Streit um Assad Wer hat wo das Sagen in Syrien?
30.09.2015, 12:48 Uhr
Karte zum Bürgerkrieg in Syrien: Wer kontrolliert welche Gebiete?
(Foto: Christoph Herwartz / n-tv.de)
Die Welt streitet um eine neue Ordnung für Syrien. Ein Überblick über die Machtverhältnisse in einem vom Krieg zerfledderten Land.
Das Assad-Regime: schwindende Kräfte
Als Wladimir Putin gefragt wurde, was seine Absicht in Syrien sei, ob er Baschar al-Assad "retten" wolle, antwortete er: "So ist es." Die Situation der syrischen Regierung ist damit gut beschrieben. Seit Jahren tötet sie ohne Rücksicht mit Fass- und Streubomben und wahrscheinlich auch mit Chemiewaffen. Dennoch hat sie es nicht geschafft, die von ihr beherrschten Gebiete zu stabilisieren. Im Gegenteil. Seit Jahresbeginn hat sie ihren letzten Grenzübergang zum Irak an den Islamischen Staat verloren, ebenso die zentral in Syrien gelegenen Kulturstätten von Palmyra. Im Nordosten hat sie die meisten Städte der vergleichsweise dicht besiedelten Idlib-Region auf Druck von Rebellen aufgeben müssen. Kein einziger Grenzübergang nach Jordanien ist mehr in ihrer Hand.
Neben zwei Flughäfen im Osten des Landes kontrolliert die Regierung damit fast nur noch einen Streifen entlang der Mittelmeerküste und der Grenze zum Libanon. Praktisch jede wichtige Stadt der Region ist allerdings umkämpft: Aleppo im Norden kann keine Partei komplett für sich beanspruchen, die Frontlinien verlaufen quer durch die Millionen-Metropole. Hama und Homs befinden werden zwar von Assad beziehungsweise der verbündeten Hisbollah-Miliz kontrolliert. Die Rebellen sind aber so nah, dass auch Latakia irgendwann fallen könnte. Die Stadt gehörte einst zum sicheren Hinterland der Assad-Regierung. In den letzten Monaten sind die Rebellen jedoch relativ nah an die Stadt herangerückt. Nun hat Russland dort eigene Truppen stationiert.
Ein Grund dafür, dass Assad an Boden verliert, mag an der Moral in seiner Truppe liegen. Weiterhin versucht er über die Medien, seinen Anhängern eine heile Welt vorzugaukeln. Immer mehr Syrer halten das für lächerlich. Die Kampfbereitschaft sinkt.
Putin und Assad sagen, dass sie gemeinsam den Terror in Syrien bekämpfen. Dabei unterscheiden sie meist nicht zwischen dem Islamischen Staat, der im Osten des Landes und im Norden des Irak eine Schreckensherrschaft etabliert hat, und den Rebellen, die Gebiete im Westen des Landes halten. Diese Rebellen werden teilweise von den USA unterstützt. In der Region Idlib treffen darum eventuell schon heute Kämpfer mit russischen Waffen auf Kämpfer mit US-amerikanischen Waffen.
Die Rebellen: zwielichtige Kooperationen
Innerhalb der Rebellen-Gruppen gibt es große Unterschiede. Manche, wie die aus der ursprünglichen Protestbewegung hervorgegangene Freie Syrische Armee (FSA), streben eine demokratische Gesellschaft an. Viele haben einen islamistischen Hintergrund. Und eine von ihnen, die Nusra-Front, ist sogar eine Schwesterorganisation von Al-Kaida. Mal agieren diese Gruppen gegen-, mal aber auch miteinander. So eroberte die FSA im Frühjahr eine Stadt in der Provinz Daraa sowie einen Grenzübergang nach Jordanien ein. Bei beiden Aktionen sollen Kämpfer der Nusra-Front beteiligt gewesen sein. Erst kürzlich mussten die USA einräumen, dass Lieferwagen und Munition aus US-Beständen an die Nusra-Front gelangt waren. Die USA hatten in der Türkei Rebellen ausgebildet und sie mit dem Material nach Syrien geschickt. Auf ihrem Weg zum Einsatzort mussten die Kämpfer aber das Gebiet der Nusra-Front durchqueren – und erkauften sich mit einem Teil ihrer Ausrüstung freies Geleit.
