Der Kriegstag im Überblick Viele Staaten weisen russische Diplomaten aus - Selenskyj fordert Reaktion auf Massaker
05.04.2022, 21:45 Uhr
Mit eindringlichen Worten wandte sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj an den UN-Sicherheitsrat.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Momentan finden viele Kämpfe rund um die russische Invasion in die Ukraine abseits der Kriegsschauplätze statt. EU-Staaten erklären als Reaktion auf die Massaker in Butscha viele russische Diplomaten zu "unerwünschten Personen" und weisen sie aus. In Deutschland reißen die Diskussionen rund um weitere Waffenlieferungen an die Ukraine nicht ab - Außenministerin Baerbock zeigt hier erste Bereitschaft. Derweil tut sich auch an der Front der Energielieferungen etwas: Die Europäische Union will Kohleimporte aus Russland verbieten.
Trotz des Rückzugs großer Teile der russischen Truppen im Norden der Ukraine gehen die Kämpfe unvermindert weiter. Ukrainische Streitkräfte erobern nach britischen Angaben wichtige Gebiete im Norden des Landes zurück. Sie hätten russische Truppen zum Rückzug aus Gegenden nördlich der Hauptstadt Kiew und rund um die Stadt Tschernihiw gezwungen, teilte das Verteidigungsministerium in London unter Berufung auf den britischen Militärgeheimdienst mit.
Die russischen Streitkräfte bereiten nach ukrainischen Angaben einen "massiven Angriff" auf die Truppen in der östlichen Region Luhansk vor. Es werde Ausrüstung und Treibstoff gebracht, zudem würden die Truppen verstärkt, teilte der Gouverneur der Region, Serhij Gaidaj, mit. "Wir glauben, dass sie sich auf einen massiven Angriff vorbereiten." In einer Videobotschaft sagte Gaigaj, dass die Bombardements immer dichter würden. Er forderte die Bewohner auf, die Region so schnell wie möglich zu verlassen. Das ukrainische Verteidigungsministerium rechnet etwa mit weiteren russischen Angriffen auf die belagerte Millionenstadt Charkiw im Osten der Ukraine. Auch die NATO teilt die Befürchtungen des ukrainischen Militärs.
Derweil wurde die ostukrainische Großstadt Kramatorsk in der Nacht zu Dienstag von der russischen Armee bombardiert. Bei den Raketenangriffen wurde unter anderem eine Schule im Stadtzentrum zerstört. Da sich zum Zeitpunkt des Angriffes niemand in der Schule aufhielt, gab es nach Angaben von Anwohnern offenbar keine Opfer. Zudem habe es schwere Angriffe auf die Stadt Borodjanka gegeben.
Selenskyj will Russland für Butscha zur Rechenschaft ziehen
Die Debatte um Kriegsverbrechen der russischen Armee in Butscha reißt nicht ab. US-Außenminister Antony Blinken bezeichnete die an Zivilisten verübten Gräueltaten in der ukrainischen Stadt Butscha als eine "vorsätzliche Aktion". Es handle sich nicht um eine "willkürliche Tat einer außer Kontrolle geratenen Einheit", sagte er vor dem Abflug nach Brüssel zum NATO-Außenministertreffen. "Es ist eine bewusste Aktion, um zu töten, zu foltern, zu vergewaltigen und Gräueltaten zu begehen", so Blinken weiter.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte bei einer Rede vor dem UN-Sicherheitsrat, Russland für die Gräueltaten in dem Kiewer Vorort Butscha zur Rechenschaft zu ziehen. "Rechenschaft muss unvermeidbar sein", sagte Selenskyj bei seiner per Videoschalte übertragenen Rede vor dem wichtigsten UN-Gremium. Russland habe "Verbrechen" verübt. Selenskyj warf Russland zudem vor, "Zehntausende" Ukrainer nach Russland verschleppt zu haben.
Kremlsprecher Dmitri Peskow bezeichnete den Fund Hunderter Leichen in der ukrainischen Kleinstadt Butscha dagegen als "monströse Fälschung" durch die ukrainische Seite. "Wir bestehen darauf, dass jegliche Anschuldigungen gegen die russische Seite, gegen russische Soldaten nicht nur einfach grundlos sind, sondern eine gut inszenierte Show", sagte Peskow, der bereits am Montag jedwede russische Verantwortung für die Gräueltaten bestritten hatte, der Agentur Interfax zufolge. Belege nannte er erneut keine.
