Russland hilft Separatisten Georgien und Moldau - Putins nächste Ziele?
30.03.2022, 18:32 Uhr
Kurz nach Russlands Angriff demonstrierten in New York auch Menschen aus Georgien an der Seite der Ukrainer.
(Foto: imago images/NurPhoto)
Mit dem Angriff auf die Ukraine hat Russland die westliche Welt schockiert. Startschuss für die Invasion war die Anerkennung der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Russland Separatisten in anderen Ländern seit Jahrzehnten unterstützt.
Seit mittlerweile rund fünf Wochen tobt Russlands Krieg gegen die Ukraine. Zwar kommt das russische Militär weniger gut voran als Militärexperten erwartet haben, doch den Krieg beenden wird Wladimir Putin so schnell wohl nicht. Russlands Alleinherrscher begründet die Invasion mit angeblichen Verbrechen am russischen Volk, in Wahrheit dürfte es ihm aber vor allem darum gehen, russische Großmachtfantasien zu befriedigen.
"Wladimir Putin handelt imperial, er will Einflusszonen sichern", sagt Osteuropa-Forscherin Sabine von Löwis im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Die Geographin leitet am Zentrum für Osteuropa- und Internationale Studien den Forschungsschwerpunkt Konfliktdynamiken und Grenzregionen. Aus diesem Grund kennt sie sich nicht nur mit Russland aus, sondern vor allem mit den unterschiedlichen Separatisten auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion.
Separatisten-Bewegungen in Ex-Sowjetrepubliken
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vor etwas über 30 Jahren erklärten sich mehrere Sowjetrepubliken für unabhängig. In manchen dieser Staaten entstanden wiederum "aufgrund unterschiedlicher radikaler nationaler Bewegungen" separatistische Bewegungen, die sich ihrerseits für unabhängig erklärten, berichtet von Löwis. "Putin hat diese Separatistenstaaten dann als Hebel genutzt, um eigene Interessen durchzusetzen."
Zwar habe es in Russland zu Beginn der 1990er Jahre "Strömungen gegeben, die die Sowjetunion erhalten wollten", berichtet die Expertin, doch Russland habe etwaige Großmachtfantasien in dieser Phase der Geschichte nicht ausgelebt. "Man hatte aber ein Interesse, dass Konflikte an den Rändern der russischen Einflusszone beigelegt werden."
Transnistrien-Frage seit 30 Jahren ungeklärt
Ein Beispiel ist die Republik Moldau. Das kleine Land zwischen der Ukraine und Rumänien wurde 1991 offiziell unabhängig, ein Jahr zuvor hatte sich innerhalb des Landes aber bereits die Republik Transnistrien von Moldau abgespalten. Moldau hatte sich nach dem Ende der Sowjetunion eher Richtung Westen orientiert. Rumänisch wurde zur einzigen Amtssprache des Landes erkoren, die russische Sprache war unerwünscht. Eine starke russischsprachige Minderheit wollte dagegen den Schulterschluss mit Moskau und hat deshalb einen Staat im Staat gegründet: Transnistrien. Ein 200 Kilometer langer Streifen, vom Nordosten bis Südosten des Landes.
Die moldauische Regierung wollte die Abspaltung aber nicht akzeptieren und hat 1992 schließlich versucht, Transnistrien mit Waffengewalt zurückzuerobern. Doch die Abtrünnigen konnten das verhindern - mit der Hilfe russischer Soldaten, die zu dem Zeitpunkt noch in Transnistrien stationiert waren. "Es gab damals keinen Befehl aus Moskau, sich in diesen Konflikt zwischen Moldau und Transnistrien einzumischen. Aber die russischen Soldaten sympathisierten mit den Transnistriern und sind dann eigenmächtig aktiv geworden", blickt von Löwis im Podcast zurück.
Russland liefert Gas, Rente, Pässe
Transnistrien konnte sich mit der russischen Unterstützung als De-facto-Staat etablieren. So werden Länder bezeichnet, die von keinem oder nur sehr wenigen anderen Ländern als unabhängig anerkannt werden. Transnistrien wird derzeit von keinem einzigen Staat der Welt anerkannt, wenngleich Russland das Regime seit dem Transnistrien-Krieg 1992 unterstützt - mit kostenlosen Gaslieferungen, Rentenzuschüssen, russischen Pässen und Soldaten, die auch heute noch permanent als "Friedenstruppen" in Transnistrien stationiert sind.
Ohne Russland könnte Transnistrien als De-facto-Staat nicht überleben, müsste sich wahrscheinlich aufgrund wirtschaftlicher Not der Republik Moldau annähern, ist von Löwis überzeugt. "Dieser Separatistenstaat würde sicher pleite gehen ohne die Hilfe aus Russland. Dann wäre der Anreiz sicherlich größer, sich wieder mit Moldau zusammenzufinden. Aber aktuell sind sie eben ökonomisch und militärisch durch Russland gesichert. Wenn auch auf niedrigem Niveau."
Russland verhindert Moldaus EU-Perspektive
Doch auch eine Einmischung "auf niedrigem Niveau" sorgt dafür, dass die Republik Moldau dauerhaft instabil ist. Das Land kann sich kurz- oder mittelfristig nicht in Richtung Europäischer Union orientieren. Auch wenn es die derzeit amtierende pro-europäische Regierung so möchte, solange die Transnistrien-Frage nicht geklärt ist, wird Moldau nicht in die EU aufgenommen. Das Land hat mit einem schwelenden Grenzkonflikt keine Chance auf Aufnahme, "zumal eine ganze Reihe weiterer Kriterien gegenwärtig nicht erfüllt sind", merkt von Löwis an.
