Politik

Schröder wird schnippisch "Weiß ich nicht mehr, werd' ich Ihnen auch nicht sagen"

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Gerhard Schröder in seiner Kanzlei in Hannover (Archivbild vom März 2024). Hier saß er auch bei der Vernehmung durch den Untersuchungsausschuss - allerdings ohne Krawatte und häufig auch weniger gut gelaunt.

Gerhard Schröder in seiner Kanzlei in Hannover (Archivbild vom März 2024). Hier saß er auch bei der Vernehmung durch den Untersuchungsausschuss - allerdings ohne Krawatte und häufig auch weniger gut gelaunt.

(Foto: picture alliance/dpa)

Altkanzler Schröder sagt vor dem Untersuchungsausschuss zum Thema Klimastiftung MV und Nord Stream 2 in Schwerin aus, und am Ende fragt man sich: War Schröder an den relevanten Entscheidungen überhaupt beteiligt? Der Obmann mit den meisten Fragen ist dennoch zufrieden.

"So, 10 Uhr, können wir anfangen", sagt Gerhard Schröder zu Beginn der Vernehmung. Der Altkanzler ist aus seinem Büro in Hannover zugeschaltet - er wird an diesem Tag von einem Untersuchungsausschuss des Landtags Mecklenburg-Vorpommern vernommen.

Schröder trägt ein blaues Jackett, darunter ein weißes T-Shirt, neben ihm sitzt sein Rechtsanwalt. Die Vernehmung findet öffentlich statt, was bedeutet, dass Journalisten in Schwerin im Sitzungssaal sitzen dürfen. Fotos von Schröders Auftritt, der auf Bildschirme im Saal übertragen wird, sind nicht gestattet.

Der 81-Jährige tritt zunächst so jovial auf, wie man es von ihm gewohnt ist. Allerdings wird seine Strategie schnell klar: Er kann sich an nichts erinnern, er versteht einzelne Fragen falsch und regt sich gezielt und massiv über Fragen auf - häufig bereits, wenn der Sinn einer Frage noch gar nicht klar ist. Mehrfach nennt er das Vorgehen der Ausschussmitglieder "abenteuerlich". Typische Antworten lauten: "Keine Ahnung" oder "das weiß ich nun wirklich nicht mehr" oder "das kann ich Ihnen nicht mehr sagen". Zwei Mal huscht seine Frau So-yeon Schröder-Kim durchs Bild, offenbar, um am Computer zu helfen.

Die Drohung mit dem Amtsarzt wirkte

Eigentlich sollte Schröder, Bundeskanzler von 1998 bis 2005, schon sehr viel früher vor dem Ausschuss aussagen. Er hatte dies allerdings abgelehnt; dem Ausschuss legte er ein Attest vor, das ihm einen Burnout bescheinigte. Daraufhin drohte dieser damit, Schröder von einem Amtsarzt untersuchen zu lassen. Am Ende einigte man sich auf die Videobefragung.

Zum Auftakt darf Schröder ein Statement abgeben. Er sagt, seine rot-grüne Bundesregierung habe die "Energieabhängigkeit" von der Kernkraft reduzieren wollen und habe deshalb das Ziel verfolgt, "möglichst viel umweltfreundliches Gas zu verbrauchen", das aus Russland kommen sollte. "Diese Zusammenarbeit hat sich nach meiner Erkenntnis, nach meiner Einschätzung außerordentlich bewährt, für beide Seiten."

Der Untersuchungsausschuss beschäftigt sich allerdings nicht so sehr mit der deutschen Energiepolitik in den Jahren vor dem russischen Überfall auf die Ukraine. Sein Thema ist die "Stiftung Klima- und Umweltschutz MV". Diese wurde 2021 vom Land Mecklenburg-Vorpommern gegründet, um Sanktionen der USA gegen den Bau von Nord Stream 2 zu umgehen.

Ein "Beitrag" zum Bau der Pipeline

Der Name war ein Deckmantel, aber das eigentliche Ziel der Stiftung war kein Geheimnis, auch wenn sie mitunter durchaus klandestin agierte. Hauptzweck der Stiftung solle Klima- und Umweltschutz sein, sagte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig im Januar 2021 im Schweriner Landtag, als dort die Gründung der Stiftung beschlossen wurde. Allerdings fuhr sie fort: "Wir haben nicht vor, dass diese Stiftung diese Pipeline baut oder betreibt. Es geht lediglich darum, dass die Stiftung die Möglichkeit hätte, einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Pipeline fertiggestellt wird."

