"Wir müssen vergeben" War Massaker von Charleston ein Terrorakt?
20.06.2015, 04:33 Uhr
Neun Menschen sterben, kaltblütig erschossen in einer Kirche. Die Opfer sind Afroamerikaner, der mutmaßliche Täter ist weiß. Das Entsetzen und die Wut sind groß. Es gibt auch Signale der Vergebung.
Die US-Bundesbehörden prüfen die Einstufung des Angriffs auf eine von Afroamerikanern besuchte Kirche in Charleston als Terroranschlag. "Dieser herzzerreißende Vorfall war zweifellos darauf ausgerichtet, Angst und Schrecken in dieser Gemeinde zu verbreiten", sagte die Sprecherin des US-Justizministeriums, Emily Pierce. Die Ermittler würden den Fall daher "aus allen Blickwinkeln" betrachten, darunter die Möglichkeit eines inländischen Terrorakts. Bislang hatten die Bundesbehörden nur von Ermittlungen wegen eines sogenannten Hassverbrechens gesprochen.
Der 21-jährige Dylann R. soll am Mittwoch in der Emanuel African Methodist Episcopal Church in Charleston das Feuer auf Gläubige eröffnet und neun Menschen getötet haben. Am Donnerstag wurde der mutmaßliche Schütze nach einer Großfahndung festgenommen. Die Staatsanwaltschaft in Charleston wirft R. neunfachen Mord und den Besitz einer Schusswaffe bei einer Gewalttat vor. Eine sogenannte Grand Jury aus Laienrichtern muss entscheiden, ob die Beweise für eine offizielle Anklage ausreichen.
Ruf nach der Todesstrafe
Bei einer Verurteilung könnte ihm die Todesstrafe drohen. Die Gouverneurin des US-Bundesstaates South Carolina hat sich dafür ausgesprochen. Das rassistisch motivierte Verbrechen sei "der schlimmste Hass, den ich und dieses Land in einer langen Zeit gesehen haben", sagte die Republikanerin Nikki Haley.
Richter James Gosnell ordnete an, dass der mutmaßliche Schütze in Haft bleibt. Eine Freilassung gegen Kaution sei wegen der Mordvorwürfe nicht möglich. Den Termin für die nächste Anhörung setzte Gosnell für den 23. Oktober fest. Dem Nachrichtensender CNN zufolge soll R. in Verhören die Tat gestanden und ausgesagt haben, er habe einen "Krieg der Rassen" entfachen wollen.
"Ohne Frage ist das ein aus Hass begangenes Verbrechen", sagte Gouverneurin Haley im Fernsehsender NBC. "Wir werden absolut wollen, dass er die Todesstrafe bekommt." Staatsanwältin Scarlett Wilson erklärte, sie werde die Familien der Opfer in die Diskussion über eine mögliche Todesstrafe einbinden. Noch sei dies aber nicht an der Zeit. "Meine Mission ist es, für diese Gemeinde und vor allem für die Opfer in diesem Fall Gerechtigkeit herzustellen", sagte Wilson.
"Keinen Raum für Hass geben"
Einige Angehörige der Toten haben dem mutmaßlichen Täter öffentlich vergeben. Die Angehörigen durften sich vor dem Haftrichter äußern, als der 21-jährige Dylann Roof per Video zugeschaltet war. Sie sei zwar böse und traurig, sagte eine Frau, deren Schwester erschossen wurde. Es dürfe aber "keinen Raum für Hass" geben, fügte sie hinzu. "Wir müssen vergeben."
Die Familie des mutmaßlichen Todesschützen äußerte Beileid für die Angehörigen der Toten. "Wir sind bestürzt und traurig", schrieben sie in einem in einer Lokalzeitung veröffentlichten Brief. Worte könnten den Schock und die Trauer nicht ausdrücken.
Vorwurf der Doppelmoral
Neben dem Verfahren im Bundesstaat South Carolina könnte R. auch auf Bundesebene angeklagt werden. Das US-Justizministerium und die Bundespolizei FBI verfolgen in den USA Straftaten, die einen rassistischen oder anderweitig diskriminierenden Hintergrund haben. R. soll rassistische Äußerungen von sich gegeben haben. Allerdings ist nicht bekannt, ob er einer rechtsradikalen Gruppierung angehörte.
Bürgerrechtler hatten den Behörden Doppelmoral vorgeworfen und sich beklagt, dass der Angriff auf die Kirche in Charleston nicht als Terrorakt bezeichnet wird. Wenn die Gewalt von einem Muslim begangen werde, sei sofort von Terrorismus die Rede, sagte Nihad Awad von der Bürgerrechtsorganisation Rat für Amerikanisch-Islamische Beziehungen der "New York Times". "Wenn die gleiche Gewalt von Rassisten oder Anhängern der Apartheid und nicht von einem Muslim begangen wird, fangen wir an, nach Ausreden zu suchen."
Quelle: ntv.de, bad/AFP