
Das Wort "Revolution" steht unter einem Bild von Fidel (l.) und Raul Castro (m.) sowie Ernesto "Che" Guevara (r.) vor dem Museum of Contemporary Art in Niteroi, Havannas Partnerstadt in Brasilien.
In Kuba endet so etwas wie eine Epoche - Raúl Castro tritt zurück. Erstmals seit fast 60 Jahren trägt der Präsident einen anderen Namen. Kann das funktionieren? Sein Nachfolger wird jedenfalls einen schweren Job haben.
Kuba ohne Castro - das klingt ein wenig so wie Kuba ohne Palmen, Kuba ohne Zigarren, Kuba ohne Salsa. Doch genau das soll nun Realität werden. Raúl Castro, der jüngere Bruder des großen Fidel und seit zwölf Jahren im Amt, will sich von der Spitze des Staates zurückziehen. Für die meisten Kubaner ist das eine Zäsur, wie sie größer kaum sein könnte. Der Großteil von ihnen wurde nach der Revolution 1959 geboren - sie kennen das Land gar nicht ohne einen Castro an der Spitze.

Raúl Castro und sein vermutlicher Nachfolger Miguel Díaz Canel - den Sozialismus unter Palmen wird es auf Kuba vorraussichtlich weiterhin geben.
(Foto: AP)
Es waren die Castros, die gemeinsam mit nicht minder legendären Figuren wie Ernesto "Che" Guevara oder Camilo Cienfuegos den Diktator Fulgencio Batista von der Insel vertrieben und bärtig und triumphal in Havanna einzogen - umjubelt von den Kubanern, die es leid waren, nichts weiter als eine Partyinsel für Touristen und Gangster aus den USA zu sein. Raúl Castro war in verschiedenen Funktionen immer an der Seite seines Bruders, gemeinsam gewannen sie die Revolution, gemeinsam erlebten sie die Raketenkrise zu Beginn der 60er-Jahre und gemeinsam wurschtelten sie sich durch, nachdem die Sowjetunion zusammengebrochen war.
Und währenddessen erarbeiteten sie sich beachtliche Erfolge. Ein zumindest für die Region und vergleichbare Länder vorbildliches kostenloses Bildungssystem entstand, eine Gratis-Gesundheitsversorgung wurde eingeführt, Kriminalität und Prostitution gingen auf ein Minimum zurück. Andere Meinungen, Debatten und Diskussionen waren dabei aber unerwünscht. Mit Demokratie hatten die Castros nicht viel im Sinn. Fidels Argument war stets, dass eine Demokratie sich nicht gegen die Einmischungsversuche der USA wehren könnte. Der große Nachbar aus dem Norden versuchte tatsächlich jahrzehntelang das Regime zu destabilisieren, wie die gescheiterte Invasion in der Schweinebucht 1961 bewies.
Chronik eines angekündigten Endes
All das ist Jahrzehnte her. Und auch wenn das Ende der Ära Castro lange unvorstellbar schien, kündigt es sich nun schon seit Jahren an. Man könnte auch sagen: Es hat längst begonnen. Mit dem Rücktritt Fidels im Jahr 2006 und der Übergabe der Staatsführung an seinen Bruder war der Anfang gemacht. Der pragmatische Raúl versuchte, die Wirtschaft vorsichtig zu liberalisieren. Er ließ private Restaurants, Friseursalons oder Taxi-Unternehmen zu und schaffte schließlich sogar eine Annäherung an die Vereinigten Staaten. Die Wiederaufnahme von diplomatischen Beziehungen, schließlich der Besuch von US-Präsident Barack Obama in Havanna, zeigten aller Welt, dass sich etwas geändert hatte auf der Insel. Dass sich nun auch Raúl Castro von der Spitze des Staates zurückzieht, ist der dritte Akt dieses angekündigten Endes.
Doch niemals geht man so ganz. Castro werde weiterhin Chef der Kommunistischen Partei bleiben, sagt Professor Bert Hoffmann vom Hamburger GIGA-Institut für Lateinamerikastudien. Und das Politbüro sei das Machtzentrum in Kuba - insofern könnte man erwarten, dass Castro weiterhin aus dem Hintergrund führen wird. "Er redet aber auch oft über seine Enkel in Santiago de Cuba", so Hoffmann. Wie aktiv sich der 86-Jährige in die Politik einmischen wird oder fortan eher Großvater als Politiker ist, lässt sich noch nicht erkennen.
