"Aktionsplattform" für radikale Gruppen Berlin: Türkei unterstützt Islamisten
16.08.2016, 12:27 Uhr
Spekulationen über Verbindungen der Türkei zu Islamisten gibt es schon länger - neu ist, dass die Bundesregierung den Berichten offenbar Glauben schenkt. Nun zitiert die ARD aus einer internen Einschätzung.
Die Bundesregierung stuft die Türkei einem Bericht zufolge als "zentrale Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen" aus dem Nahen und Mittleren Osten ein. Das geht aus einer vertraulichen Antwort auf eine Anfrage der Linkspartei im Bundestag hervor, aus der die ARD zitiert. Demnach arbeite die Türkei nach Einschätzung der Bundesregierung bewusst mit islamistischen und terroristischen Organisationen zusammen. Diese Politik werde zudem aktiv vom türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan unterstützt.
Im Bericht heißt es demnach wörtlich, dass "die zahlreichen Solidaritätsbekundungen und Unterstützungshandlungen für die ägyptische Muslimbruderschaft, die Hamas und Gruppen der bewaffneten islamistischen Opposition in Syrien durch die Regierungspartei AKP und Staatspräsident Erdogan" deren ideologische Affinität zu den Muslimbrüdern unterstreichen würden. Es sei das erste Mal, dass die Bundesregierung eine direkte Verbindung mit einer Terrororganisation - konkret der Hamas - herstelle. Die Türkei habe ihre Beziehungen zu der Organisation seit 2011 sogar gezielt intensiviert.
Wie die ARD weiter berichtet, soll die Stellungnahme auf Informationen vom Bundesnachrichtendienst (BND) basieren und angeblich nicht mit dem eigentlich zuständigen Auswärtigen Amt abgesprochen worden sein. Die Schlagzeile erscheint inmitten der Debatte um die Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei und könnte eine neue Eiszeit zwischen Berlin und Ankara einläuten. Offenbar war dies auch den Verfassern im Innenministerium klar, weshalb sie im frei zugänglichen Teil der Stellungnahme schreiben, eine offene Beantwortung könne "aus Gründen des Staatswohls" nicht erfolgen.
Neue Eiszeit zwischen Ankara und Berlin?

Die Zusammenarbeit mit Islamisten aus dem Nahen und Mittleren Osten soll "bewusste Politik" sein.
(Foto: AP)
Zuletzt hatten sich auch immer mehr deutsche Politiker gegen die Weiterführung der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei ausgesprochen - auch unter Verweis auf die kritisierten "Säuberungswellen" bei staatlichen Behörden nach dem gescheiterten Putschversuch am 15. Juli. Erst am Morgen waren bei Polizeirazzien in Istanbul auch 44 private Unternehmen durchsucht worden. Den Firmen wird vorgeworfen, den Prediger Fethullah Gülen finanziell unterstützt zu haben.
Im Zuge der Ermittlungen seien der Staatsagentur Anadolu zufolge Haftbefehle für 120 Manager erteilt worden. Erdogan sieht seinen im US-Exil lebenden Erzrivalen Gülen als Drahtzieher des Umsturzversuchs. Der Präsident hatte bereits Anfang August angekündigt, türkischen Unternehmen alle Geschäftsbeziehungen zu Firmen zu untersagen, die mit Gülen verbunden seien, sowie deren Erlöse einzukassieren.
Linke wirft Regierung Täuschung der Öffentlichkeit vor
Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich befürchtet dem Medienbericht zufolge Konsequenzen im Verhältnis zu Ankara aufgrund der Veröffentlichung des Berichts. "Bei einer so sensiblen und weitreichenden Einschätzung hätte das Auswärtige Amt einbezogen werden müssen", sagte Mützenich der ARD. "Immerhin handelt es sich bei der Türkei um ein Nato-Land, und deutsche Soldaten sind dort gegenwärtig stationiert."
Die Linksfraktion fühlt sich in ihrer Kritik an der Türkeipolitik bestätigt. Die Bundesregierung dürfe sich nicht länger daran mitschuldig machen, die Türkei "als Heimstatt des bewaffneten Islamismus zu etablieren", forderte deren außenpolitische Sprecherin, Sevim Dagdelen. "Es ist unverständlich, dass die Bundesregierung Erdogan weiter wie ein rohes Ei behandelt, obwohl seine Türkei die zentrale Aktionsplattform des Islamismus und islamistischer Terrorgruppen sein soll." Die Linken-Abgeordnete warf der Bundesregierung vor, die Öffentlichkeit zu täuschen, indem sie nach außen ein positives Bild von der türkischen Regierung zeichne, das mit den vertraulichen Erkenntnissen nicht vereinbar sei.
Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff warf Dagdelen in der "Welt" vor, "hochsensible Dokumente der Bundesregierung" verbreitet zu haben. Lambsdorff warf Dagdelen in diesem Zusammenhang eine Nähe zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vor. Allerdings wies auch Lambsdorff darauf hin, dass gemeinsame Wurzeln der AKP und der Hamas sowie der ägyptischen Muslimbrüder bekannt seien.
Quelle: ntv.de, jug/hul/dpa/AFP