Militärkolonne Richtung Telmanowe? Merkel verlangt Aufklärung von Putin
27.08.2014, 20:21 Uhr
Ist eine neue Militärkolonne auf dem Weg nach Donezk?
(Foto: AP)
Sind erneut russische Kämpfer in die Ukraine eingedrungen? Die Armee berichtet von einer hundert Fahrzeuge umfassenden Kolonne - doch der Sicherheitsrat kann dies nicht bestätigen. Indes meldet Moskau Fortschritte im Ringen um einen zweiten Hilfskonvoi.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Aufklärung über Berichte zur Präsenz russischer Soldaten auf ukrainischem Territorium gefordert. Russland sei aufgerufen, hierzu seinen Teil beizutragen, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert nach einem Telefonat Merkels mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin mit.
Merkel habe die große Verantwortung Russlands für eine Deeskalation und für eine Überwachung der eigenen Grenze unterstrichen. Die Kontaktgruppe, bestehend aus Vertretern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Russlands und der Ukraine, müsse ihre Bemühungen um einen Waffenstillstand und eine effektive Grenzsicherung intensivieren, betonte die Kanzlerin.
Das Militär der Ukraine und der nationale Sicherheitsrat hatten sich zuvor unterschiedlich zum mutmaßlichen Eindringen eines russischen Militärkonvois auf das Hoheitsgebiet des Landes geäußert. Nach Darstellung der Armee sind erneut russische Soldaten in die Ostukraine eingedrungen. Eine Kolonne von hundert Panzern, Truppentransportern und Grad-Raketenwerfern habe die Grenze überschritten. Dagegen sagte der Sprecher des Sicherheitsrates, dass dem Gremium von einer Panzerkolonne im Grenzgebiet nichts bekannt sei. "Heute haben wir dort keine Bewegung einer Kolonne festgestellt", betonte er. Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte derweil, die Ukraine müsse ein "angenehmes" Land für die dort lebenden Russen bleiben.
Noch in der Nacht zuvor hatte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko nach seinem Vier-Augen-Gespräch mit Russlands Präsident Wladimir Putin in der weißrussischen Hauptstadt Minsk Hoffnung verbreitet: Er habe einen Friedensplan vorgelegt und dieser sei "ausnahmslos" von allen Teilnehmern des Gipfeltreffens unterstützt worden. Putin bezeichnete die Krise dagegen als "interne Angelegenheit" der Ukraine. Moskau habe daher "kein Recht", Partei zu ergreifen oder Bedingungen für eine Waffenruhe zu stellen.
Russen errichten angeblich Stützpunkt
Am Vormittag vermeldete dann die ukrainische Armee, dass erneut eine russische Militärkolonne auf ukrainischem Territorium unterwegs sei. Die Kolonne sei auf dem Weg in die Ortschaft Telmanowe, die rund 80 Kilometer südlich der Separatistenhochburg Donezk liegt. Kiew meldete zudem, ein Bataillon russischer Soldaten habe in der Nähe des Dorfes Pobeda rund 50 Kilometer südlich von Donezk einen Stützpunkt errichtet. Wie Militärsprecher Andrij Lysenko sagte, drang zudem eine Kolonne aus fünf Truppentransportern und einem Lastwagen in die Stadt Amwrosijiwka 25 Kilometer nordöstlich von Pobeda ein.
Kiew wirft Russland seit Monaten vor, die Separatisten mit Kämpfern und Waffen zu unterstützen. Die Bundesregierung forderte Putin erneut zum Stopp der Militärhilfe für die Rebellen auf. Nach einem Telefongespräch von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Poroschenko sagte Merkels Sprecher Steffen Seibert, der Strom von Waffen und Kämpfern in die Ukraine sei "ein Unding, ein schlimmer Zustand, der zur permanenten Eskalation beiträgt".
Lawrow kündigt weitere Konvois an
Moskau bestreitet bislang jede direkte Einmischung. Zu Wochenbeginn waren jedoch erstmals zehn russische Fallschirmjäger im Osten der Ukraine festgenommen und identifiziert worden. Russische Medien berichteten zudem über die Beerdigung zweier in der vergangenen Woche in der Ostukraine getöteter russischer Fallschirmjäger. "Führt Russland Krieg gegen die Ukraine, und wenn ja, warum?", fragt nun das auflagenstarke Blatt "Wedomosti". "Jemand muss für die Opfer unter den russischen Soldaten die Verantwortung übernehmen."
Außenminister Lawrow betonte, Moskau habe "kein Interesse" an einem Auseinanderbrechen der Ukraine. Russland sei aber daran interessiert, dass es dort weiterhin "eine große russische Bevölkerung" gebe, damit die Ukraine für Russen ein "angenehmes" Land bleibe. Ein geplanter zweiter russischer Hilfskonvoi für die notleidende Bevölkerung in der Ostukraine solle "nicht der letzte" bleiben.
Bislang sind bei den Kämpfen zwischen ukrainischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten schon mehr als 2200 Menschen getötet worden. Auch am Mittwoch gingen die Kämpfe weiter. Binnen 24 Stunden seien 13 Soldaten getötet worden, hieß es aus Kiew. Die Stadtverwaltung von Donezk meldete den Tod von drei weiteren Zivilisten. Nach Angaben eines Polizisten wurden zudem drei Insassen eines Autos getötet, das in der Innenstadt von Granatsplittern getroffen wurde.
Schweden und Finnland öffnen sich der Nato
Unterdessen hat Russland den Westen vor einer Ausweitung seiner Militärpräsenz in Osteuropa gewarnt. "Russland wird auf Schritte der Nato im Osten reagieren", teilte Moskaus ständige Vertretung bei dem Militärbündnis mit. Die Nato hält kommenden Woche in Wales ihr Gipfeltreffen ab. Eine Verstärkung der Truppen in Osteuropa gefährde die euro-atlantische Stabilität, schrieb die Vertretung im Kurznachrichtendienst Twitter. Es dränge sich der Verdacht auf, dass die Nato Russland nicht als Partner sehe. Nato-Chef Anders Fogh Rasmussen hatte im Zuge der Ukraine-Krise eine Verlegung von Truppen ins östliche Bündnisgebiet erwogen.
Vor dem Hintergrund der Krise wollen zudem die neutralen EU-Länder Finnland und Schweden Übungen von Nato-Soldaten in ihren Ländern zulassen. Eine entsprechende Vereinbarung soll laut finnischem Verteidigungsminister Carl Haglund bei dem Treffen in Wales unterzeichnet werden. Auch Schweden arbeite an einem ähnlichen Abkommen mit der Nato, sagte die schwedische Verteidigungsministerin Karin Enström einem Bericht des "Svenska Dagbladet" zufolge. Am Ende müsse aber das Parlament darüber entscheiden.
Beide Länder sind aus Rücksicht auf Russland keine Nato-Mitglieder. Finnlands neuer Ministerpräsident Alexander Stubb scheint darauf aber keine Rücksicht mehr nehmen zu wollen. Er hält eine Mitgliedschaft für wünschenswert und auf lange Sicht auch möglich. Die finnische Bevölkerung ist Umfragen zufolge allerdings mehrheitlich dagegen.
Quelle: ntv.de, dsi/jwu/AFP/dpa