Politik

Schützt Ankara den IS? Türkei droht ein Strudel der Gewalt

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"Die Türkei schützt den IS": Ein PKK-Sprecher erhebt schwere Vorwürfe.

(Foto: REUTERS)

Die Nachrichten von tödlichen Anschlägen in der Türkei reißen nicht ab. Der Konflikt zwischen kurdischen Gruppierungen und der Regierung wird immer blutiger. Ein Ende ist nicht abzusehen. Schwere Vorwürfe werden laut.

Eine Autobombe, ein Angriff auf Polizisten und ein Anschlag auf das US-Generalkonsulat: Die Bewohner der türkischen Metropole Istanbul sehen sich zu Wochenbeginn mit einer ganzen Reihe von Hiobsbotschaften konfrontiert. Vor einer Polizeistation in Istanbul detoniert in der Nacht eine Autobombe, kurz danach greifen Bewaffnete die Wache an. Wenig später wird das US-Konsulat in der Millionenstadt beschossen. Im südosttürkischen Sirnak geraten Polizisten in eine Sprengfalle, in derselben Provinz wird ein Hubschrauber beschossen.

Die blutige Bilanz: mindestens neun Tote. An kleinen Dingen in Istanbul lässt sich ablesen, wie die Angst vor Anschlägen in der größten Stadt des Landes zugenommen hat. So stehen am Eingang zum Einkaufszentrum Demirören in der Istiklal Caddesi - der beliebtesten Fußgängerzone des Landes - neuerdings Metalldetektoren. Ende vergangenen Monats teilte das Auswärtige Amt mit, es gebe "Hinweise auf mögliche Anschläge auf die U-Bahn und Bushaltestellen in Istanbul".

Viele Istanbuler zögern, bevor sie Massenveranstaltungen besuchen, die zum Anschlagsziel werden könnten. Dennoch läuft das öffentliche Leben in Istanbul weiter. Trotz der angespannten Lage besuchen die Menschen Einkaufszentren und fahren mit der U-Bahn. Am Sonntag versammelten sich zudem Tausende bei einem "Friedenstreffen" in Istanbul, zu dem unter anderem die pro-kurdische Oppositionspartei HDP aufgerufen hatte.

Fronten werden immer unübersichtlicher

Der Ko-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtas, hatte am Samstag an die Regierung und die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK appelliert, die Gewalt zu beenden. "Die PKK muss sofort ihren Finger vom Abzug nehmen", forderte Demirtas. Die Regierung müsse Verhandlungen aufnehmen. Zu den Angriffen in Istanbul bekannten sich linksextreme Gruppen. Wie groß der Wahrheitsgehalt dahinter ist, ist unklar.

Die Fronten in der Türkei sind unübersichtlich: Die linksextreme Terrororganisation DHKP-C verübt immer wieder Anschläge, ein Selbstmordattentäter sprengte sich 2013 vor der US-Botschaft in Ankara in die Luft. Die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK greift inzwischen täglich Sicherheitskräfte an. Befürchtet werden auch Anschläge der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die für ein Selbstmordattentat im südtürkischen Suruc mit 33 Toten im Juli verantwortlich gemacht wird. Vergangenen Monat sagte die türkische Regierung in einem Rundumschlag dem IS, der PKK und linken Terrorgruppen den Kampf an - der sich bislang allerdings vor allem auf die PKK konzentriert.

Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete zuletzt, bei Luftangriffen im Nordirak seien seit Beginn der Bombardements am 24. Juli 390 PKK-Kämpfer getötet worden. Die PKK dementiert das und wirft der Regierung in Ankara vor, bei den Luftschlägen vor allem Zivilisten zu töten.

"Die Türkei schützt den IS"

Aus Sicht vieler Kurden nutzt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Kampf gegen den IS als Vorwand, um die PKK zu bekriegen. Dabei trägt die PKK wesentlich zum Kampf gegen den IS in Syrien und dem Irak bei. Dem IS dürften die türkischen Luftschläge gegen die PKK also gelegen kommen. Die PKK wirft der türkischen Regierung vor, insgeheim mit dem IS gemeinsame Sache zu machen. "Die Türkei schützt den IS", sagte der führende PKK-Kommandant Cemil Bayik der britischen BBC. Ein Ende der PKK-Anschläge, die seit drei Wochen eskalieren, ist deshalb nicht abzusehen.

Schlechte Nachrichten für die Terrormiliz sind allerdings auch im Anflug: Die USA verlegten am Sonntag sechs F-16-Kampfjets auf die Luftwaffenbasis Incirlik, nachdem die türkische Regierung den Stützpunkt nahe der syrischen Grenze im vergangenen Monat nach zähen Verhandlungen für die Anti-IS-Koalition öffnete. Von Incirlik aus können die F-16 ihre tödliche Fracht wesentlich einfacher als bislang zum IS transportieren.

Die jüngsten Ereignisse zeigen, wie schnell der Nato-Partner Türkei im Strudel der Gewalt versinkt. Gerade jetzt bräuchte das Land eine starke Regierung - die es aber nicht hat. Auch mehr als zwei Monate nach der Parlamentswahl, bei der die islamisch-konservative Regierungspartei AKP ihre absolute Mehrheit verlor, ist keine Koalition absehbar. Die alte AKP-Regierung macht daher weiter, obwohl sie eigentlich längst abgewählt wurde. Im Moment deutet alles auf Neuwahlen hin - die frühestens im November stattfinden könnten.

Quelle: ntv.de, bdk/dpa/AFP

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