrika, Martha Ama Akyaa Pobee, übte aber auch Kritik an dem Gremium: "Berichte und Warnungen über die sich entfaltende Katastrophe in Al-Faschir liegen seit Monaten vor. Bislang hat der UN-Sicherheitsrat nicht entschieden gehandelt, um eine Verschlimmerung der Situation zu verhindern."

Auch die Afrikanische Union (AU) warnte in der Folge vor "Kriegsverbrechen und ethnisch motivierten Morden". Das Auswärtige Amt zeigte sich auf X "erschüttert" von den Berichten, Bundesaußenminister Johann Wadephul nannte die Lage "apokalyptisch". UN-Generalsekretär António Guterres kritisierte, dass angesichts der Massaker weiterhin Waffen an die Konfliktparteien gelangten.

Welche Staaten spielen in dem Konflikt eine Rolle?

Auf beiden Seiten stehen internationale Verbündete, die militärische Unterstützung leisten. Die Vereinigten Arabischen Emirate beliefern dabei die RSF-Miliz. Laut dem "Wall Street Journal", das sich auf US-Geheimdienste berief, geht es um moderne chinesische Drohnen, Maschinengewehre, Fahrzeuge, Artillerie, Mörser und Munition. Gute Kontakte hat Milizchef Daglo auch zu Nachbarstaaten wie Tschad, Äthiopien, der Zentralafrikanischen Republik oder Kenia und Uganda.

General Burhan wiederum erhält Hilfe etwa aus Ägypten - die RSF-Miliz meldete mehrfach Angriffe durch ägyptische Kampfflugzeuge -, dem Iran, Saudi-Arabien und der Türkei. Beide Seiten bezahlen ihre Unterstützer mit Gold, über das der Sudan reichlich verfügt. Laut Expertin Hoffmann landet dieses am Ende auch in Deutschland. Sie spricht von "Blutgold".

Selbst der russische Angriffskrieg in der Ukraine strahlt auf den Sudan aus: Weil russische Söldner des sogenannten Afrikakorps, der früheren Gruppe Wagner, auf Seiten der RSF-Miliz kämpfen und Goldminen unter deren Schutz ausbeuten, kamen ukrainische Soldaten Burhan zu Hilfe, als dieser in Khartum eingeschlossen war. Es war eine Gegenleistung dafür, dass die sudanesische Regierung die Ukraine nach dem russischen Überfall mit Waffen versorgt hatte. Allerdings sucht Russlands Machthaber Wladimir Putin auch die Nähe zu Burhan, denn an der Küste des Sudan, an der wichtigen Handelsroute des Roten Meers, soll eine russische Marinebasis entstehen.

Wie könnte es jetzt weitergehen?

"Die Diplomatie ist fast zum Stillstand gekommen", sagte Perthes dem WDR. Konfliktforscherin Hoffmann verweist auf einen gescheiterten Gipfel in Washington Ende Oktober. Sie spricht von "mangelnden politischen Druck aus dem Westen". Zum Frieden sehen die Experten nur einen Weg: Die militärische Unterstützung für beide Seiten müsse ausgetrocknet werden.

UN-Vize Pobee warnte nach der Eroberung Al-Faschirs sogar vor einer Ausweitung des Krieges in den zentralen Bundesstaat Nord-Kordofan. Die Region sei "wahrscheinlich der nächste Schauplatz militärischer Aktivitäten für die Kriegsparteien", sagte sie. Die RSF-Miliz hat bereits erste Vorstöße dorthin ausgeführt und laut UN auch schon Gräueltaten begangen.

Einig sind sich Beobachter auch, dass dem Sudan eine erneute Teilung droht - in einen Regierungsbereich im Norden, Osten und im Zetrum sowie einen RSF-kontrollierten Bereich im Westen und Süden. "Die RSF haben eine Parallelregierung in Darfur eingesetzt. Es läuft also wohl auf eine Spaltung des Sudans hinaus", sagte Experte Perthes. Bereits 2011 spaltete sich der Südsudan ab - das Gebiet ist anders als der Sudan eher schwarzafrikanisch und mehrheitlich christlich geprägt.

Quelle: ntv.de, mit dpa/AFP

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