
Berlins Spionagepalast: der Sitz des BND in der Chausseestraße.
(Foto: imago/Jürgen Ritter)
Was dürfen Geheimdienste in Zeitalter digitaler Kommunikation? Der BND so ziemlich alles, solang er nicht gezielt Deutsche überwacht. Am Dienstag aber dürfte das Bundesverfassungsrecht ein folgenreiches Grundsatzurteil fällen, das den Spielraum der Auslandsspione womöglich drastisch einschränkt
Am Dienstagvormittag steht Karlsruhe im Fokus der westlichen Geheimdienste. Nicht weil in der beschaulichen Rhein-Stadt ein Terroranschlag oder ähnlich Gefährliches geplant oder gar passieren würde. Vielmehr geht es darum, welche Befugnisse Geheimdienste in westlichen Demokratien haben, um beispielsweise Attentate zu verhindern. Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat die Aufgabe, deutsche Sicherheitsinteressen zu wahren, indem er Informationen aus dem Ausland analysiert und seine Erkenntnisse Politik, Behörden und befreundeten Ländern zur Verfügung stellt. Er nutzt hierfür frei zugängliche Informationen genauso wie Materialien, zu denen er sich verdeckt Zugriff verschafft - etwa durch den Einsatz von Agenten oder durch die Überwachung von Kommunikation im Internet.
Worüber wird verhandelt?
Es geht um das im Jahr 2016 neu gefasste und 2017 in Kraft getretene BND-Gesetz, das die Arbeit des Dienstes regelt. Die Novelle hatte die Überwachung der Internetkommunikation erstmals auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Anlass hierfür waren die Erkenntnisse aus dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zu den Aktivitäten des US-Geheimdienstes NSA, die der Whistleblower Edward Snowden öffentlich gemacht hatte. Dabei stellte sich heraus, dass auch der BND Datenströme aus dem Internet abgreift und mit seinen Partnerdiensten im Ausland teilt.
Was genau überwacht der BND?
Grob gesagt: alles. Zumindest darf der BND alles beobachten und verarbeiten, was zwischen Ausländern im Ausland passiert. (EU-Institutionen sind durch das BND-Gesetz zusätzlich ausgeschlossen worden, nachdem sie zuvor sehr wohl im Visier der Agenten standen.) Der BND darf sämtliche E-Mails, Nachrichten und Telefonate abfangen und die Inhalte auswerten und speichern - und zwar präventiv, ohne konkreten Anlass oder Verdacht. Wer sich mit der Praxis von Geheimdiensten befasst, weiß, dass diese ihrer ganzen Betriebslogik nach darauf ausgelegt sind, mindestens alles zu tun, was ihnen nicht explizit verboten ist. Bei seiner Arbeit profitiert der BND davon, dass Kommunikationsdaten auch Deutschland passieren - seien es Funkverbindungen in der Luft oder Internetverbindungen, deren weltgrößter Knotenpunkt in Frankfurt am Main liegt. Am Wochenende berichteten "Spiegel" und Bayerischer Rundfunk, dass der BND in der Lage ist, allein von diesem Knotenpunkt 1200 Milliarden Verbindungen auszulesen und zu kopieren - an jedem einzelnen Tag.
Wo ist das Problem?
Ethisch ist es grundsätzlich fragwürdig, dass im Vertrauen Gesagtes und Besprochenes nicht davor geschützt ist, unbemerkt von Dritten mitverfolgt zu werden. Die große gesellschaftliche Errungenschaft des Briefgeheimnisses ist im Zeitalter digitaler Kommunikation de facto abgeschafft, weil schon das systematische Abspeichern von Kommunikationsmustern - wer wann und wo mit wem spricht - die Menschen intimer Informationen beraubt. Das wirkt sich auf die weit überwiegende Mehrheit unbescholtener Bürger aus. Menschen verhalten sich und reden anders, sie zensieren sich selbst, wenn die Möglichkeit der Überwachung immer im Raum steht. Die BND-Praxis hat genau dies zur Konsequenz für die rund 7,7 Milliarden Menschen, die keine Deutschen sind. Andersherum sind Deutsche von gleichen Überwachungspraxen ausländischer Geheimdienste betroffen, wie Snowden am Beispiel der NSA demonstriert hat. Hinzu kommt: Der BND legt durch sogenannte Selektoren vorab fest, welche Daten automatisch abgegriffen werden sollen. Diese Filterkriterien können Stichwörter, Namen, Adressen und Kommunikationsmuster sein und selbst diskriminierend wirken, weil zum Beispiel - etwas vereinfacht - die Liebesmails eines Ali Mohammed eher überwacht werden als der Tinder-Chat von Tom Smith.
