Politik

Eine "Frage der Gerechtigkeit"? Worum es bei der Billionen-Klima-Rechnung geht

Vertrocknete Erde im Jemen.

Vertrocknete Erde im Jemen.

(Foto: REUTERS)

Es ist eines der wichtigsten Themen der Weltklimakonferenz: Wer zahlt die Rechnung für den Klimawandel? Der Blick auf die Daten zeigt, welche Verantwortung die reichen Industrieländer tragen.

Es war in Deutschland ein Höchstwert für Flutkatastrophen: Als im Sommer des vergangenen Jahres das Ahrtal überflutet war und 134 Menschen ihr Leben verloren hatten, legte der damalige Finanzminister Olaf Scholz ein 30 Milliarden Euro schweren Hilfsfonds auf. Von dem Geld sollte der Wiederaufbau der völlig zerstörten Region gezahlt werden. Doch was im reichen Deutschland klappt, kann nicht einfach so kopiert werden.

Nicht überall auf der Welt lässt sich bei einer vergleichbaren Flutkatastrophe oder notwendigen Anpassungen so viel Geld aufbringen. Die Erde heizt sich zunehmend auf, damit nehmen auch Extremwetterereignisse zu. Die Frage ist schon lange Streitthema: Wer zahlt die Rechnung für den Klimawandel? Die, die ihn lange Zeit befeuert haben, oder die, die darunter heute schon leiden? Darüber wird auch unter dem Stichwort "Loss and Damage" diskutiert. Damit sind Schäden gemeint, an die sich ein Land nicht anpassen kann: Etwa wenn der Meeresspiegel steigt und die Bevölkerung eines Inselstaats irgendwann umgesiedelt werden muss. Die Weltklimakonferenz COP27 in Ägypten hat sich nun erneut dem Streitthema gewidmet, denn der globale Süden fordert mehr Geld und Unterstützung vom Norden. Es geht auch um Ausgleichszahlungen für Klimaschäden.

Doch was bedeutet die Debatte für Deutschland? Auf den ersten Blick wirkt der deutsche Beitrag an den globalen Kohlendioxidemissionen (CO2) überschaubar. Das Gas entsteht üblicherweise in großen Mengen beim Verbrennen von Kohle, Öl und Erdgas sowie der Produktion von Zement und Beton. Deutschlands Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen seit 1750 beläuft sich auf etwas mehr als fünf Prozent. Erst im Kontext zeigt sich, wie ungerecht dieser Ausstoß verteilt ist.

Deutschlands rund fünf Prozent stehen für mehr CO2-Emissionen als der gesamte Ausstoß der beiden Weltregionen Südamerika und Afrika. Eine solche ungleiche Verteilung sorgt bei den betroffenen Ländern für Unmut. Etwa in Pakistan, das im Sommer erst extreme Hitze und dann verheerende Regenfälle erlebte. In der Folge war ein Drittel des Landes überflutet, insgesamt starben über 1700 Menschen. Pakistan verantwortet nicht einmal ein halbes Prozent des globalen CO2-Ausstoßes.

Die Entwicklungsstaaten pochen deshalb auf das Verursacherprinzip. Die pakistanische Klimaministerin Sherry Rehman fragte nach der Flutkatastrophe: "Warum sollten wir in Pakistan für katastrophale Überschwemmungen zahlen, die wir nicht verursacht haben?" Solche Forderungen werden von den Daten zu den globalen CO2-Emissionen seit 1945 gestützt. Die Industriestaaten machen den Großteil des in die Atmosphäre gepusteten CO2 aus, bis heute stammt mehr als die Hälfte aus den wohlhabendsten Nationen.

Dabei sind es häufig die Länder, die wenig emittiert haben, die besonders verwundbar für die klimabedingten Wetterveränderungen sind. Wie ungleich Risiko und Verantwortung verteilt sind, lässt sich beispielhaft in den Daten der University of Notre Dame in US-Bundesstaat Indiana erkennen. Die Forschenden haben einen Index namens ND-GAIN erstellt, mit dem sich vergleichen lässt, wie anfällig Staaten für Extremwetter sind. Dafür vergleichen sie die Länder in sechs Kategorien: Nahrung, Trinkwasser, Gesundheit, Ökosystem, menschlicher Lebensraum und Infrastruktur.