Hoffmann hält Raúl zugute, dass es ihm gelungen sei, das Land zu "defidelisieren" - er habe Kuba von einem charismatischen in einen bürokratischen Sozialismus geführt. So wurde es nach dem Tod des großen Übervaters vermieden, einen Fidel-Kult zu pflegen. Im Einklang mit dessen ausdrücklichem Wunsch wurde es unterlassen, Statuen oder Ähnliches aufzustellen. Auch die wirtschaftlichen Reformen sieht Hoffmann positiv. Gesellschaftlich ist das Land ebenfalls ein Stück freier geworden. So hat Raúl die Reisefreiheit gewährt - mittlerweile dürfen Kubaner grundsätzlich in andere Länder reisen und wieder zurückkehren, wenn sie es sich denn leisten können. Für Kuba von großem Wert sei auch die Annäherung an die USA, so Hoffmann. Eine jahrzehntelange Feindschaft endete damit, zudem wurde die Tür zumindest etwas weiter für Touristen aus dem Norden geöffnet. Dass Raúl Castro nun freiwillig zurücktritt, sieht Hoffmann ebenfalls positiv, das sei nicht selbstverständlich gewesen.
Der neue Mann steht bereit
Alles bestens auf der Insel also? Mitnichten. Denn für die meisten Kubaner gleicht das tägliche Leben noch immer einem Kampf. Es geht immer darum, Dinge zu organisieren, an einen Dollar zu kommen, der als Parallelwährung im Land unter dem Namen CUC zugelassen ist. Und was bringt einem die kostenlose medizinische Versorgung, wenn das benötigte Medikament nirgends zu bekommen ist? Schon die leichte Liberalisierung der Wirtschaft führte zu wachsender Ungleichheit - ein Kellner in einem Touristenrestaurant kann ein Vielfaches des Einkommens eines Chefarztes verdienen.
Die Presse sei nach wie vor streng reglementiert und das Vertrauen in die Institutionen sei weiter erodiert, so Hoffmann. "Castro hat Zeit verloren, zwölf Jahre sind vergangen", sagt der Experte. Aber die internationale Lage hat sich nicht gebessert. Obama ist nicht mehr im Amt, sein Nachfolger Donald Trump hat einige Zugeständnisse, etwa bei der Reisefreiheit für US-Bürger, wieder zurückgenommen und Handelsmöglichkeiten eingeschränkt. Ein Ende des US-Wirtschaftsembargos erscheint derzeit utopisch. Überdies habe Raúl Castro, so Hoffmann, viele Reformen, die er eigentlich angekündigt hatte, nicht angepackt. Die Neuausrichtung der Verfassung, eine Währungs-, Land- und Wahlrechtsreform überlasst er nun seinem Nachfolger. "Dabei hätte man sie ihm, mit seinem Namen und seiner Geschichte, eher zugetraut", sagt Hoffmann.
Als neuer Mann an der Spitze gilt Miguel Díaz-Canel, der bislang kaum in Erscheinung getreten ist. Der 57-Jährige war Provinzsekretär und gilt als erfolgreicher Verwalter. "International hat er kaum Profil entwickelt", sagt Hoffmann. Doch auch in Kuba sei er nur wenig in Erscheinung getreten. "Vielleicht hat ihm das geholfen, dass er Castro nicht die Show gestohlen hat", so der Experte. Ein geleaktes Video, das im Internet die Runde machte, zeigte ihn bei einer Rede auf einer Parteiveranstaltung - dort präsentierte er sich als Hardliner. Welchen Kurs Díaz-Canel einschlägt, wie sehr Castro als Parteivorsitzender ihm noch reinregiert, muss man schlicht abwarten. "Wichtig ist aber, darauf hinzuweisen", sagt Hoffmann, "dass er nicht mehr die Machtfülle wie die Castros haben wird, die Präsident und Parteivorsitzende waren."
Kuba wird auch ohne einen Castro an der Spitze ein Land bleiben, das einzigartig ist. Den Sozialismus unter Palmen wird es weiter geben. Doch er wird auch ohne einen Castro an der Spitze die gleichen Probleme haben. Die Kubaner werden sich wohl vor allem an ein neues Gesicht gewöhnen müssen.
Quelle: ntv.de