Über diese Aufgabenbeschreibung ging die Stiftung dann wohl doch hinaus. Sie trat bei den Baumaßnahmen als Auftraggeber auf und spielte bei der Fertigstellung der Pipeline eine zentrale, vermutlich die entscheidende Rolle. Nord Stream 2 wurde zwar fertiggestellt, ging aber nie in Betrieb. Finanziert wurde die Stiftung mit Geld der Landesregierung und der Nord Stream 2 AG, einer hundertprozentigen Tochter des russischen Staatskonzerns Gazprom.

Wer hatte die Idee zur Stiftung?

Eine Frage, die vor allem die Opposition aus CDU und Grünen im Ausschuss interessiert, ist, wo die Idee zur Klimaschutzstiftung geboren wurde - in Schwerin oder in Moskau? Mit anderen Worten: Hat die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern sich zum Handlanger eines russischen Plans gemacht oder war die Stiftung ihre eigene Idee? Schwesig hatte stets erklärt, die Stiftung gehe auf einen Vorschlag ihres damaligen Energieministers Christian Pegel zurück. Der SPD-Politiker ist heute Innenminister in Mecklenburg-Vorpommern.

Im Januar sagte der ehemalige Geschäftsführer der Nord Stream AG sowie der Nord Stream 2 AG, Matthias Warnig, allerdings etwas ganz anderes. Warnig ist ein ehemaliger Stasi-Spion, er ist mit Putin und mit Schröder befreundet. Bei seinem Auftritt vor dem Ausschuss sagte er, die Idee zur Stiftung sei in der Rechtsabteilung der Nord Stream 2 AG entwickelt worden.

Schröder kann in dieser Frage nicht weiterhelfen, er weiß angeblich nicht einmal, ob er je mit Putin über die drohenden Sanktionen gesprochen hat. "Das kann durchaus sein." Mit Putin habe er viel über Politik geredet, auch über amerikanische Außenpolitik. Dann wird er kurz nostalgisch. "Mit Wladimir Putin habe ich wirklich ausreichend interessante Gespräche über Weltpolitik geführt."

"Überhaupt keine Differenzen" mit Merkel

Ein oder zwei Mal sei er auch im Auftrag der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel "hilfreich im Gespräch mit dem russischen Präsidenten" gewesen, so Schröder. "Frau Merkel war an der energiepolitischen Zusammenarbeit mit Russland durchaus interessiert", sie habe seine Energiepolitik "engagiert und erfolgreich fortgesetzt", da habe es "überhaupt keine Differenzen" gegeben.

Verärgert reagiert Schröder auf die Frage, ob es da auch um Nord Stream 2 gegangen sei. "Um was es ging, weiß ich nicht mehr, werd' ich Ihnen auch nicht sagen", sagt er schnippisch. Um Nord Stream 2 sei es jedenfalls nicht gegangen. "Über die Pipeline waren wir immer einer Meinung", sagt Schröder. "Russland wollte die Pipeline, Deutschland wollte die Pipeline."

Von einem Burnout ist bei Schröder nichts zu spüren. Das Angebot einer Pause weist er zurück. Schröder hält die vollen zwei Stunden und 40 Minuten durch. Befragt wird er nicht als ehemaliger Bundeskanzler, sondern als Verwaltungsratspräsident der 2015 gegründeten Nord Stream 2 AG, der er bis heute ist. In der zehn Jahre zuvor gegründeten Nord Stream AG war Schröder ebenfalls Aufsichtsratschef. Von 2017 bis 2022 war Schröder zudem Aufsichtsratschef des staatlich gelenkten russischen Energiekonzerns Rosneft.

Wirtschaftsminister Sellering?

Am Ende des Tages fragt man sich allerdings, was Schröder in diesen Funktionen eigentlich gemacht hat beziehungsweise noch macht. Häufig wirken seine Erinnerungslücken echt, nicht vorgespielt. Auf die Frage, ob er etwas über die Hintergründe des russischen Angebots wusste, nach Beginn des Kriegs Gas über Nord Stream 2 statt Nord Stream 1 zu liefern, sagt er: "Wer in Russland was entschieden hat, das entzieht sich völlig meiner Kenntnis. Die hätten mich auch nicht gefragt."

Den ehemaligen Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering, der 2021 Vorstandschef der Klimastiftung wurde, nennt er mehrfach Wirtschaftsminister, ein Amt, das Sellering nie innehatte.