Die Karte zeigt anschaulich: Die Industriestaaten emittieren, die Folgen treffen vor allem die Entwicklungsländer. Für sie hat das auch wirtschaftliche Folgen. Ein Zusammenschluss aus Finanzministern, die "Vulnerable Twenty" (V20), untermauerte das im vergangenen Sommer mit einer vorläufigen Studie. Demnach hätten die 58 Mitglieder der Gruppe in den vergangenen zwei Jahrzehnten insgesamt rund 525 Milliarden US-Dollar verloren. Der Klimawandel wirke sich zudem negativ auf das Wirtschaftswachstum aus. Auch die Aussichten sind nicht viel besser: Forschende der London School of Economics zufolge könnten die weltweiten klimabedingten Schäden und Verluste bis 2050 auf bis zu 1 bis 1,8 Billionen Dollar jährlich steigen.

Aber wer soll diese Kosten tragen? Für die "Loss and Damage"-Folgen, also die schon entstandene Klimaschäden, gibt es bislang keine Lösung. Einen ersten Versuch, die ärmeren Länder zu unterstützen, gab es auf der Weltklimakonferenz 2009 in Kopenhagen. Dort einigten sich die Industriestaaten ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar zu mobilisieren. Mit dem Geld sollten die betroffenen Länder eigene Klimaschutzprogramme aufsetzen und Anpassungsmaßnahmen vornehmen können. Doch schon im ersten Jahr verfehlten die Industriestaaten laut OECD das Ziel um knapp 17 Milliarden Dollar. Besonders die USA hinkten anteilig an ihrem CO2-Ausstoß deutlich hinterher, wie das Thinktank "Carbon Brief" ausgerechnet hat. Deutschland war demnach zeitweise sogar im Plus.

Die Daten zum Ausstoß und das gebrochene 100-Milliarden-Versprechen zeigen, weshalb es im Kreis der betroffenen Länder durchaus einen großen Frust zu spüren gibt. Schon vor der COP27 sprach der gastgebende ägyptische Außenminister, Samih Schukri, von einem "Mangel an Vertrauen". Die großen CO2-Emittenten blockierten "Loss and Damage"-Zahlungen bisher vor allem aus zwei Gründen: Erstens, könnte es in Zukunft um unvorstellbare Summen gehen und, zweitens, steht zu befürchten, dass Staaten im Fall eines Eingeständnisses in Haftung genommen werden könnten.

Hinzu kommt ein weiteres Problem: China. Während die USA und auch Deutschland ihren CO2-Ausstoß verringert haben, passiert dort das Gegenteil - auch, weil viele westliche Länder Teile ihrer Produktion und damit CO2-Emissionen nach Asien verlagert haben. Peking hat den von der Klimakrise betroffenen Staaten zwar Hilfe angeboten - aber kein Geld.

"Unser Reichtum, der fossile Reichtum, ist auch gebaut auf den Klimaschäden, die wir heute erleben", sagte Außenministerin Annalena Baerbock gegenüber RTL/ntv bei der COP27 in Ägypten. "Aber mittlerweile, fast 30 Jahre später, haben wir Volkswirtschaften wie China, die sich massiv weiterentwickelt haben und allein aufgrund ihrer Größe der Menschen zu den größten Emittenten gehören."

Die Grünen-Politikerin sagte, es sei "eine Frage der Gerechtigkeit", dass "wir als Industriestaaten sagen, natürlich müssen wir für die Schäden der Vergangenheit, für die Schäden der Zukunft aufkommen". Aber China müsse dann auch für die Schäden der Zukunft mit aufkommen, "wenn sie nicht bereit sind, ihre eigenen Emissionen in Zukunft radikal herunterzubringen".

Quelle: ntv.de

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