Integrationsgipfel im Kanzleramt Regierung plant Ausschuss gegen Rassismus
02.03.2020, 17:39 Uhr
Beim Integrationsgipfel in Berlin setzen aktuelle Ereignisse die Themen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Eigentlich sollte es beim Integrationsgipfel um besser geregelte Zuwanderung gehen. Doch rechtsextreme Anschläge und die Eskalation an der türkischen Grenze überschatten das Treffen. Kanzlerin Merkel zeigt sich "sehr bedrückt" - ein Ausschuss soll den Kampf gegen Rechtsextremismus voranbringen.
Die rechtsextremen Anschläge der vergangenen Monate haben den Integrationsgipfel im Kanzleramt überschattet. Und auch die Notlage der Flüchtlinge und Migranten an der türkisch-griechischen Grenze stand wie der berühmte Elefant im Raum. Dabei wollte die Bundesregierung eigentlich vor allem darüber sprechen, wie geregelte Zuwanderung und Integration besser funktionieren können. Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte dabei auch die Bildung eines Kabinettsausschusses an, der sich mit den Fragen von Rechtsextremismus und Rassismus beschäftigen soll.
Merkel sagte, die Entscheidung zur Einrichtung des neuen Kabinettsausschuss gehe zurück auf einen offenen Brief von Migrantenverbänden nach dem rassistischen Anschlag von Hanau, in dem ein solcher Ausschuss gefordert worden sei. Es sei wichtig, diese Tat richtig zu benennen - "es ist Rechtsextremismus". Da gebe es "nichts drum herum zu reden", betonte Merkel.
"Deutschland hat ein Rassismus-Problem", erklärte Familienministerin Franziska Giffey von der SPD. Es sei gut, dass Rassismus beim Integrationsgipfel als zentrales Thema behandelt wurde - "aber reden reicht nicht, wir müssen handeln", mahnte Giffey. Einerseits müssten die Sicherheitsbehörden so aufgestellt werden, "dass sie rassistisch motivierte Taten verhindern und Täter stellen und bestrafen können". Ebenso wichtig sei aber, "dass wir den Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus als Gesellschaft insgesamt stärker führen als bisher und in die Präventionsarbeit investieren".
Giffey: "Erwarte, dass es nicht bei schönen Worten bleibt"
Giffey forderte "eine verlässliche gesetzliche Grundlage auf Bundesebene" für eine "dauerhafte Förderung zivilgesellschaftlicher Arbeit gegen Rassismus und für eine offene, demokratische Gesellschaft". Dies koste Geld. "Ich werde mit der Forderung nach mehr Mitteln für den Kampf gegen Rassismus in die anstehenden Haushaltsverhandlungen gehen und erwarte, dass es dann nicht bei schönen Worten beim Integrationsgipfel bleibt", kündigte Giffey an.
Merkel mahnte mit Blick auf den rassistischen Anschlag in Hanau einen friedlicheren gesellschaftlichen Diskurs an und warnte: "Es beginnt weit vor der Anwendung von Gewalt, dass wir aufmerksam sein müssen." Sie erinnerte an die Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt sowie islamfeindlichen Hasses und betonte, dass die Mitglieder der Bundesregierung "sehr bedrückt sind, dass es bisher nicht gelungen ist, diese Taten zu stoppen." Jeder Mensch müsse sich in Deutschland sicher und in seiner Würde akzeptiert fühlen können.
Vor Beginn der Veranstaltung sprachen Merkel und Bundesinnenminister Horst Seehofer von der CSU mit Vertretern von Migrantenverbänden über den rassistischen Anschlag in Hanau. In der hessischen Stadt hatte ein 43-jähriger Deutscher am 19. Februar neun Menschen mit ausländischen Wurzeln erschossen. Er tötete auch seine Mutter und sich selbst. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz von der CDU sagte: "Die Rahmenlehrpläne in Schulen müssen die Vielfalt unserer Einwanderungsgesellschaft widerspiegeln." Eine Untersuchung dazu sei in Vorbereitung. "Unsere Gesellschaft hat ein Problem, Rassismus", bilanzierte die Bundesvorsitzende von The African Network of Germany, Sylvie Nantcha.
Skepsis gegenüber Quoten für benachteiligte Gruppen
Auf die Forderung von Migrantenverbänden nach Quoten für benachteiligte Bevölkerungsgruppen reagierte Widmann-Mauz mit Skepsis. Sie sagte, Vielfalt sei wichtig, aber mit der Zuschreibung "Migrationshintergrund" könnten sich viele Menschen mit ausländischen Wurzeln gar nicht identifizieren.
Der Integrationsgipfel, der zuletzt 2018 stattfand, widmete sich diesmal vor allem der Frage, was Flüchtlinge und Migranten alles wissen sollten, bevor sie nach Deutschland kommen. Die Bundesregierung will, dass potenzielle Arbeitsmigranten schon im Herkunftsland bestimmte Kenntnisse erwerben - zum Beispiel Deutsch lernen. Ihr Motto: "Vor der Zuwanderung: Erwartungen steuern - Orientierung geben". Mit Blick auf den Fachkräftemangel, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier von der CDU: "Wir werden in den nächsten Jahren noch einen viel stärkeren Bedarf verspüren."
Baerbock fordert Aufnahme von 5000 Schutzbedürftigen
Die Eskalation der Lage in der Türkei, wo am Wochenende Tausende von Flüchtlingen und Migranten versucht hatten, über die Grenze nach Griechenland zu gelangen, sprach Merkel von sich aus nicht an. Als sie danach gefragt wurde, erklärte sie, es sei "völlig inakzeptabel", dass die Probleme der Region, an denen auch Russland Anteil habe, jetzt "auf dem Rücken der Flüchtlinge" ausgetragen würden. Was die Menschen in Deutschland bewegt, ist einerseits die humanitäre Lage an der türkisch-griechischen Grenze, wo Migranten unter freiem Himmel schlafen mussten. Doch auch die Frage, ob eine Aufnahme dieser Menschen in der EU eine Situation wie 2015 auslösen könnte, als innerhalb weniger Monate über die "Balkanroute" Hunderttausende Menschen nach Deutschland gekommen waren.
Pro Asyl warb für die Aufnahme von mehr Schutzsuchenden in Deutschland. "Wir können und wir sollten eine erhebliche Zahl von Geflüchteten aufnehmen, die heute in Elendslagern auf den griechischen Inseln und an anderen Orten der europäischen Außengrenze verzweifeln", erklärte die Flüchtlingsorganisation. Schließlich habe sich inzwischen herausgestellt, "dass die Aufnahme der Flüchtlinge seit 2015 eine Erfolgsgeschichte ist". Grünen-Chefin Annalena Baerbock forderte, Deutschland solle zunächst 5000 besonders schutzbedürftige Menschen aus Flüchtlingslagern auf griechischen Inseln aufnehmen.
Quelle: ntv.de, mra/dpa/AFP