Politik

Der lange Schatten des Front National "Sicherheitsdenken, Angst und Abgrenzung"

Marine Le Pen hat weiterhin ein klares Ziel vor Augen: den Präsidentenpalast.

Marine Le Pen hat weiterhin ein klares Ziel vor Augen: den Präsidentenpalast.

(Foto: AP)

Trotz der Niederlage geriert sich der rechtsextreme Front National unter Parteichefin Marine Le Pen als Sieger der französischen Regionalwahlen. Nicht ohne Grund: Schließlich treibt er die Parteien vor sich her - und diese lassen sich auf ein riskantes Spiel ein, wie Stefan Seidendorf, stellvertretender Direktor des Deutsch-Französischen Instituts Ludwigsburg, im Interview mit n-tv.de erklärt.

n-tv.de: In der zweiten Runde der Nationalwahlen hat der rechtsextreme Front National keinen einzigen Wahlkreis gewonnen, die Partei landete mit 27 Prozent auf dem dritten Platz. Ist die Dynamik der Partei jetzt gebrochen?

Stefan Seidendorf: Nein. Der FN hat trotzdem sehr viele Stimmen bekommen und die Unzufriedenheit, die zu dem ersten Wahlergebnis vor einer Woche geführt hat, ist nach wie vor da. Das ist vor allem der Wunsch nach Veränderung und Wechsel, der weder von den Linken noch den Rechten bedient wird. Der FN wird sich noch für längere Zeit in der Republik einrichten.

Parteichefin Marine Le Pen hat bereits am Wahlabend nach ihrer Niederlage erklärt: "Nichts wird uns aufhalten können." Wie groß sind ihre Chancen, im Frühjahr 2017 in den Präsidentenpalast einzuziehen?

Der FN kann künftig auch mal ein Mandat gewinnen, die Präsidentschaftswahl wird er nicht gewinnen. Die ist in Frankreich ein besonderes Moment, in dem sich ein Politiker mit dem Volk vermählt. Da gehen immer mindestens 80 Prozent der Franzosen zur Wahl und ein Präsident muss mehr als die Hälfte der Menschen hinter sich vereinen. Dafür reicht das Potenzial des Front National nicht.

Wie groß ist das?

Das Ergebnis der Regionalwahlen

Sieger der Regionalwahlen in Frankreich ist das konservativ-bürgerliche Lager mit 41 Prozent. Das linke Lager erhält 30, der rechtsextreme Front National 27 Prozent. Rund 6,8 Millionen Franzosen stimmen für den FN - mehr als je zuvor.

Der FN erhielt jahrelang 20, maximal 25 Prozent, jetzt ist er bei 30 Prozent. Vor allem wenn viele Menschen zur Wahl gehen, kommt er nicht über 25 Prozent. In der ersten Runde der Regionalwahl am vergangenen Sonntag war das Wählerpotenzial des FN schon voll ausgeschöpft, in der zweiten Runde konnte er nicht mehr zulegen.

Der FN wurde auch geschlagen durch die Absprache von Konservativen und Sozialisten. Ist dies nicht eine gefährliche Strategie, weil sich der FN nun als Opfer des "Systems" gibt?

Von diesem Argument profitieren die Politiker des FN schon seit Längerem und versuchen auch dies auszunutzen, indem sie sagen: "Die Sozialisten und die Konservativen sind genau das Gleiche. Das ist das alte System, das wir überwinden werden." Die Strategie der etablierten Parteien, mithilfe des Wahlsystems und diesen Absprachen einen ziemlich deutlichen Anteil von Wählern außen vor zu halten, ist auch langfristig gefährlich: Bei der letzten Parlamentswahl lag der FN landesweit bei 25 Prozent und doch sitzen nur zwei Abgeordnete in der Nationalversammlung. Jetzt hat der FN überall über 30, teilweise auch 40 Prozent der Stimmen - aber keine einzige Region gewonnen.

Treibt der Front National jetzt die regierenden Parteien vor sich her?

Stefan Seidendorf ist stellvertretender Direktor des Deutsch-Französischen Instituts Ludwigsburg.

Stefan Seidendorf ist stellvertretender Direktor des Deutsch-Französischen Instituts Ludwigsburg.

Der FN kann Agenden setzen, Argumentationen vorgeben und sehr stark beeinflussen. Im Moment herrscht eine Stimmung der Abgrenzung nach außen gegenüber allem Fremden, die ein Stück weit auch reaktionär ist. Hinzu kommen auch Elemente der Angst und vor allem die Wut auf das bestehende System. Die jetzt gewählten Regionalabgeordneten vergiften natürlich das Klima und die anderen Parteien begeben sich zumindest rhetorisch auf das Terrain des Front National. Die Rechten um Nicolas Sarkozy versuchen ganz klar, den FN auch rechts zu überholen, die Linken laufen ihm mit Ausnahmezustand und Sicherheitsgesetzen hinterher.

Der FN verändert damit, auch ohne dass er an der Macht ist, bereits die französische Politik?

Ja, schon seit einer Weile. Bei der Regionalwahl hat der FN nur auf nationale Themen gesetzt: Sicherheit, Migration. Alles Dinge, die in den Regionen nicht anstehen, aber die natürlich die nationale Debatte beeinflussen. Und die Reaktionen bei der Regierung gehen ganz klar in diese Richtung: härtere Sicherheitspolitik, bürgerliche Freiheiten einschränken, den Ausnahmezustand ausnutzen, so weit man kann. Das ist alles eine Politik, die durch Sicherheitsdenken, Angst und Abgrenzung gekennzeichnet ist.

Der FN punktet auch mit seinen anti-europäischen Parolen. Wird sich das auf die französische Europapolitik auswirken?

Die europäische Politik ist seit Längerem schon ein Stiefkind der französischen Regierung. Präsident François Hollande hat sich seit seinem Amtsantritt nur sehr vorsichtig und meist wenig öffentlich zu Europa bekannt. Was die Weiterentwicklung der EU betrifft, sei es etwa das Schengensystems oder die Flüchtlingspolitik, hält er sich sehr zurück. Das ist natürlich dieser Stimmung im Lande geschuldet, die mit Europafeindlichkeit und Abgrenzung gut beschrieben ist.

Das heißt, der deutsch-französische Motor wird es künftig schwerer haben.

Nicht unbedingt. Die gegenseitigen Abhängigkeiten bestehen ja weiterhin - ob es der öffentlichen Debatte passt oder nicht. Und in Paris kann man sagen: Wir arbeiten nicht auf europäischer Ebene mit denen in Brüssel - wie es ja immer ein bisschen abschätzig heißt - zusammen, sondern auf der Ebene von Präsident und Kanzlerin, und versuchen so etwas zu erreichen. Tatsächlich herrscht jetzt eine Situation, in der ein deutsch-französischer Kompromiss eine Chance auf Erfolg hat. Die Deutschen sind vor allem mit dem Flüchtlingsthema beschäftigt, die Franzosen mit dem Sicherheits- und Grenzschutzthema - und das hängt ja beides voneinander ab. Wenn man hier einen Kompromiss findet, dann ist das eine Art von Stellvertreterkompromiss, der auch für die anderen Europäer akzeptabel ist.

Mit Stefan Seidendorf sprach Gudula Hörr

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen