USA denken über Militäraktion nach Welt fordert Gaddafis Machtaufgabe
27.02.2011, 19:22 Uhr
Gaddafis Machtbasis bröckelt.
(Foto: REUTERS)
Die Staatengemeinschaft ist sich einig: Libyens Machthaber Gaddafi muss sofort die Gewalt gegen sein Volk beenden. Bundesaußenminister Westerwelle fordert, Gaddafi für Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung zu ziehen. Die USA schließen offenbar militärische Optionen nicht aus. Die internationale Rettungsaktion für Ausländer läuft auf Hochtouren. Tausende Gastarbeiter lagern an der Grenze zu Tunesien.
Angesichts der dramatischen Lage in Libyen setzt die internationale Gemeinschaft ihren Versuch fort, den zum Letzten entschlossenen Staatschef Muammar al-Gaddafi zu isolieren und zum Nachgeben zu bewegen. Bundesaußenminister Guido Westerwelle forderte in einer Stellungnahme zur Krise in Libyen Gaddafi erneut auf, die Gewalt gegen sein eigenes Volk sofort zu beenden und den Weg für eine Demokratisierung des Landes freizumachen.
Westerwelle hält weitere Maßnahmen gegen Libyen wie eine Flugverbotszone für möglich. Er könne derzeit nicht ausschließen, "dass es auch weitere Maßnahmen gibt", sagte der deutsche Außenminister weiter. Dies sei jedoch von der Lage in Libyen abhängig.
USA erwägen offenbar militärische Optionen
Einem Bericht der "Washington Post" zufolge erwägen die USA auch militärische Aktionen, sollte Gaddafi die blutige Gewalt gegen das eigene Volk fortsetzen. Die finanziellen Strafmaßnahmen, die US-Präsident Barack Obama am Freitag verhängt hatte, seien nur der erste einer Reihe von Schritten, "die eine militärische Option beinhalten könnten", berichtete die Zeitung am Sonntag unter Berufung auf hohe US-Regierungsbeamte.
Dazu zähle das Durchsetzen einer Flugverbotszone über Libyen, um eine Bombardierung von Gegnern Gaddafis verhindern. Allerdings gebe es innerhalb der US-Regierung Zweifel, ob sich für solche Maßnahmen ein breiter internationaler Rückhalt finden lasse, angesichts des erwarteten Widerstands etwa aus China, hieß es.
Westerwelle reist zum Menschenrechtsrat

Dem Machthaber ergebene Truppen riegeln die Straße zwischen der Hauptstadt und Al-Sawija ab.
(Foto: REUTERS)
Westerwelle reist am Montag zur Auftaktsitzung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen nach Genf. Das Treffen dürfte auch der Koordination der UN-Sanktionen gegen Gaddafi und sein Umfeld dienen. Wie es hieß, wird Westerwelle dort unter anderem auch mit US-Außenministerin Hillary Clinton sowie deren russischem Kollegen Sergej Lawrow zusammentreffen. UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay fürchtet, dass bei den Unruhen bereits Tausende von Menschen getötet oder verwundet wurden. Großbritannien hat inzwischen die diplomatische Immunität für Gaddafi und seine Familie aufgehoben.
Der Menschenrechtsrat hatte am Freitag auf einer Sondersitzung beschlossen, eine internationale Kommission nach Libyen zu schicken Auch könnte das Land mit einem Zweidrittelbeschluss der UN-Vollversammlung aus dem Menschenrechtsrat ausgeschlossen werden, dem es erst seit einem Jahr angehört.
Globale Sanktionen gegen Gaddafi
Gut eine Woche nach Ausbruch der Revolte verständigten sich die EU-Mitglieder prinzipiell auf ein Sanktionspaket. Westerwelle drang in seinem Statement auf einen schnellen formellen Beschluss der geplanten EU-Sanktionen. "Ich gehe davon aus, dass die EU nach einem bedauerlichen anfänglichen Zögern in der letzten Woche jetzt zügig ebenfalls selbst Sanktionen (...) beschließt." Die USA leiten ebenfalls Sanktionen ein. Der UN-Sicherheitsrat beschloss einstimmig Sanktionen gegen das Regime in Libyen.
Die Maßnahmen gegen den Gaddafi-Clan umfassen im Wesentlichen vier Bereiche: Reiseverbote, das Einfrieren der Konten und anderem Vermögen im Ausland, ein generelles Waffenembargo sowie ein Handelsverbot für alle Güter und Ausrüstungen, die der Gewalt gegen das Volk dienen könnten. Betroffen von den Strafmaßnahmen sind Gaddafi, vier seiner Söhne, eine Tochter und zehn enge Vertraute. Sie werden für die brutalen Angriffe auf libysche Demonstranten mitverantwortlich gemacht.
Der UN-Sicherheitsrat hatte sich auf Drängen vor allem Deutschlands, das seit Jahresbeginn einen Sitz in dem Entscheidungsgremium hat, auch darauf geeinigt, den Internationalen Strafgerichtshof (IStGh) in Den Haag einzuschalten. Die für Kriegsverbrechen, Menschenrechtsvergehen und Völkermord zuständige Instanz wurde vom Sicherheitsrat ermächtigt, gegen die libysche Führungsriege zu ermitteln.
Der deutsche UN-Botschafter Peter Wittig nannte die Resolution nach der Verabschiedung "eine klare Warnung an alle, die flagrante Menschenrechtsverletzungen begehen: Straflosigkeit wird jetzt nicht mehr toleriert". Insofern habe die Resolution "weit über diesen Tag hinaus Bedeutung", sagte er.
Immer Bastionen falle weg

