Streit um Abkommen mit Färöern Russland fischt (noch) mit Erlaubnis in Nordeuropa
08.05.2023, 16:25 Uhr Artikel anhören
Auf den Färöern, hier der Hafen der Inselhauptstadt Torshavn, dürfen nach wie vor auch russische Trawler anlaufen.
(Foto: imago images/alimdi)
Die kleine Inselgruppe der Färöer erlaubt Fischerbooten aus Russland trotz Ukraine-Krieg auch weiterhin, in den Gewässern vor dem Nordatlantik-Eiland zu fischen und die färöischen Häfen zu nutzen. Das sorgt für Ärger zwischen den Färöern, dem dänischen Mutterland und der EU.
Mehr Schafe als Menschen, grasbedeckte Häuser, viel Wind, viel Wasser, 18 Inseln im Atlantik zwischen Schottland und Island. Das sind die Färöer. Ein autonomes Land im Königreich Dänemark.
Genau dieser Status macht das Zusammenspiel mit den Färingern manchmal so kompliziert. Die Färöer sind zwar Teil des Königreichs Dänemark, genau wie Grönland, gehören aber nicht zur Europäischen Union. Auf den Färöern gelten nur die eigenen Regeln und Verträge. So auch in Bezug auf die Fischerei, dem mit Abstand wichtigsten Wirtschaftssektor der Inselgruppe.
Seit fast 50 Jahren gibt es ein Abkommen zwischen den Färöern und Russland, das den Fischfang in der Region regelt. Der Vertrag besteht seit 1977 und wird jedes Jahr neu verhandelt. Es erlaubt, russischen Trawlern in färöischen Gewässern zu fischen und den Fang in den Häfen auf den Färöern umzuladen. Für 2023 wurde festgelegt, dass die Russen 72.000 Tonnen Blauen Wittling, 13.000 Tonnen Makrelen und 8500 Tonnen Hering fangen dürfen. Im Gegenzug dürfen Fischer von den Färöern in der russischen Barentssee fischen. Im laufenden Jahr sind das etwa 12.000 Tonnen Dorsch, 4000 Tonnen Garnelen und 1200 Tonnen Heilbutt.
"Das sind gewaltige Mengen, die da in diesem Abkommen geregelt sind", macht Rune Weichert, Reporter für Nordeuropa- und Skandinavien-Themen beim "Stern", im ntv-Podcast "Wieder was gelernt" deutlich.
Unabhängig seit 1948
Dass die Färöer ihr eigenes Ding machen können, vorbei an Regeln und Gesetzen in Kopenhagen und Brüssel, liegt an dem besonderen Status der Inselgruppe. Als autonomes Land im Königreich Dänemark haben die Färöer eine eigene Regierung und ein eigenes Parlament.
Die Wurzeln der Eigenständigkeit liegen 75 Jahre zurück. Zuvor waren die Färöer unter Herrschaft Dänemarks, ab 1940 besetzten die Briten die Schafsinseln wegen ihrer wichtigen strategischen Lage. 1946, ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs, stimmte die Bevölkerung mit knapper Mehrheit für die staatliche Unabhängigkeit. Nach zwei Jahren Verhandlungen mit Dänemark einigte man sich auf das Autonomiegesetz. Das erlaubt den Färöern weitgehende politische Selbstständigkeit. Als Dänemark 1973 der EU beitrat, zogen die Färinger nicht mit. Deshalb kann die färöische Regierung auch jetzt noch Verträge mit Russland schließen.
Jahrzehntelang hat sich aber niemand großartig für Fischerei-Verträge der Färöer interessiert, außer die Färinger selbst. Die Fischerei in russischen Gewässern sichert schließlich einen nicht unerheblichen Teil ihres Wohlstands. Der Fischfang insgesamt macht über 90 Prozent des färöischen Exportgeschäfts aus. "Die Färöer könnten auf dieses Abkommen mit Russland verzichten, wenn sie dafür geeignete Alternativen haben. Die haben sie im Moment aber nicht", bringt Weichert die Problematik auf den Punkt.
"Man sagte mir in Gesprächen, dass man dieses Abkommen immer wieder verlängert hat, ohne nach Alternativen zu suchen. Dann kam der Ukraine-Krieg und die Politik auf den Färöern hat gesagt: Wir tragen die EU-Sanktionen zu einem großen Teil mit, aber wir machen beim Fischfang eine Ausnahme", berichtet Weichert im ntv-Podcast.
"Moralisch falsch, aber alternativlos"
Tatsächlich verurteilen auch die Färöer den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und tragen Sanktionen der EU teilweise mit. Die Inselgruppe hat auch ukrainische Flüchtlinge aufgenommen. Das Fischerei-Abkommen wurde Ende vorigen Jahres aber dennoch um weitere zwölf Monate verlängert.
