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Vier Stunden Putin Der Diktator fühlt sich stark

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Putin bei seiner moderierten Jahresendpressekonferenz.

Putin bei seiner moderierten Jahresendpressekonferenz.

(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)

Vor einem Jahr, als von der Front vor allem schlechte Nachrichten kamen, ließ Putin seine traditionelle PR-Show ausfallen. Jetzt scheint der Kremlherrscher davon auszugehen, dass alles nach Plan läuft. Entsprechend selbstgewiss tritt er auf.

In der Zeit vor dem 24. Februar 2022 gehörten sie erkennbar zu den Lieblingsbeschäftigungen des russischen Präsidenten: die mehrstündigen Pressekonferenzen am Ende des Jahres, außerdem einmal im Jahr der "Direkte Draht", eine gefühlt ebenfalls unendliche Sendung, die Putin nutzte, um ausgewählte Fragen aus der Bevölkerung zu beantworten. Im vergangenen Jahr verzichtete der heute 71-jährige Diktator auf beide Formate: Offenbar war die Ausgangslage schlicht zu ungemütlich. Im Herbst hatte die ukrainische Armee die russischen Invasoren aus dem Bezirk Charkiw sowie aus der Stadt Cherson vertrieben, auch die Mobilmachung in Russland dürfte zu der Entscheidung beigetragen haben.

Im Dezember 2023 sieht die Welt zumindest in Putins Augen ganz anders aus. Die ukrainische Offensivoperation hat nicht zum großen Erfolg geführt, die westliche Unterstützung für Kiew scheint zu bröckeln - und auch die russische Wirtschaft ist trotz der Sanktionen, deren langfristige Wirkung kaum infrage steht, in deutlich besserem Zustand als vorausgesagt. Und so war es wohl an der Zeit, zu den eigenen Gewohnheiten zurückzukehren. Zumindest fast: Dieses Mal wurden die Formate der Pressekonferenz und des "Direkten Drahts" miteinander verknüpft.

Inhaltliche Überraschungen gab es kaum. Es gab zwar Putins übliche Lektion zur ukrainischen Geschichte, die wieder bis in die Zeit der Oktoberrevolution zurückging. Aber der russische Krieg gegen die Ukraine stand nicht im Fokus.

Putin kann natürlich nichts dafür

Das war so zu erwarten. Umfragen - auch wenn die in Russland stets mit Vorsicht zu genießen sind - zeigen, dass sich die Russen aktuell vor allem für soziale und wirtschaftliche Fragen interessieren. Zum anderen hatte Putin den Krieg bereits in den Vordergrund gestellt, als er vor einer Woche seine fünfte Präsidentschaftskandidatur verkündete. Dies tat er beim Auftritt mit dem Sohn eines getöteten Kommandeurs der sogenannten Volksrepublik Donezk, der nun selbst Sprecher des Donezker "Parlaments" sowie Kriegsteilnehmer ist. Die heutige PR-Veranstaltung war dann wohl als Auftakt von Putins "Wahlkampf" zu verstehen. Dessen zentrales Motto scheint zu sein: Es läuft.

Dass die russische Wirtschaft ein sicheres Polster unter sich hat, die Arbeitslosigkeit so niedrig ist wie nie und die Lebenserwartung steigt, waren einige der Thesen, die Putin betonte. Er verkündete zudem, dass er dem Putin von 2000 sagen würde, dass dieser sich auf dem richtigen Weg befinde - aber seine damalige Naivität gegenüber den westlichen Partnern überdenken sollte. Inmitten großer Worte beantwortete er auch eine Frage nach den massiv steigenden Eierpreisen: Schuld seien unbedeutende Fehler der Regierung und des Landwirtschaftsministeriums, die sich korrigieren ließen, sagte Putin. Er selbst kann natürlich nichts dafür.

