Immer mehr Betroffene Pflegeversicherung erwartet Milliarden-Defizit
19.06.2024, 17:00 Uhr Artikel anhören
Fast 5,3 Millionen Menschen bezogen Ende 2023 Leistungen aus der Pflegeversicherung.
(Foto: picture alliance/dpa)
Fast 5,3 Millionen Bürger beziehen Leistungen aus der Pflegeversicherung. Zuletzt kommen jährlich mehr als 300.000 hinzu. Die Finanzierung allein aus Beiträgen deckt den Bedarf längst nicht mehr. Die Kassen fordern eine grundlegende Reform. Eine alleinige Beitragserhöhung reiche nicht mehr aus.
Die Pflegeversicherung erwartet für dieses Jahr wieder rote Zahlen und warnt vor noch wachsenden Finanzrisiken. In den ersten den Monaten habe ein Defizit von 650 Millionen Euro bestanden, sagte Gernot Kiefer, Vize des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherungen, der auch die Pflegekassen vertritt, im brandenburgischen Kremmen. Für das Gesamtjahr wird mit einem Minus von 1,5 Milliarden Euro gerechnet, im nächsten Jahr dann mit 3,4 Milliarden Euro. Dies entspräche einer Beitragsanhebung von 0,2 Punkten.
Kurz nach einer Stabilisierungsaktion der Politik drohen damit schon wieder neue Probleme. Im vergangenen Jahr hatte die Pflegeversicherung einen Überschuss von knapp 1,8 Milliarden Euro verbucht - Grund waren höhere Einnahmen durch eine Reform der Ampel-Koalition mit einer Beitragsanhebung zum Juli. Für Menschen ohne Kinder stieg der Beitrag auf 4 Prozent und für Beitragszahler mit einem Kind auf 3,4 Prozent. Familien mit mindestens zwei Kindern zahlen - bezogen auf den Arbeitnehmeranteil - nun weniger als zuvor. Die Reform, die auch Entlastungen für Pflegebedürftige festlegt, sollte die Finanzen eigentlich vorerst bis 2025 absichern.
Rücklagen sinken wohl unter Vorgabe
GKV-Vorstand Kiefer sagte, der Finanzdruck sei schon im aktuellen Jahresverlauf erheblich, sodass die Pflegekassen mit bestimmten Instrumenten ihre Liquidität sichern müssten. Zu Beginn des kommenden Jahres dürfte der Bestand bei den Rücklagen dann unter der gesetzlichen Vorgabe liegen. Um die Zahlungsfähigkeit zu sichern, seien daher ab Januar 2025 zusätzliche Mittel nötig. Grund für die Entwicklung seien mehr Leistungsbezieher und anstehende weitere Entlastungen für Pflegebedürftige.
Kiefer erläuterte, dass mehrere Trends zusammenkommen, die die Finanzlage erschweren. So stiegen der Versorgungsbedarf und die Zahl der Betroffenen. Ende 2023 gab es demnach erstmals mehr als fünf Millionen Leistungsbezieher, nämlich 5,24 Millionen. Seit 2017 seien jährlich im Schnitt 320.000 hinzugekommen. Allein im vergangenen Jahr seien es dann 360.000 gewesen. Zugleich könne der Ausbau des Versorgungsangebots mit der Zunahme der Pflegebedürftigen nicht mithalten, sagte er weiter. Diese Entwicklung gehe stark zulasten pflegender Angehöriger zu Hause.
Patientenschützer fordern Bundeshilfen
Das System sei am Wackeln, sagte Kiefer. Dringend nötig seien ein Konsens, um die Pflege zukunftsfest zu machen, und eine grundlegende Finanzreform. Nur an der Beitragsschraube zu drehen, sei keine nachhaltige Lösung. Inzwischen eingeführte Zuschläge für Heimbewohner zur Entlastung von selbst zu zahlenden Anteilen kosteten die Pflegekassen 2023 rund 4,5 Milliarden Euro. Sie seien aber nicht zielgenau, da alle Einkommensgruppen davon gleich profitierten.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte, jetzt zeige sich, dass die jüngste Pflegereform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach nicht mehr sei als ein Farbanstrich. Daher sei ein steuerfinanzierter Bundeszuschuss überfällig. Kanzler Olaf Scholz hatte kürzlich deutlich gemacht, dass eine Pflegereform angegangen werden soll, bei der es auch um die Finanzierung und die Beitragshöhe gehen solle.
GKV-Vorstand Kiefer äußerte sich skeptisch, dass eine große Reform noch vor der Bundestagswahl 2025 umgesetzt werden kann. In der neuen Legislaturperiode müsste sie dann aber "ganz oben auf der Agenda stehen".
Quelle: ntv.de, jwu/dpa