Ein klein wenig erinnert der Transnistrien-Konflikt an die Situation in der Ukraine: ein souveränes Land, auf dessen Gebiet Separatisten einen Staat im Staat errichten und dabei von Russland unterstützt werden. Mit dem großen Unterschied, dass in der Ukraine Krieg herrscht, im Osten des Landes bereits seit 2014. Der ungelöste Transnistrien-Konflikt dagegen ruht. Und Annexions-Pläne der russischen Regierung hatten Experten bislang immer ausgeschlossen. Russland hat keine direkte Landverbindung zu Transnistrien, die Region wäre eine Exklave. Zumindest, solange sich Russland nicht die Ukraine einverleibt.
Abtrünnige Regionen auch in Georgien
Etwas anders sieht die Lage in Georgien aus. Dort gibt es zwei Regionen, die genau wie Transnistrien De-facto-Staaten sind: Abchasien und Südossetien.
Genau wie Moldau, aber auch die Ukraine, ist Georgien Anfang der 1990er Jahre unabhängig geworden, als die Sowjetunion zerfallen ist. Genau wie in Moldau gab es zu dieser Zeit im Land Konflikte. Auch dort hatte sich schon vor der Unabhängigkeitserklärung Georgiens ein Landesteil abgespalten: das kleine, dünn besiedelte Südossetien im Norden des Landes. 1994 erklärt sich dann die Republik Abchasien für unabhängig, ganz im Nordwesten Georgiens am Schwarzen Meer gelegen.
Sowohl Südossetien als auch Abchasien hatten früher mal, als es die Sowjetunion noch gab, weitgehende Autonomierechte, durften vieles selbst regeln. Beide Landesteile hatten Angst, diese innerhalb eines georgischen Staates zu verlieren. Die Separatisten lieferten sich jahrelang immer wieder blutige Schlachten mit dem georgischen Militär.
"Russland hat ein viel größeres Fass aufgemacht"
Südossetien und Abchasien haben sich eher in Richtung Russland orientiert - die georgische Regierung dagegen hat sich immer weiter dem Westen genähert. Mitte der 2000er Jahre ist der Konflikt dann eskaliert: Georgien wollte in die NATO, 2008 wurde das Land zusammen mit der Ukraine sogar zum NATO-Gipfel nach Bukarest eingeladen. Russland fühlte sich angeblich bedroht, ließ deshalb sein Militär an der georgischen Grenze aufmarschieren.
Und dann brach im August 2008 der Krieg aus. Weil die südossetische Seite sich nicht an einen vereinbarten Waffenstillstand gehalten habe, sei das georgische Militär einmarschiert, berichtet von Löwis. Man habe versucht, die ganze Region zurückzuerobern. Allerdings hat das nicht geklappt, weil Russland eingeschritten ist. "Russland selbst hat es so dargestellt, dass man die Aggressionen Georgiens gegenüber Südossetien abwehren wollte." Russland konnte Georgiens Militär innerhalb von fünf Tagen zurückdrängen, hat dann allerdings "ein noch viel größeres Fass aufgemacht", wie es von Löwis ausdrückt. Der Kreml marschierte über die De-facto-Grenzen Südossetiens hinaus in Georgien ein.
"Putin hat sich nach Georgien-Krieg radikalisiert"
"In Georgien hat Russland massiv in einen regionalen Konflikt eingegriffen und ihn für seine Interessen genutzt", sagt Sabine von Löwis. Eine NATO- oder EU-Mitgliedschaft ist für Georgien trotz neuerlicher Versuche im Zuge des Ukraine-Kriegs noch weit entfernt. Weil Russland auf georgischem Staatsgebiet einen Konflikt schwelen lässt.
Nach dem Georgien-Krieg hat Russland die beiden De-facto-Staaten Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten anerkannt. "Die beiden Länder verfolgen durchaus ihre eigene Agenda, aber man muss ihre Regierungen schon als eindeutig russlandfreundlich bezeichnen, wegen der finanziellen und militärischen Unterstützung aus Russland.
"Wladimir Putin hat sich seit dem südossetisch-georgisch-russischen Krieg zunehmend radikalisiert und das mit der Krim-Annexion und der Unterstützung der Separatisten im Osten der Ukraine noch verstärkt", analysiert von Löwis.
Deshalb befürchten Georgien und Moldau, dass sie die nächsten Ziele russischer Aggressionen werden könnten. Beide Länder streben trotz schlechter Aussichten in die EU, haben kurz nach Russlands Angriff auf die Ukraine offizielle Anträge auf EU-Mitgliedschaft gestellt. "Da geht es darum, zumindest eine gewisse Sicherheitsgarantie zu bekommen, wenn es schon nichts mit einer NATO-Mitgliedschaft wird", erklärt von Löwis. Beide Länder machten sich Sorgen ob Russlands Vorgehen in der Ukraine, sagt die Osteuropa-Wissenschaftlerin. "Derzeit macht es aber nicht den Eindruck, als hätte Putin die Kapazitäten, auch noch Georgien oder Moldau anzugreifen."
Je weniger erfolgreich Russland in der Ukraine ist, desto wahrscheinlicher ist der Frieden auch in Moldau und Georgien. Die Ukraine verteidigt also nicht nur sich selbst.
"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.
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Quelle: ntv.de