Nach "Reichsbürger"-Razzia Pistorius fordert Kulturwandel in der Polizei
10.12.2022, 16:39 Uhr
Rechte suchen gezielt Kontakt zu Mitarbeitern von Behörden und Polizei, wie Pistorius (Mitte) warnt.
(Foto: dpa)
Nach der "Reichsbürger"-Razzia nimmt nicht einmal Bayerns Innenminister Herrmann die Sicherheitsbehörden, aus deren Reihen ein Teil der Festgenommen stammt, in Schutz. Sein niedersächsischer Amtskollege Pistorius verlangt einen offeneren Umgang innerhalb der Polizei mit Manipulationsversuchen durch Extremisten.
Nach der Großrazzia gegen Beteiligte einer Verschwörung aus der "Reichsbürger"-Szene richtet sich der Blick auf extremistische Tendenzen in den Sicherheitsbehörden und der Bundeswehr. Dass unter den Festgenommenen auch ehemalige Bundeswehrsoldaten und Polizisten gewesen seien, habe ihn nicht überrascht, sagte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann dem Radiosender Bayern 2. Sein niedersächsischer Kollege Boris Pistorius forderte einen Kulturwandel in der Polizei.
Am Mittwoch waren Polizei und Generalbundesanwalt bundesweit gegen ein mutmaßliches Terror-Netzwerk aus "Reichsbürgern" vorgegangen, die einen gewaltsamen Umsturz geplant haben sollen. 25 Menschen wurden dabei festgenommen; mehr als 50 werden als Beschuldigte geführt. Ermittelt wird unter anderem gegen einen aktiven Soldaten und Reservisten. Auch ein ehemaliger Polizist soll zu den Festgenommenen gehören.
Es sei bekannt, dass die Reichsbürgerbewegung gezielt im Sicherheitsbereich werbe, sagte Bayerns Innenminister Herrmann. "Wir haben auch schon bayerische Polizeibeamte, die als Anhänger der Reichsbürgerideologie identifiziert wurden, aus dem Dienst entfernt." Es sei außerdem wichtig, dass "jede Behörde, jedes Amtsgericht, jedes Finanzamt, jedes Landratsamt, aber auch jeder Bürger" sich meldeten, wenn er auf Reichsbürger-Aktivitäten aufmerksam werde, mahnte Herrmann.
Reservisten-Verband warnt vor Generalverdacht
Niedersachsens Innenminister Pistorius sagte dem Radiosender NDR ebenfalls, Rechte und Anhänger der "Reichsbürger" suchten Kontakt zu Menschen, die in Behörden oder bei der Polizei arbeiten, um diese zu manipulieren. Das müsse innerhalb der Polizei offen kommuniziert werden.
Der Verband der Bundeswehr-Reservisten warnte vor allgemeinen Vorbehalten gegen Mitglieder von Sicherheitsbehörden und Streitkräften. "Es gibt kein strukturelles Extremismus-Problem bei den Reservisten oder aktiven Soldaten der Bundeswehr", sagte Verbandschef Patrick Sensburg der "Rheinischen Post". Ein Generalverdacht sei vollkommen unangebracht.
Allerdings habe die Razzia zwei Dinge gezeigt, sagte Sensburg: Erstens werde ein "viel konsequenteres Durchgreifen" gebraucht gegen Menschen wie einen Bundeswehr-Oberst a.D., der unter den Festgenommenen sei. Dieser sei bekannt für seine Einstellungen, gegen ihn liefen Strafverfahren - "und trotzdem läuft er weiterhin in Uniform durchs Land und verbreitet seine kruden Theorien und dies bei vollen Pensionsbezügen", kritisierte der Präsident des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr. Dies könne nicht sein.
Spezialisten "sehen sich zu Recht als Elite"
"Zweitens brauchen wir mehr Sensibilisierungsmaßnahmen in den robusten Einheiten von Bundeswehr, Polizei und anderen Sicherheitsbehörden", forderte Sensburg. "Die Mitglieder des Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr und von Sondereinsatzkommandos der Polizei haben einen harten Job, sind schwer bewaffnet und sehen sich zu Recht als Elite. Das kann aber dazu führen, dass sie abheben, sich für etwas Besseres jenseits der üblichen Regeln halten."
Der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte, erklärte, "die Gefahr von bewaffneten und gut ausgebildeten rechtsextremistischen Polizisten und Soldaten und deren Umsturzpläne" seien bereits "seit vielen Jahren bekannt". Dennoch sei das nun aufgedeckte Ausmaß der Verschwörung "erschreckend.
"Wir erwarten deshalb eine vollständige Aufklärung", erklärte Korte. "Damit die Gesellschaft breit über die Konsequenzen diskutieren kann, muss die Bundesinnenministerin den Bundestag zeitnah ausführlich über die Bedrohung der Demokratie durch Netzwerke von Reichsbürgern und anderen Rechtsextremisten informieren."
Quelle: ntv.de, chl/AFP