Es habe "einen Wirtschaftsminister" gegeben, mit dem er gelegentlich geredet habe, "das war der Her Sellering", so Schröder. Ansonsten habe er mit Frau Schwesig gesprochen. Offenbar verwechselt Schröder Sellering mit Pegel, dem damaligen Energieminister. Dessen Name scheint ihm zunächst nichts zu sagen, dann erinnert er sich an ein Treffen bei "herrlichem Sommerwetter an der Ostsee".

Druck auf Schwesig?

Vor allem der grüne Obmann Hannes Damm bohrt immer wieder nach, ob Schröder Erinnerungen an bestimmte Treffen oder Gespräche hat. Die hat der Altkanzler so gut wie nie. Damm ist dennoch zufrieden. "Wir sind in zentralen Fragen weitergekommen", sagt er ntv.de nach der Befragung. "Wir untersuchen ja, welche Rolle die Landesregierung beim Bau und der Genehmigung von Nord Stream 2 gespielt hat. Schröder hat ausgesagt, dass er sich mehrfach mit Frau Schwesig getroffen habe - und dass er mit ihr auch darüber gesprochen habe, dass die Pipeline schnell fertiggestellt werden soll."

In der Befragung hatte Schröder eine "enge Zusammenarbeit" mit Schwesig bestätigt. "Es gab identische Interessen des Landes Mecklenburg-Vorpommern und der Bundesrepublik am Zustandekommen" der Pipelines, sagt er. Auf die Frage des Ausschussvorsitzenden Sebastian Ehlers von der CDU, inwieweit er mit Schwesig auch über die Klimaschutzstiftung gesprochen habe, entgegnet Schröder, er erinnere sich an die Treffen nicht im Einzelnen. Die Zusammenarbeit sei aber "völlig reibungslos" gewesen.

Die Klimaschutzstiftung sei jedenfalls "eine außerordentlich vernünftige Entscheidung" gewesen, die dazu gedient habe, "das Projekt Nord Stream 2 fortführen zu können, ohne Interventionen aus Amerika zu fürchten".

Die Ukraine sollte umgangen werden

Die Annahme, er habe politischen Druck auf Schwesig ausgeübt, um den Bau von Nord Stream 2 zu beschleunigen und die Inbetriebnahme durchzusetzen, weist Schröder jedoch zurück. "Druck kann man doch nur ausüben, wenn man Interventionsmöglichkeiten hat." Grünen-Obmann Damm sieht seine Annahme dennoch bestätigt: "Was ist das denn anderes, als Druck ausüben, wenn man Gespräche führt, damit Sachen beschleunigt werden?", so Damm zu ntv.de.

Aufschlussreich sei die Befragung noch in einem weiteren Punkt gewesen: Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern habe immer gesagt, bei der Planung der Pipelines habe die Umgehung der Ukraine und Polens keine Rolle gespielt. "Schröder hat bestätigt, dass die Ukraine umgangen werden sollte, um politische 'Interventionen' zu vermeiden. Es ist ja kein Zufall, dass Russland die Ukraine nur wenige Tage nach der Fertigstellung der Pipeline überfallen hat", sagt der Grünen-Obmann.

In der Befragung hatte Schröder zunächst bestritten, dass geopolitische Gründe für die Pipeline eine Rolle gespielt hätten. Es sei ein rein wirtschaftliches Projekt gewesen. "Was die polnische Regierung für Einwände hatte, das interessierte mich nicht", so Schröder, wobei unklar blieb, ob er sich auf seine Zeit als Kanzler oder als Gas-Lobbyist bezog. Auf die Frage, ob die bisherigen Lieferkapazitäten Russlands durch die Ukraine und Polen nicht ausreichend gewesen seien, ob die Nord-Stream-Leitungen also überhaupt notwendig gewesen seien, sagte Schröder: "Ob die Kapazitäten ausreichend waren, weiß ich nicht. Ich bin kein Experte in dem Gebiet." Er fügte hinzu: "Natürlich sind wir durch die Ostsee gegangen, weil wir keine Interventionen eines anderen Landes wollten" und "um störungsfrei an russisches Gas zu kommen."

Am Nachmittag soll noch Helge Braun vom Ausschuss vernommen werden, der von 2018 bis 2021 Merkels Kanzleramtschef war. Am 7. November will der Ausschuss die ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Peter Altmaier (CDU) befragen. Am 21. November soll Merkels Nachfolger Olaf Scholz vor dem Ausschuss aussagen, Schwesig am 5. Dezember.

Im September 2026 wird in Mecklenburg-Vorpommern ein neuer Landtag gewählt. Bis dahin soll der Ausschuss seine Arbeit beendet haben.

Quelle: ntv.de

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