Politik

Ruhe vor dem Sturm in Aleppo? Türkei wirft Assad Kriegsverbrechen vor

Katastrophale Zustände: Mit dieser Aufnahme will die Hilfsorganisation "Weißhelme" auf die Versorgungslage in der eingeschlossenen Stadt aufmerksam machen.

Katastrophale Zustände: Mit dieser Aufnahme will die Hilfsorganisation "Weißhelme" auf die Versorgungslage in der eingeschlossenen Stadt aufmerksam machen.

(Foto: AP)

Scharfe Töne aus Ankara: Das türkische Außenministerium prangert die Luftangriffe auf Aleppo als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" an. In New York wollen die Großmächte am Nachmittag nach einem Ausweg suchen.

Wenige Stunden vor Beginn einer Sondersitzung im UN-Sicherheitsrat zur Lage in der umkämpften Metropole Aleppo im Norden Syriens hat die Türkei die schweren Luftangriffe auf die einstige Millionenstadt scharf verurteilt. Das türkische Außenministerium warf dem syrischen Regime Kriegsverbrechen an der eigenen Bevölkerung vor.

Aus der türkischen Hauptstadt Ankara hieß es, die Angriffe während der internationalen Bemühungen um eine Waffenruhe "zeigen ein weiteres Mal, dass das Regime und seine Unterstützer keine politische Lösung beabsichtigen".

Die Bombardements unter anderem auf Krankenhäuser "sind nicht nur Kriegsverbrechen, sondern auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Das Ministerium sprach von mehr als 300 getöteten Zivilisten bei den Bombardements in und um Aleppo in den vergangenen Tagen.

Sondersitzung in New York

Am Nachmittag tritt in New York der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zusammen, um in einer kurzfristig anberaumten Sitzung über die Luftangriffe in Aleppo zu beraten. Nach UN-Informationen hatten Großbritannien, die USA und Frankreich das Treffen in der Nacht beantragt. Danach werden die 15 Mitglieder des höchsten UN-Entscheidungsgremiums über die verheerende Lage in der syrischen Stadt sprechen.

Am Vorabend waren die Außenministern Deutschlands, Großbritanniens, Frankreichs und Italiens mit ihrem US-Amtskollegen John Kerry in Boston zusammen gekommen, um über eine gemeinsame Linie im Syrienkonflikt zu beraten. Sie forderten sofortiges Ende der Angriffe auf Aleppo und riefen insbesondere Russland dazu auf, der eskalierenden Gewalt ein Ende zu bereiten. Es liege an Moskau, die diplomatischen Bemühungen als mächtiger Verbündeter des Regimes von Baschar al-Assad zu retten und ein Ende der Feindseligkeiten zu ermöglichen, hieß es.

"Geduld mit Russland nicht unbegrenzt"

Die Stellungnahme der Außenminister der USA, Deutschlands, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und der EU-Außenbeauftragten betonte: "Die Geduld mit Russlands andauernder Unfähigkeit oder Unwilligkeit, sich an seine Verpflichtungen zu halten, ist nicht unbegrenzt".

Der Angriff auf einen UN-Hilfskonvoi vor einer Woche, die öffentliche Kündigung der geltenden Waffenruhe, die wiederholten Berichte über eingesetzte Chemiewaffen durch das syrische Regime sowie die Offensive in der umkämpften Stadt Aleppo stünden im eklatanten Widerspruch zur russischen Behauptung, eine diplomatische Lösung in Syrien zu unterstützen. Das Schreiben forderte den UN-Sicherheitsrat vor seiner Sitzung am Sonntagabend dazu auf, die Brutalität in dem Bürgerkriegsland zu thematisieren.

In Aleppo sind Berichten zufolge mittlerweile bis zu zwei Millionen Menschen von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon hatte sich zuvor "erschüttert über die schreckenerregende militärische Eskalation" in der Region geäußert. Nach Worten seines Sprechers Stephane Dujarric erklärte Ban, er sei alarmiert über Berichte von Luftangriffen mit Brand- und anderen Bomben, die selbst Bunker sprengen könnten. Aleppo sei der "anhaltendsten und schwersten Bombardierung" seit Beginn der Syrienkrise 2011 ausgesetzt.

Feuerpause war nur kurze Zeit

Nach tagelangen heftigen Luftangriffen hatte das syrische Regime und seine Verbündeten die Bombardements auf die Rebellen in der umkämpften Stadt zuletzt für kurze Zeit eingestellt. In der Stadt herrsche vorläufig Ruhe, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte noch am Sonntagvormittag. Schon am Nachmittag wurden die Luftangriffe fortgesetzt.

Das Regime hatte vor Wiederaufnahme der Luftangriffe am Donnerstag eine Bodenoffensive angekündigt, um die Stadt vollständig zurückzuerobern. Im Umland Aleppos rückten Regimetruppen nach Gefechten gegen die Aufständischen zuletzt weiter vor. Die angekündigte Militäroperation begann damit aber offensichtlich noch nicht.

Wann beginnt die Offensive?

US-Außenminister John Kerry hatte sich zuletzt nach seinem Treffen mit vier europäischen Außenministern für ein sofortiges Ende der Luftangriffe ausgesprochen. "Was in Aleppo passiert, ist inakzeptabel. Das sprengt alle Dimensionen", sagte Kerry. Zugleich rief er Russland auf, seinen Einfluss auf Syriens Machthaber Baschar al-Assad geltend zu machen.

Die schweren Bombardements bedeuten nach den Worten von UN-Syrienvermittler Staffan de Mistura "eine Rückkehr zum offenen Konflikt". Aus seiner Sicht sei es die schlimmste humanitäre Tragödie seit dem Zweiten Weltkrieg, sagte de Mistura dem arabischen Sender "Al-Dschasira".

"Das ist das größte Problem"

Dem UN-Vermittler ist die Frustration nach dem vorläufigen Scheitern der diplomatischen Bemühungen in New York offen anzumerken: "Ich bin nun 46 Jahre bei den UN, 19 Kriege inklusive Afghanistan und den Balkan, was kompliziert genug war", sagte de Mistura. "Ich habe niemals so viele Parteien mit so vielen unterschiedlichen Zielen gesehen wie in diesem Konflikt."

"Was als friedlicher Aufstand begann und sich dann zu einer gewaltsamen Unterdrückung wendete und danach zu einer Militarisierung sowohl des Aufstandes als auch der Unterdrückung, wurde ein regionaler Stellvertreterkrieg und danach ein konkurrierender internationaler Einsatz", fasste der UN-Diplomat die Entwicklung zusammen. "Das ist das größte Problem in diesem Konflikt."

Quelle: ntv.de, mmo/dpa

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