Wer sind die Kläger?
Die Kläger sind sieben ausländische Journalisten, darunter sechs Ausländer wie die preisgekrönte aserbaidschanische Journalistin Khadija Ismajilova und der in Guatemala arbeitende Deutsche Michael Mörth. Weitere Klägerin ist die Organisation Reporters sans Frontières, Dachorganisation der deutschen Sektion Reporter ohne Grenzen. Die Berufsverbände Deutscher Journalisten-Verband (DJV) und Deutsche Journalistenunion (dju) unterstützten die Klage wie auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte.
Wie argumentieren die Kläger?
Die Kläger lehnen die Arbeit des BND nicht grundsätzlich ab. Sie halten aber die aktuelle Praxis für höchst problematisch, nach Möglichkeit jede Kommunikation im Ausland zu überwachen. Zum einen sei es technisch gar nicht möglich, Deutsche oder für deutsche Medien arbeitende ausländische Journalisten vorab von der Überwachung großer Datenströme auszuschließen. Zum anderen stünden auch Ausländern Grundrechte zu, neben dem Schutz der Pressefreiheit etwa das Recht auf Privatsphäre. Die Kläger gehen davon aus, dass sie wegen ihres besonderen Wissens und ihrer Netzwerke ein attraktives Beobachtungsziel für ausländische Geheimdienste wie den BND darstellen. Informanten könnten sich daher nicht mehr vertraulich an die Kläger wenden. Ferner arbeiten Journalisten immer öfter in internationalen Netzwerken, um gemeinsam große Themen zu recherchieren - wie etwa bei den "Panama Papers". Die Kläger sehen ihre Berufsgruppe aber nur als Beispiel für den prinzipiell unzureichenden Schutz von Grundrechten im BND-Gesetz. Würden bestimmte Berufsgruppen und Inhalte von einer Beobachtung ausgenommen und der BND strenger in seiner Arbeit überwacht, wäre eine unbeabsichtigte Überwachung von Deutschen auch weniger schwerwiegend.
Wer und was spricht für das BND-Gesetz?
Weder der BND noch die Bundesregierung wollen das BND-Gesetz ändern. In der zweitägigen mündlichen Verhandlung der Klage im Januar nannte BND-Chef Bruno Kahl die angegriffene Befugnis einen "unverzichtbaren Bestandteil" für die Arbeit seiner Behörde. Kanzleramtsminister Helge Braun argumentierte, das Gesetz enthalte "umfassende Schutz- und Kontrollmaßnahmen" und suche international seinesgleichen. Die Bundesrepublik brauche einen leistungsfähigen, vom Ausland unabhängigen Auslandsgeheimdienst. Zudem verweist der BND immer wieder darauf, dass er wichtige Informationen von Partnerdiensten nur bekomme, wenn er seinerseits ebenfalls zuliefert und Inhalte dieser Kooperationen vertraulich bleiben - mithin auch nicht vom Bundestag kontrolliert werden.
Was würde ein Erfolg der Klage bedeuten?
Das Bundesverfassungsgericht könnte dem BND auferlegen, bestehende Regeln aus dem BND-Gesetz konsequenter umzusetzen oder das Gesetz gänzlich für verfassungswidrig erklären. Dann müsste der Bundestag eine neue Geschäftsgrundlage für die BND-Arbeit aufsetzen. Sollten die Richter in Karlsruhe zu der Auffassung gelangen, dass die Grundrechte im deutschen Grundgesetz auch für Ausländer gelten, könnte dies nicht weniger als das Ende der anlasslosen Überwachung des Internets bedeuten. Möglich wäre auch, dass Karlsruhe die Notwendigkeit einer größeren Kontrolle des BND feststellt. Inwieweit der BND dann tatsächlich in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt würde, lässt sich nicht ermessen. Der Geheimdienst mit seinen 6500 Mitarbeitern gibt fast keine Informationen zu seinem Vorgehen preis, weshalb der tatsächliche Beitrag der anlasslosen Internetüberwachung zur Verhinderung von Anschlägen von außen nicht einzuschätzen ist.
Quelle: ntv.de