Gespräch bei Steinmeier Schulz versucht's mit Gemütlichkeit
01.12.2017, 08:57 Uhr
(Foto: dpa)
Auch nach den Gesprächen beim Bundespräsidenten hat die SPD es überhaupt nicht eilig. Parteichef Schulz kann seiner Partei im Moment nicht noch mehr zumuten. Ob die Zeit hilft, die Skepsis der SPD-Basis aufzuweichen?
Das Gespräch zwischen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Horst Seehofer, Angela Merkel und Martin Schulz lief noch, da meldeten sich führende Sozialdemokraten zu Wort. Alle Beteiligten sollten sich "vergewissern, dass wir viel Zeit haben", sagte SPD-Vize Olaf Scholz im ZDF. Sigmar Gabriel erklärte: "Keiner darf erwarten, dass das schnell geht." Ganz langsam: Das ist auch nach dem Treffen beim Bundespräsidenten die Devise der SPD. Schulz hat gar keine andere Wahl.
Zwei Stunden redeten die Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD mit Steinmeier am Donnerstagabend. Vor Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten demonstrierten etwa 100 Menschen gegen die Verlängerung der Zulassung des Unkraufgiftes Glyphosat. Reporter froren und warteten auf die Politiker, aber die Beteiligten verschwanden wortlos in ihren Limousinen und dann in der Nacht. Es war das erste Gespräch der drei Parteien seit der Wahl. Für die Unterredung war Vertraulichkeit vereinbart.
Es dürfte nicht das letzte Gespräch zwischen den drei Parteichefs gewesen sein. Große Bewegung ist von dem Treffen erst einmal nicht zu erwarten. Das liegt vor allem an den Sozialdemokraten. Laut einer Allensbach-Umfrage ist eine Mehrheit der Deutschen für Gespräche über eine Große Koalition. Aber in der SPD ist die Stimmungslage nicht so einfach. Es gibt viel Widerstand gegen ein neues Bündnis mit der Union. Die Mitglieder haben teilweise traumatische Erinnerungen an den letzten Mitgliederentscheid über den Gang in die Große Koalition vor vier Jahren. Viele fühlten sich damals unter Druck gesetzt.
Dies dürfte einer der Gründe dafür sein, warum Schulz und die SPD-Führung bemüht sind, nach der Öffnung des kategorischen Nein zu einer Großen Koalition in der vergangenen Woche das Tempo herauszunehmen. Viel mehr will man der Basis erst einmal nicht zumuten. Es gibt noch einen weiteren Grund. Vor dem SPD-Parteitag kann Schulz ohnehin nicht viel machen. In der kommenden Wochen kommen die Sozialdemokraten für drei Tage in Berlin zusammen. Eigentlich sollte die Neuausrichtung der Partei im Mittelpunkt stehen. Aber das Scheitern von Jamaika hat alles verändert. Das Thema Große Koalition dürfte alles überlagern. Schulz steht vor der Schwierigkeit, seiner Partei zu erklären, warum der Partei am Ende vielleicht gar keine andere Wahl bleibt, als das unbeliebte Bündnis fortzusetzen. Er braucht das Mandat der Delegierten. Wie stark dieses ausfällt, dürfte maßgeblich mit dem Ergebnis zusammenhängen, das Schulz bei seiner Wiederwahl als Parteichef erhält.
"Ich strebe gar nix an"
Wirbt er zu offensiv für eine Große Koalition, könnte sich sein 100-Prozent-Ergebnis vom März schnell halbieren. Um sich das zu ersparen, dürfte Schulz auch beim Parteitag kaum von seinem zurückhaltenden Kurs abweichen. Viel spricht dafür, dass die SPD-Spitze im Prozess der Regierungsbildung noch ein bisschen auf Zeit spielt. Ein noch weiter geschwächten Parteichef wäre in den Verhandlungen mit der Union wenig hilfreich. Gut möglich, dass Schulz beim Parteitag ähnlich auftritt wie vor einer Woche beim Juso-Bundeskongress. Dort appellierte er an die Verantwortung und zelebrierte zugleich maximale Bauchschmerzen. Schulz betonte: "Ich strebe keine Große Koalition an, ich strebe auch keine Minderheitsregierung an. Ich strebe auch keine Neuwahlen an. Ich strebe gar nix an. Wisst Ihr, was ich anstrebe? Dass wir die Wege miteinander diskutieren, die die besten sind, um das Leben der Menschen national und international ein kleines Stück besser zu machen. Lasst uns um den Weg ringen." Fraglich ist, ob die Strategie aufgeht. Die Jusos wollen beim Parteitag einen Antrag auf Ausschluss einer Großen Koalition stellen. Eine solche symbolische Abstimmung würde den Druck auf Schulz erhöhen.
Die Verzögerungsstrategie der SPD hat eine weitere Schwäche. Sie macht es noch schwerer, das längst begonnene öffentliche Vorabsondieren zu verhindern. Forsch forderten SPD-Politiker zuletzt unter anderem die Einführung der Bürgerversicherung als Faustpfand für ein Bündnis. Der designierte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil forderte am Donnerstag ein eigenes Digitalministerium. Johannes Kahrs, der Sprecher des konservativen SPD-Flügels, ist für die Aufnahme von Gesprächen mit der Union. Man sollte sich zusammensetzen, "um zu schauen, was inhaltlich geht und was nicht geht", sagte Kahrs im Deutschlandfunk. "Wenn ich die Chance habe, das umzusetzen, dann muss ich es zumindest probieren." Die Sozialdemokraten halten sich aber auch noch die Möglichkeit offen, eine Minderheitsregierung zu tolerieren.
Auf Seiten von CDU und CSU ist die Geduld endlich. Michael Grosse-Brömer, der parlamentarische Geschäftsführer der Union, drängelt. Die Parteien sollten "jetzt möglichst rasch" Koalitionsverhandlungen aufnehmen, schrieb er in einem Gastbeitrag für die "Nordwest-Zeitung". "Denn Politiker und Parteien werden gewählt, um zu gestalten, und nicht, um sich mit sich selbst zu beschäftigen." Aus der Sicht der SPD-Spitze gibt es keinen Grund zur Eile. Man habe doch eine stabile und handlungsfähige Regierung, erklärte Gabriel am Donnerstagabend während eines Besuchs in Washington. Auch Stephan Weil drückt auf die Bremse. "Ich gehe nicht davon aus, dass wir vor Februar fertig sein könnten", erklärt der niedersächsische Ministerpräsident in der "Süddeutschen Zeitung". Ob die Zeit hilft, die Skepsis der Mitglieder aufzuweichen?
Quelle: ntv.de