Die Geschichte ist nur eine von vielen, die zeigt, wie kompliziert die Unterstützung der Rebellen ist. Eigentlich wollten die USA pro Jahr 5400 Kämpfer ausbilden. Doch es fehlt an geeigneten Kandidaten, andere wurden nach ihrer Ausbildung von ihren Gegnern in Syrien gefangengenommen. Wie viele ausgebildete Kämpfer derzeit im Einsatz sind, ist unklar. Mal ist von mittleren zweistelligen Zahlen die Rede, kürzlich sprach ein zuständiger General davon, dass nur "vier oder fünf" tatsächlich kämpften.
Der Islamische Staat: erste Geländeverluste
Der Islamische Staat hat es in diesem Jahr geschafft, seine Geländegewinne in Syrien zu konsolidieren. Abgesehen von den Kurdengebieten im Norden kontrolliert er mittlerweile alle Grenzübergänge zwischen Syrien und dem Irak – und zwar von beiden Seiten. Sein Herrschaftsgebiet umfasst etwa ein Viertel des Irak und mehr als die Hälfte Syriens. Allerdings ist die Fläche wenig aussagekräftig: Ein Großteil des Gebiets besteht aus Wüste. Für die Kontrolle sind also nur Checkpoints entlang der wenigen Straßen notwendig, die die Wüste durchschneiden. Etwa 15 Prozent der syrischen Bevölkerung sollen auf dem Gebiet des IS leben. Gegen die Assad-Truppen war die Terrororganisation zuletzt in Palmyra erfolgreich. Im Norden verlor sie allerdings eine Stadt an die kurdischen Kämpfer. Die Strategie des IS scheint derzeit zu sein, schwer zu verteidigende Positionen aufzugeben und an anderen Orten überraschend Landgewinne zu machen. Die Kampfkraft des IS speist sich aus Kadern der Baath-Partei des ehemaligen irakischen Diktators Saddam Hussein, aus lokalen sunnitischen Kämpfern, denen das Assad-Regime verhasst ist, und aus Ausländern, die zu Tausenden dem IS zuströmten. Letztere werden oft in waghalsigen Aktionen auch auf gut gesicherte Stellungen gehetzt. Haben sie Erfolg, hat der IS einen Nadelstich gesetzt. Kommen sie um, ficht das die Führung des Terrorstaates kaum an.
Die Kurden: stabile Verhältnisse im Norden
Im Kurdengebiet gibt es innerhalb Syriens die stabilsten Strukturen. Assad zog schon zu Beginn des Bürgerkriegs seine Truppen ab und schützt nur noch einige wenige Flughäfen in der Region. Die Kurden sind seitdem sich selbst überlassen. Zunächst verloren sie große Gebiete an den IS. Kobane an der Grenze zur Türkei war umstellt und wurde zum Symbol des Kampfes gegen die Terroristen. Lange sah es so aus, als wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die Stadt, in der einst 12.000 Menschen lebten, fällt. Weil die Türkei die Grenze geschlossen hatte und der Luftweg zu riskant war, gab es kaum Unterstützung für die Kämpfer der kurdischen YPG, die die Stadt verteidigten. Dann aber gab die Türkei ihre Blockade auf. Die aus dem Irak kommenden kurdischen Peschmerga konnten, ausgestattet von westlichen Regierungen, über einen Korridor durch die Türkei Kobane zu Hilfe eilen. Und tatsächlich vertrieben sie den IS aus dem gesamten Gebiet.
Die Kurden können den nördlichen Teil ihres Gebiets, das sie selbst "Rojava" nennen und dessen inoffizielle Hauptstadt Qamischli ist, weitgehend selbst verteidigen. Es erstreckt sich von West bis Ost entlang der türkischen Grenze. Unterbrochen ist es von einem Korridor der Rebellen und einer breiten Zone, die vom IS kontrolliert wird. Die Türkei schlägt vor, dass die USA-geführte Anti-IS-Koalition das Gebiet besetzt und dort einen Rückzugsraum für Flüchtlinge schafft. Es wäre das erste Mal, dass Nato-Staaten mit Bodentruppen gegen den IS vorgehen. Die Kurden sehen den Vorschlag allerdings kritisch. Sie glauben, dass die Türkei dadurch verhindern will, dass die Kurden das Gebiet einnehmen und so die bislang getrennten Teile von "Rojava" verbinden. Dass die Türkei einen Kurdenstaat an ihren Grenzen verhindern will, ist kein Geheimnis.
Quelle: ntv.de