Wahl in der Lithium-Schatzkammer Morales will Industrie selbst aufbauen
13.10.2014, 17:23 Uhr
Strahlender Sieger: Evo Morales (M.) hat große Pläne.
(Foto: AP)
Hohe Einnahmen aus Bodenschätzen, Prestigeprojekte und das höchste Wirtschaftswachstum in Südamerika: Boliviens Präsident Evo Morales hat viele Argumente für eine Wiederwahl. Nun bestätigt das Land den Staatschef im Amt - und träumt trotz aller Probleme von Industrialisierung.
Bolivien hat gewählt. Evo Morales bleibt Präsident und kann eine dritte Amtszeit antreten. Neben dem Erfolg für Morales ist dies auch ein Signal, dass sich die Zeiten in Südamerika langsam ändern: Politisch, weil die Führungen inzwischen in einem vormals politisch instabilen Land wie Bolivien trotz großer Umwälzungen nicht abgewählt oder einfach weggeputscht werden. Und wirtschaftlich, weil damit auch mittel- und langfristige Projekte möglich sind.
Während die großen südamerikanischen Volkswirtschaften in Chile, Argentinien und vor allem Brasilien auf höherem Niveau relativ spärliche Wachstumsraten vorweisen, ist Bolivien mit seinen rund 10 Millionen Einwohnern derzeit auf dem Vormarsch. Die Wirtschaft wächst im Vergleich stärker als überall sonst auf dem Kontinent, im vergangenen Jahr um fast 7 Prozent. Der Internationale Währungsfond prognostiziert für dieses Jahr 5,2 Prozent Wachstum, damit ist Bolivien in Lateinamerika weiterhin führend. Vor allem diese positiven Zahlen haben Morales und seiner Partei Movimiento al Socialismo (MAS) die Unterstützung im Volk gesichert. Allerdings lebt Zahlen der Weltbank zufolge rund ein Viertel der Einwohner von 2 US-Dollar pro Tag. Bolivien ist das ärmste Land Südamerikas.
Bleibt Morales bis zum Ende der Legislaturperiode im Präsidentenpalast, wird er länger als jeder bolivianische Staatschef vor ihm im Amt gewesen sein. Am Plaza Murillo in La Paz schmiedet der erste indigene Präsident des Kontinents seit Jahren Pläne, um Bolivien dauerhaft auf eigene Beine zu stellen. Als Morales im Jahr 2006 an die Macht kam, verstaatlichte er die Öl- und Gasindustrie. In der Folge stand das Land insbesondere wegen des Widerstandes der nicht-indigenen Unternehmer und Großgrundbesitzer im Osten kurz vor einem Bürgerkrieg. Morales beruhigte die Situation, indem er den entsprechenden Regionen mehr Autonomie zusprach. Seit 2009 gibt es eine neue Verfassung.
Gas bringt das meiste Geld
Den bisherigen Aufschwung hat Bolivien vor allem dem Gasverkauf, oder auch der Energiegewinnung mit Stauseen zu verdanken. Über 50 Prozent der Exporterlöse werden so erzielt, so viel wie nie. Mit dem Geld investiert die Regierung etwa in mehrere Hundert Millionen Euro teure Seilbahnen aus Österreich. Die verbinden nun die im Hochland liegende Metropole La Paz mit der auf über 4000 Metern gelegenen Arbeiterstadt El Alto.
Das Land ist hochpolitisiert. Doch der Eindruck, Bolivien sei nach den überstandenen Unruhen im Zuge der Verstaatlichungen nun politisch stabil, ist nicht komplett richtig, sagt Juliana Ströbele-Gregor vom Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin, die auch in La Paz forscht. "Ohne Übertreibung gibt es hier jeden Tag Demonstrationen und Blockaden, so dass man nicht in die Stadt kommt. Vor den Präsidentschaftswahlen hat sich das noch einmal verschärft. Zuletzt wurde etwa drei Viertel eines Tages die Verbindung ins Zentrum von Bus- und Taxifahrern blockiert, weil ihnen die neuen Ampelphasen nicht passen." So gehe das in der Stadt pausenlos. "Sämtliche Konflikte über solche Einzelinteressen werden hier auf der Straße ausgetragen. Für Unternehmen sind das natürlich keine vorteilhaften Bedingungen."
