Der Kriegstag im Überblick Ukraine meldet 300 befreite Orte - Scholz und Putin telefonieren
13.09.2022, 20:43 Uhr
Ukrainische Soldaten in der befreiten Stadt Kupjansk.
(Foto: Telegram @kuptg via REUTERS)
Nach Charkiw steuert die ukrainische Gegenoffensive auf die Region Luhansk zu. Nach Angaben Kiews konnten seit der vergangenen Woche rund 300 Ortschaften zurückerobert werden. In Moskau will man vorerst weiterhin auf eine Generalmobilmachung verzichten, Kanzler Scholz telefoniert mit Putin. Der 202. Kriegstag im Überblick.
Ukraine meldet russischen Rückzug in Luhansk
Im Kriegsgebiet hat sich das Blatt in den vergangenen Tagen gewendet: Das ukrainische Militär gewann vor allem im Osten und Süden des Landes Gebiete zurück, während die russischen Besatzer überstürzt abrückten. Nach der Region um die Millionenstadt Charkiw gilt dies auch für erste Orte im Nachbargebiet Luhansk, wie der dortige ukrainische Militärgouverneur Serhij Hajdaj mitteilte. Unabhängig zu überprüfen waren diese Aussagen zunächst nicht.
Die russische Führung um Präsident Wladimir Putin gibt sich trotz der Rückschläge unaufgeregt. Es sei keine Generalmobilmachung geplant, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow laut Agentur Interfax. Doch werden in Moskau Rufe nach Konsequenzen lauter - darunter auch nach einer teilweisen oder vollständigen Mobilmachung, um die ausgegebenen Ziele der sogenannten "Spezialoperation" zu erreichen.
Ukraine: 3800 Quadratkilometer Land befreit
Bei ihrer Gegenoffensive hat die Ukraine in einer Woche im östlichen Gebiet Charkiw mindestens 300 Ortschaften mit knapp 150.000 Einwohnern auf 3800 Quadratkilometern befreit. Das sagte Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar in Balaklija, einer der zurückeroberten Städte. Dies seien nur die bestätigten Zahlen, sagte sie auf Telegram. Vermutlich sei das befreite Territorium im Gebiet Charkiw fast doppelt so groß. Am Mittwoch soll es weitere Daten geben.
Moskau befiehlt massive Bombardements
Als Reaktion auf die ukrainischen Geländegewinne meldete Russland heftigen Beschuss an allen Frontlinien. "Die Luft- und Raketen-Streitkräfte sowie die russische Artillerie führen in allen Einsatzgebieten massive Angriffe gegen Einheiten der ukrainischen Streitkräfte aus", teilte das russische Verteidigungsministerium in seinem täglichen Bericht mit. Explizit genannt wurden Angriffe vor allem im Osten, Süden und bei Charkiw im Nordosten des Landes, wo die Ukraine ihre Gegenoffensive gestartet hat.
Scholz telefoniert 90 Minuten mit Putin
Bundeskanzler Olaf Scholz hat am Nachmittag mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin telefoniert und mit ihm eineinhalb Stunden lang über den Krieg in der Ukraine gesprochen. Laut Mitteilung drängte der SPD-Politiker angesichts der Lage an der Front auf eine schnelle diplomatische Lösung. Die müsse "auf einem Waffenstillstand, einem vollständigen Rückzug der russischen Truppen und Achtung der territorialen Integrität und Souveränität der Ukraine" basieren, heißt es in der Mitteilung. Scholz und Putin hätten vereinbart, weiter im Kontakt zu bleiben.
Briten sehen Russlands Streitkräfte geschwächt
Die strategische Lage nach den jüngsten Erfolgen der Ukraine ist nicht leicht einzuschätzen. "Wir haben eindeutig bedeutende Fortschritte bei den Ukrainern gesehen, insbesondere im Nordosten", sagte US-Außenminister Blinken in Mexiko und lobte den Mut der Ukrainer. Doch fügte er hinzu, es sei zu früh zu sagen, wie sich die Lage weiterentwickeln werde. "Die Russen haben in der Ukraine weiter sehr umfangreiche Streitkräfte sowie Ausrüstung, Waffen und Munition."
Nach Einschätzung der britischen Geheimdienste sind führende Einheiten der russischen Armee jedoch enorm geschwächt. Betroffen sei auch die Erste Gardepanzerarmee, die zu den prestigeträchtigsten Einheiten des russischen Militärs gehört. Teile dieser Einheit hätten sich vergangene Woche aus der Region Charkiw zurückgezogen.
"Deutschland, wir warten auf Dein Wort"
Unterdessen kritisierte der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak das deutsche Zögern bei Panzerlieferungen. "Sechs Monate lang gibt es keine Panzer, weil es keine "politische Entscheidung" dafür gibt", schrieb er bei Twitter. Russland könne deswegen den "Terror" fortsetzen, Ukrainer müssten sterben. "Deutschland, wir warten auf Dein Wort", richtete sich Podoljak an Berlin.
Dort wird über die Abgabe weiterer Waffensysteme weiter gestritten, auch mit Blick auf Panzer. Die Debatte tritt aber weitgehend auf der Stelle: Kanzler Scholz und die SPD sind zurückhaltend und wenden sich gegen "Alleingänge". Die Koalitionspartner Grüne und FDP machen Druck. Die US-Botschaft in Berlin ermunterte Deutschland, bei der Militärhilfe für die Ukraine "so viel Unterstützung wie möglich" zu leisten.
Rheinmetall könnte der Ukraine sofort Marder liefern
Der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall teilte laut NDR und ARD-Hauptstadtstudio mit, 16 "Marder" aus ausgemusterten Beständen der Bundeswehr auf eigene Kosten weitestgehend wiederhergestellt zu haben. Sie seien auslieferungsfähig, es gebe aber keine Ausfuhrgenehmigung der Bundesregierung. Mit der Aufbereitung 14 weiterer Marder habe Rheinmetall bereits begonnen, berichtete das ARD-Hauptstadtstudio weiter. Bei Bedarf könnten noch 70 weitere Fahrzeuge aus Altbeständen wieder nutzbar gemacht werden.
Weitere Texte zum Ukraine-Krieg:
- Mobilmachen, Eskalieren, Rückzug: Welche Optionen hat Putin jetzt noch?
- Europa könnte Panzer schicken: Warum der Leopard die Lösung wäre
- Staatssender in Erklärungsnot: Erfolg der Ukraine überrumpelt Kreml-Propaganda
- Ukraine greift hart durch: Russische Lehrer gehen auf "Dienstreise" und landen in Haft
- Einnahmen brechen weg: Russlands Überschuss löst sich in Luft auf
Alle weiteren Entwicklungen können Sie in unserem Liveticker nachlesen.
Quelle: ntv.de, jpe/dpa