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NATO-Gipfel in Vilnius Ukraine muss warten, Scholz ist zufrieden

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Kanzler Scholz im Gespräch mit der estnischen Ministerpräsidentin Kaja Kallas. Sie hatte vor dem Gipfel für deutlichere Zusagen an die Ukraine geworben.

Kanzler Scholz im Gespräch mit der estnischen Ministerpräsidentin Kaja Kallas. Sie hatte vor dem Gipfel für deutlichere Zusagen an die Ukraine geworben.

(Foto: REUTERS)

Die deutsche Position setzt sich auf dem NATO-Gipfel durch, entsprechend zufrieden zeigt sich Bundeskanzler Scholz. Für die Ukraine gibt es in Vilnius nicht so viel wie erhofft, aber doch etwas mehr als 2008 in Bukarest.

Vor dem NATO-Gipfel wurde innerhalb des Bündnisses ausführlich darüber diskutiert, ob, wann und unter welchen Bedingungen die Ukraine Mitglied werden kann. Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich aus diesen Debatten weitgehend rausgehalten - er sagte immer nur, es sei klar, dass kein Land "während eines Kriegs" oder bei "offenen Grenzkonflikten" Mitglied des Verteidigungsbündnisses werden könne.

Das war tatsächlich klar und wurde nicht einmal von der Ukraine gefordert - es ging immer nur darum, wie schnell das von Russland überfallene Land nach dem Krieg beitreten kann. Wie erwartet hat sich Scholz' Haltung - die man als vorsichtig oder auch als bremsend beschreiben könnte - beim Gipfel in Vilnius durchgesetzt. Das lag auch daran, dass US-Präsident Joe Biden eine ganz ähnliche Position zu dieser Frage hat.

Bei seiner Pressekonferenz zum Abschluss des Gipfels war Scholz die Zufriedenheit anzumerken. Vilnius sei "ein sehr erfolgreicher Gipfel" gewesen. "Wir haben sehr gute Beschlüsse gefasst", sagte der Kanzler und verwies darauf, dass auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Entscheidungen am Ende "sehr sorgfältig gelobt" habe. Zuvor hatte Selenskyj es auf Twitter allerdings "absurd" genannt, dass es weder für die Einladung noch für die Mitgliedschaft der Ukraine einen Zeitplan gebe.

"Russland wird da nicht drüber verfügen können"

In späteren Tweets zeigte Selenskyj sich dann deutlich zufriedener: Der neu gebildete NATO-Ukraine-Rat, der in Vilnius zum ersten Mal tagte, gebe seinem Land die nötige institutionelle Gewissheit. Der Rat sei ein Instrument für die Integration, nicht nur für eine Partnerschaft, schrieb er. "Wir verstehen, dass die Ukraine nicht Mitglied der NATO werden kann, solange der Krieg andauert. Aber dann wird es unsere gemeinsame Stärke sein, wenn die Ukraine dem Bündnis beitritt."

In seiner Pressekonferenz wies Scholz Annahmen zurück, eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine könne bei etwaigen Verhandlungen mit Russland ein Faustpfand sein. Die Frage der NATO-Mitgliedschaft werde "kein Gegenstand sein, der anderen zur Disposition steht", sagte der Kanzler. "Russland wird da nicht drüber verfügen können", das sei "sehr klar".

Die Staats- und Regierungschefs der NATO hatten schon am Vortag einen Beschluss verabschiedet, in dem es heißt: "Die Zukunft der Ukraine ist in der NATO." Der Wortlaut geht ausdrücklich über den häufig kritisierten Beschluss des Bukarest-Gipfels von 2008 hinaus. Damals wurde der Ukraine schon einmal die NATO-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt - dann aber sogleich auf die lange Bank geschoben. Die Ukraine hing damit in einer Art sicherheitspolitischem Vakuum: Sie hatte sich zur NATO bekannt, aber keine Sicherheit bekommen.