Massenhafte Ausweisung russischer Diplomaten
Zahlreiche europäische Länder haben binnen der vergangenen 48 Stunden russische Diplomaten ausgewiesen. Nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP sollen es mehr als 200 innerhalb binnen zwei Tagen gewesen sein. Deutschland wies allein 40 Vertreter Russlands aus, Italien 30 und Spanien 25, aber auch Dänemark und die Europäische Union schickten Diplomaten zurück in ihr Heimatland.
Russland werde auf die gleiche Weise reagieren und die Türen zu den westlichen Botschaften zuschlagen, sagte der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew zur Ausweisung der Diplomaten. "Das wird für alle billiger sein. Und dann werden wir uns am Ende nur noch mit dem Gewehr im Anschlag gegenüberstehen".
Waffenlieferungen: Deutschland zaudert, Tschechien liefert
Die Forderung nach weiteren Waffenlieferungen seitens der Ukraine reißen nicht ab. In Deutschland forderte auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mehr Engagement der Bundesregierung bei der Unterstützung der Ukraine mit Waffen. Deutlich kleinere Länder als Deutschland hätten im Verhältnis mehr Waffen an die Ukraine geliefert, monierte der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Thorsten Frei. Vor allem Verteidigungsministerin Christine Lambrecht stand weiterhin massiv in der Kritik.
Außenministerin Annalena Baerbock bekräftigte angesichts der Kriegsgräuel in Butscha die grundsätzliche Bereitschaft zur Lieferung weiterer Waffensysteme an die Ukraine. "Wir sagen nicht Nein, sondern wir schauen uns an, was es für Lösungen gibt. Und zwar gemeinsam als EU, als NATO und vor allen Dingen als G7-Partner", sagte die Grünen-Politikerin. Die Bundesregierung genehmigte bis Ende März Rüstungslieferungen im Wert von 186 Millionen Euro für die Ukraine. Im ersten Quartal dieses Jahres erhielten nur die NATO-Partner Niederlande und Großbritannien mehr Waffen und andere Rüstungsgüter aus Deutschland, wie das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima mitteilte.
Tschechien hat der Ukraine einem Medienbericht zufolge Kampfpanzer zur Verteidigung gegen die russische Invasion geliefert. Ein Güterzug mit mehreren Dutzend Panzern der sowjetischen Bauart T-72 sowie BMP-1-Schützenpanzern sei bereits am Montag abgefertigt worden, berichtete das Nachrichtenportal Echo24.cz.
EU will Kohleimporte aus Russland verbieten
Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko appellierte an die Politik in Europa, alle Geschäftsbeziehungen zu Russland zu kappen. "An jedem Euro, jedem Cent, den Sie aus Russland erhalten oder den Sie nach Russland schicken, klebt Blut, und dieses Blut ist ukrainisches Blut, das Blut des ukrainischen Volkes", sagte er in einer Videoschalte zu einer Bürgermeister-Konferenz in Genf.
Die Europäische Kommission will alle Kohleimporte aus Russland verbieten. Das wurde aus EU-Kreisen publik. Die EU-Kommission soll Einschränkungen russischer Kohleimporte vorbereiten. Demnach sind russische Kohleimporte Teil des nächsten Sanktionspakets gegen Russland. Genaueres, etwa ab wann und in welchem Umfang Kohleimporte aus Russland gestoppt werden könnten, ist bisher nicht bekannt. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck unterstütze einen möglichen EU-Lieferstopp russischer Kohle, hieß es.
Die neue US-Botschafterin in Deutschland, Amy Gutmann, zeigte Verständnis für das deutsche Nein zu einem kompletten Energie-Embargo gegen Russland. "Ich finde, Deutschland tut alles, was es kann, ohne sich dabei selbst mehr zu schaden als Herrn Putin", sagte die Botschafterin in einer Diskussionsrunde in der Freien Universität Berlin. Ausdrücklich lobte sie die Bemühungen, weniger abhängig von russischen Energielieferungen zu werden. Das geschehe "schneller, als irgendjemand für möglich gehalten hat".
Politprominenz will nach Kiew reisen
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell wollen noch in dieser Woche zu einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj nach Kiew reisen. Dies teilte ein EU-Sprecher mit. Auch Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer will in den nächsten Tagen in die Ukraine reisen und sich dort mit Selenskyj treffen. Das teilte das Kanzleramt mit. Österreich will der Ukraine zeitnah weitere humanitäre Hilfe bereitstellen, hieß es weiter. Details zu der Reise könnten aus Sicherheitsgründen derzeit nicht genannt werden.
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Quelle: ntv.de, als/AFP/dpa/rts