Das Ergebnis: Nur rund 1,75 Milliarden Dollar ausländische Investitionen flossen im vergangenen Jahr ins Land. Das ist zwar Rekord, aber trotzdem zu wenig - denn Morales will die Industrialisierung des Landes vorzugsweise durch staatliche Kooperationen mit ausländischen Investoren vorantreiben. Zudem soll ein reformiertes Bergbaugesetz neue Einnahmequellen für staatliche, nationale und internationale Unternehmen erschließen: 25 Prozent des Landes sind inzwischen für Bergbau-Konzessionen freigegeben. Die Areale liegen allerdings häufig in indigenen Territorien, was Konflikte und Konfrontationen mit der ansässigen Bevölkerung nach sich ziehen dürfte.
Osten ist das Kraftzentrum
Der Großteil des Aufschwungs findet indes im Osten, in Santa Cruz de la Sierra statt. Selbst Experten wundern sich über die wirtschaftliche Dynamik in der tropischen Stadt. Santa Cruz ist das wirtschaftliche Zentrum des Landes und generiert allein mehr als ein Drittel des bolivianischen Bruttoinlandprodukts. Eine große Rolle soll dabei auch der Schmuggel spielen, etwa die illegale Einfuhr Tausender Autos aus Chile und Brasilien. "Momentan gibt es auch einen unglaublichen Bauboom, und ein Teil des Geldes kommt aus nicht sauberen Kanälen", beobachtet Juliana Ströbele-Gregor.

Im riesigen Salzsee von Uyuni ruht ein Schatz, den Bolivien noch nicht allein heben kann: Lithium.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Seit Jahren versucht Morales, den Grundstein für sein Modell einer staatlich kontrollierten Industrie zu legen. Im Zentrum der Bemühungen liegt neben Öl und Gas auch das Lithium im Salar de Uyuni, das entscheidende Element für Hightech von Morgen; für Smartphones, Elektroautos und womöglich die Energiewende der westlichen Welt. In keinem Land der Erde lagert Schätzungen des US Geological Institute zufolge eine größere Menge Lithium als in der bolivianischen Hochebene.
Im vorwiegend von Indigenen bewohnten Westen soll der Grundstoff für eine komplette, staatlich kontrollierte Wertschöpfungskette bis zu selbst produzierten Akkus, Tablets und Laptops und Akkus gefördert werden. Bislang gibt es jedoch nur Pilotprojekte. Und: "Die ökologischen Fragen werden trotz der fortschrittlichen Gesetze überhaupt nicht beachtet, sind überhaupt kein Thema. International brüstet Bolivien sich zugleich mit seinen 'derecho de la madre tierra', das Recht der Mutter Erde, die formal als Rechtskörper anerkannt wird. Denn eigentlich könnte jeder klagen, wenn ihre Rechte verletzt werden, aber diese Rechte scheinen in den Wind geschrieben", sagt Ströbele-Gregor.
Weil Morales bislang auch im Kongress eine Zwei-Drittel-Mehrheit hielt, kamen fast alle politischen Entscheidungen direkt aus dem Präsidentenpalast. Kritisch ist allerdings, dass dies nicht nur politisch galt, sondern auch juristisch: "Das Justizsystem ist völlig in der Hand des MAS. Leute werden willkürlich festgenommen, regierungskritische Personen zusätzlich mit Prozessen überzogen und verfolgt", berichtet Ströbele-Gregor.
Mit der Verfassung von 2009 hat Morales zwar Historisches geschaffen, doch Ströbele-Gregor zeigt sich kritisch: "Die Gleichstellung der indigenen Bevölkerung und ethnischer Vielfalt, inklusive der neuen Verfassung, ist eine riesige Leistung. Aber die angekündigte partizipative, plurale Demokratie inklusive Rechtsstaatlichkeit, die wurde nicht umgesetzt."
Quelle: ntv.de