Wirklich neue Erkenntnisse gab es kaum. Putin gab bekannt, dass in der Ukraine angeblich 617.000 russische Soldaten im Einsatz sind. Indirekt sprach er sich gegen das Abtreibungsverbot aus, für das die staatliche Propaganda in den letzten Monaten geworben hatte, ein Anliegen der orthodoxen Kirche.

Kritische Fragen, um Pluralität vorzugaukeln

All das diente dem Zweck, den Bürgern zu zeigen: Es soll genauso weitergehen wie zuvor, der Feldzug gegen die Ukraine darf von den russischen Normalverbrauchern weiterhin ignoriert werden. Zumal für eine neue Mobilmachungswelle laut Putin kein Bedarf besteht. Wie viel solche Versprechungen wert sind, zeigte das letzte Jahr: Die Verkündung der Mobilmachung folgte direkt auf ähnliche Versicherungen, dass diese nicht notwendig seien. In dieser Hinsicht war bemerkenswert, dass Putin mit keinem Wort das Thema der sogenannten Demobilisierung erwähnte. Verwandte von Männern, die im September 2022 eingezogen wurden, protestieren seit Wochen und Monaten dafür, dass ihre Gatten und Söhne endlich nach Hause zurückkehren dürfen. Das ist vorerst alles andere als in Sicht.

Auf den Bildschirmen hinter Putin flackerten unterdessen bisweilen kritische Fragen auf. Etwa diese: "Warum geht Ihre Realität mit unserer Wirklichkeit auseinander?" So etwas sollte nicht überbewertet werden. Es ist gut möglich, dass solche Fragen aus Gründen der Scheinpluralität mit dem Kreml abgestimmt worden waren. So war es nach Informationen des russischsprachigen der BBC beim "Direkten Draht" 2017, ebenfalls kurz vor den Wahlen. Dass jemand deshalb seinen Job verliert, ist nicht zu erwarten.

Putin fühlt sich offenkundig stark

Anders als vor einem Jahr ist der Putin des Dezembers 2023 selbstgewiss - und glaubt, dass alles nach Plan läuft. Als einer der russischen "Kriegskorrespondenten" ihn nach Problemen beim Drohneneinsatz fragt, bittet der russische Präsident diesen, doch zu sagen, dass es schon besser geworden ist. Natürlich, reagiert der Propagandist sofort. "Nun nehmen Sie bitte Platz", fährt Putin fort. Nicht mal aus taktischen Zwecken bringt der Kremlherrscher das Thema etwaiger Verhandlungen mit der Ukraine prominent ins Spiel, obwohl er dies in der Vergangenheit gerne tat - mit dem üblichen Verweis, es seien die Ukraine und ihre westlichen "Kuratoren", die Gespräche blockierten. Offenbar fühlt Putin sich so stark, dass er solches Taktieren nicht als nötig betrachtet.

Stattdessen geht es wieder darum, dass es Frieden erst geben wird, wenn die Ziele der "speziellen Militäroperation" erfüllt sind - die "Entnazifizierung" und "Entmilitarisierung" der Ukraine. Ohnehin seien Russen und Ukrainer ein Volk und Odessa eine russische Stadt - man kennt das bereits. Die Ukraine bekomme westliche Waffen quasi kostenlos, doch das gehe jetzt zu Ende, auch wenn Kiew trotzdem noch immer etwas kriegen wird.

Das eigene Militärbudget für 2024 hat Putin im Vergleich zum auslaufenden Jahr um 70 Prozent aufgestockt, die russische Haushaltsplanung zeigt, dass er mit weiteren Kriegsjahren plant. Er ist sicher, dass die Zeit für ihn spielt. Ganz Unrecht hat er nicht. Doch die Geschichte seines Regimes zeigt auch: Die meisten Fehler hat es dann gemacht, wenn es zu selbstischer war. Das war am 24. Februar 2022 der Fall und kann sich wiederholen. Vor allem, wenn der Westen endlich den Ernst der Stunde erkennt.

Quelle: ntv.de

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