An der tunesischen Grenze versuchen Tausende ägyptische, tunesische und indische Gastarbeiter, Libyen zu verlassen.
(Foto: dpa)
Gaddafi entgleitet zusehends die Herrschaft in seinem Land. Die im Osten gelegene Stadt Bengasi ist schon seit Tagen in Händen der Opposition, am Sonntag verloren regierungstreue Truppen auch die Kontrolle über die drittgrößte Stadt Misurata. In der westlich von Tripolis gelegenen Stadt Al-Sawija übernahmen ebenfalls Aufständische das Kommando, wie der arabische Fernsehsender Al-Arabija berichtete. Selbst in Tripolis sollen Aufständische erste Stadtteile kontrollieren.
Bei den Kämpfen in Al-Sawija seien dutzende Menschen getötet worden, sagten Einwohner dem Sender Al-Dschasira in Telefongesprächen. Polizeistationen und Regierungsgebäude seien ausgebrannt. Die Aufständischen drohten den Regierungstruppen mit einem Blutbad, sollten sie in die Stadt zurückkommen.
Derzeit kontrollieren die Truppen des Staatschefs nur noch wenige größere Städte im Westen des Landes. Neben der Hauptstadt Tripolis waren dies unter anderem Gadames, Sebha und Gaddafis Heimatstadt Sirte. Sirte sei wichtig, weil damit Oppositionelle aus dem Osten des Landes nicht über die Küstenstraße in die Hauptstadt fahren könnten, so der TV-Sender Al-Dschasira. Der Gaddafi-Clan hat sich nach übereinstimmenden Berichten in dem Militärkomplex Bab al-Asisija in Tripolis verschanzt.
Gaddafi gibt Interview
Gaddafi selbst sagte am Sonntag in einem Interview des serbischen Fernsehsenders "Pink TV", er werde sich den anhaltenden Protesten nicht beugen und das Land nicht verlassen. Das Gespräch wurde dem Bericht zufolge in Gaddafis Büro in Tripolis aufgezeichnet.
Der Gesprächsmitschrift zufolge kritisierte Gaddafi zudem die Entscheidung des UN-Sicherheitsrates, Sanktionen gegen ihn zu verhängen und den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag mit den Vorgängen in Libyen zu befassen. Der Sicherheitsrat könne nicht sehen, dass die Lage in Tripolis sicher sei, wurde Gaddafi zitiert.
Opposition uneins über Gegenregierung
Die libysche Opposition bildete nach einem Bericht des arabischen Fernsehsenders Al-Arabija eine Übergangsregierung, auf die sich der ehemalige Justizminister Mustafa Abdul Dschalil mit Stammesführern geeinigt habe. Laut Dschalil soll sie drei Monate amtieren und Wahlen vorbereiten.
Allerdings ist sich die Opposition uneins, ein Teil der Aufständischen verweigert Dschalil die Gefolgschaft und gründete in Bengasi, einem Zentrum der Demokratiebewegung im Osten des Landes, einen libyschen Nationalrat. Dieser Rat solle der politischen Revolution ein Gesicht geben und sei keine Übergangsregierung, sagte der Sprecher des Rates, Hafis Ghoga. Die von Ex-Justizminister Dschalil gegründete Übergangsregierung repräsentiere nicht das libysche Volk. Auch andere Oppositionsgruppen wie die libysche Jugendbewegung halten die Bildung einer Übergangsregierung für verfrüht. Alle Gespräche über eine Regierung lägen solange auf Eis, bis die Hauptstadt Tripolis befreit sei, teilte die Organisation mit.
Die USA wollen anscheinend die Opposition im Osten Libyens unterstützen. Washington "streckt die Hand in Richtung jener vielen verschiedenen Libyer aus, die sich im Osten organisieren", sagte Außenministerin Clinton vor ihrer Abreise zur Auftaktsitzung des UN-Menschenrechtsrates in Genf. Es sei aber noch zu früh, eine Übergangsregierung anzuerkennen, betonte sie laut "New York Times".
Ausländer verlassen Libyen

Franzosen gehen auf dem Flughafen in Tripolis zu einer Militärmaschine, die sie außer Landes bringt.
(Foto: dpa)
Tausende von Ausländern verließen das Land, in dem derzeit angespannte Ruhe herrscht. Zwei Transall-Flugzeuge der Bundeswehr flogen 133 Menschen unterschiedlicher Nationalität aus Libyen aus. Westerwelle zufolge waren darunter 22 Deutsche und 56 andere EU-Bürger sowie Dutzende aus Drittstaaten. Weitere 18 Deutsche seien mit britischen Militärmaschinen ausgeflogen worden. Die Maschinen flogen von einem NATO-Stützpunkt auf der griechischen Insel Kreta aus zu einem Ort im Süden Libyens, in dem sich Ausländer gesammelt hatten. Von dort ging es wieder nach Kreta zurück. Westerwelle fordert alle noch etwa 100 in Libyen verbliebenen Deutschen auf, das Krisengebiet schnellstens zu verlassen.
Tausende Flüchtlinge an der tunesischen Grenze
Unterdessen bahnt sich an der Grenze zu Tunesien eine humanitäre Katastrophe an. Tausende ägyptische Gastarbeiter seien in den vergangenen Tagen geflohen, nachdem regierungsnahe Truppen und Milizen regelrecht Jagd auf sie gemacht hätten, berichtete Al-Dschasira. Viele Menschen seien ohne Geld und mit wenigen Habseligkeiten auf der tunesischen Seite der Grenze gestrandet.
Quelle: ntv.de, hdr/AFP/dpa/rts