Vilnius geht über Bukarest hinaus

Vor allem osteuropäische Staaten mit Ausnahme Ungarns hatten vor dem Gipfel von Vilnius gefordert, dass der Ukraine jetzt zugesichert wird, unmittelbar nach Kriegsende in das Bündnis aufgenommen zu werden. Auch die Ukraine selbst hatte das gefordert.

Über den Bukarest-Beschluss aus dem Jahr 2008 hinaus einigte sich die NATO in Vilnius aber darauf, dass die Ukraine dem Bündnis beitreten kann, ohne zuvor einen sogenannten Mitgliedschaftsaktionsplan zu absolvieren. Das wird den Beitritt beschleunigen, aber ihn nicht zu einem Automatismus machen. Um nach dem Krieg tatsächlich beitreten zu können, muss die Ukraine "zusätzliche Reformen in den Bereichen Demokratie und Sicherheit" durchführen, die von den NATO-Außenministern regelmäßig bewertet werden sollen. Eine Beitrittseinladung an die Ukraine soll ergehen, "wenn die Bündnispartner zustimmen und die Bedingungen erfüllt sind".

Scholz stellte solche Bedingungen in seiner Pressekonferenz als ganz normales Verfahren dar. Zugleich betonte er, er habe dem ukrainischen Präsidenten bei einem Treffen "erneut meinen Respekt ausgedrückt vor dem Mut und der Entschlossenheit des ukrainischen Volkes, das jeden Tag für die Freiheit seines Landes kämpft. Und ich habe wiederholt, Deutschland wird die Ukraine weiter unterstützen, solange es nötig ist."

G7 wollen der Ukraine Sicherheitszusagen geben

Scholz unterstrich auch, dass die NATO ein Verteidigungsbündnis sei, das niemanden bedrohe. "Sie ist aber bereit und in der Lage, jeder militärischen Bedrohung zu begegnen." Die Erklärung der G7-Staaten, die der Ukraine Sicherheitszusagen gegeben hatten, würden die bisherige Unterstützung einbinden "in eine längerfristige Strategie, auf die sich die Ukraine dann auch verlassen kann", so Scholz.

Die G7-Gruppe der wichtigsten demokratischen Industriestaaten hatte der Ukraine zugesichert, ihr dabei zu helfen, "sich selbst zu verteidigen und künftige Aggressionen abzuwehren". Gemeinsam mit der Ukraine wollen die G7-Staaten bilaterale Sicherheitsverpflichtungen mit der Ukraine abschließen. Bis auf Japan sind alle G7-Staaten NATO-Mitglieder; Japan nahm aber als strategischer Partner der NATO am Gipfel teil. Bei den "langfristigen Sicherheitsverpflichtungen und -vereinbarungen" soll es darum gehen, die Ukraine in die Lage zu versetzen, sich jetzt zu verteidigen und Russland von einem neuen Angriff in der Zukunft abzuschrecken. "Im Fall eines zukünftigen bewaffneten Angriffs durch Russland werden wir uns unverzüglich mit der Ukraine konsultieren und über die angemessenen nächsten Schritte entscheiden."

Russland droht, Selenskyj lobt "wichtiges Signal"

Experten bewerten solche Sicherheitszusagen als eher symbolisch - sie haben nicht das Gewicht der Beistandsverpflichtung einer NATO-Mitgliedschaft. "Die NATO ist die übliche Sicherheitsgarantie in Europa", sagte Minna Ålander vom Finnish Institute of International Affairs in Helsinki im Interview mit ntv.de. "Solange die Ukraine davon ausgeschlossen bleibt und nicht die klare Perspektive einer Mitgliedschaft bekommt, sendet es das Signal, dass die Ukraine anders ist als der europäische Rest."

Auf die G7-Erklärung reagierte Russland mit einer Drohung. "Wir halten dies für einen extremen Fehler und potenziell für sehr gefährlich", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Dagegen bezeichnete der ukrainische Präsident die G7-Erklärung als "wichtiges Signal".

Quelle: ntv.de

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