Trotz teils vehementer Kritik stimmte auch die Opposition auf den Färöern für die Fortsetzung. "Ein sozialdemokratischer Abgeordneter, der für die Färöer in Kopenhagen im Parlament sitzt, sagte mir, dass er es für moralisch falsch halte, seine Partei aber dennoch dafür gestimmt habe, weil es keine Alternative gab." Der Abgeordnete, von dem Weichert spricht, vergleicht das Fischerei-Abkommen der Färöer mit der Rolle von russischem Erdgas in Deutschland. "Dieses Abkommen sofort auszusetzen, hätte massive Folgen für die färingische Wirtschaft gehabt. Deswegen sah man sich gezwungen, so weiterzumachen", berichtet Weichert.
Wie wichtig der Fischfang für die Färöer ist, zeigt auch die Tatsache, dass es in der Regierung keinen Wirtschaftsminister gibt, stattdessen hat der stellvertretende Regierungschef der 54.000-Einwohner-Inselgruppe das Amt des Fischereiministers inne.
Piraten-Vorwurf aus Dänemark

Charakteristisch für die Färöer: Haus mit Gras bedeckt, Himmel wolkenverhangen.
(Foto: picture alliance / Westend61)
Dass die Färöer ihre Wirtschaft über die Moral stellen, sieht das dänische Mutterland kritisch. In Kopenhagen äußerten sowohl Konservative als auch Sozialdemokraten Bedenken gegenüber dem färöischen Weg. "Der Vorsitzende des dänischen Fischereiverbands hat die Färöer sogar mit Piraten gleichgesetzt, weil die russischen Schiffe einfach ein- und auslaufen könnten, wie sie wollten. Die dänische Regierung ist etwas zurückhaltender, sagt, dass es eine Angelegenheit der Färöer ist und sie das respektieren", berichtet Weichert im ntv-Podcast.
Auch in Brüssel wird der Alleingang der Färöer nicht gerne gesehen. Ein dänischer EU-Politiker sagte dem Dänischen Rundfunk, die Fortsetzung des Abkommens sei "kein angemessenes Signal inmitten einer globalen Krise". Der Westen müsse sich stattdessen gegen Russland "zusammenschließen".
Es gibt aber nicht nur negative Stimmen - einige sehen in der vertrackten Situation zwischen den Färöern, Dänemark und der EU eine Chance. Kopenhagen und Brüssel sollten gemeinsam mit den Färöern neue mögliche Geschäftsfelder entwickeln und die Zusammenarbeit insgesamt verstärken, forderte Ende vergangenen Jahres eine konservative dänische EU-Abgeordnete. Es sei nicht fair, die Färinger für ihren Kurs zu stark zu kritisieren. Schließlich sei das kleine Atlantik-Volk nicht das einzige Land, dass im Bereich Fischfang noch eng mit Russland zusammenarbeite. Tatsächlich hat auch Norwegen ein solches Abkommen mit Russland - auch das ist alles andere als unumstritten.
Färöer als mutmaßliches Spionage-Ziel
Die heimische Wirtschaft von Russland unabhängig machen, das hat sich auch die neue Regierung der Färöer zum Ziel gesetzt. Die Sozialdemokraten - zur Unterzeichnung des Abkommens für 2023 noch in der Opposition - gewannen im Dezember die Parlamentswahl und führen seitdem eine linksgerichtete Drei-Parteien-Regierung an.
Das langfristige Ziel der neuen Regierung ist es, dass die fast 100.000 Tonnen Fisch, die Russland auch dieses Jahr in den Gewässern vor den Färöern fangen darf, künftig von heimischen Trawlern gefischt werden. Dafür müssen aber erst größere Fabriken gebaut werden. Und es braucht neue Partner, in deren Gewässer die färöischen Fischer ausweichen können, wenn sie nicht mehr in russischen unterwegs sein dürfen. "Eine Alternative könnte Großbritannien sein, aber natürlich auch die EU, Island, Grönland oder Kanada", nennt Weichert Beispiele für mögliche neue Fischfang-Kooperationen. "Ich denke, dass man auf den Färöern gewillt ist, sich eine Alternative zu Russland zu suchen. Schritt für Schritt aussteigen und Alternativen suchen, das könnte der Weg sein", sagt Weichert.
Dass das womöglich eine gute Idee sein könnte, zeigen Recherchen nordischer TV-Sender zu mutmaßlichen Spionage-Aktivitäten der Russen. Demnach soll Moskau in den vergangenen Jahren im großen Stil auch zivile Schiffe zu Spionagezwecken in Europa eingesetzt haben. Darunter zwei Fischtrawler, die jahrelang auch die Färöer angelaufen haben - dank des Fischerei-Abkommens.
"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.
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Quelle: ntv.de