Politik

COP30 startet in Brasilien Zehn Jahre nach der Pariser Klima-Revolution knirscht's heftig

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Eine Frau passiert in Belém Plakate, die von der COP künden.

Eine Frau passiert in Belém Plakate, die von der COP künden.

(Foto: picture alliance / Xinhua News Agency)

Zum runden Geburtstag des Pariser Klimaabkommens ist schon mehr erreicht, als 2015 für möglich gehalten wurde. Dennoch steuert die Welt auf eine katastrophale Erderwärmung zu und das politische Klima ist denkbar ungünstig. Auch Deutschland reist nicht als Musterschüler zur Konferenz in Brasilien.

Zwischen Paris und Belém liegen zehn Jahre, 7500 Kilometer Atlantikwasser, drei US-Präsidentschaftswahlen und drei verschiedene Bundeskanzler. 2015 verabschiedete die fast vollständig versammelte Staatenwelt in Frankreichs Hauptstadt das Pariser Klimaabkommen. Nun kommen sie in der brasilianischen Stadt Belém zusammen. Dort, wo die grüne Lunge des Planeten unwiderruflich zu kollabieren droht: 18 Prozent des Amazonas-Regenwaldes sind verschwunden, ab 22 Prozent Flächenverlust könnte jede Hilfe zu spät kommen. Doch zur Klimakonferenz kommt mit den USA eines der wichtigsten Länder nicht. Die Vorzeichen dieser UN-Klimakonferenz sind ganz andere als noch vor einer Dekade. Immerhin: Die Lage ist nicht aussichtslos.

Auch wenn die Riesenveranstaltungen unter dem Kürzel COP einen schlechten Ruf als ressourcenintensive Showevents bekommen haben, ist doch viel erreicht worden. Das zeigt eine Bilanz der britischen Klimaorganisation ECIU zu den Erfolgen des Pariser Klimaabkommens:

  • 41 Prozent der weltweiten Stromproduktion stammen aus erneuerbaren Energieträgern. Diesen Wert hatte man vor zehn Jahren erst für 2035 für möglich gehalten.
  • Seit 2015 hat sich die weltweite Kapazität an Solarstrom mit 553 Gigawatt vervierfacht. Das sind satte 1500 Prozent mehr, als es die Internationale Energieagentur (IEA) vor zehn Jahren prognostiziert hat.
  • Der Zuwachs an Elektroautos weltweit liegt immerhin 40 Prozent über den Erwartungen von damals.
  • Und am wichtigsten: Die globalen Kohlendioxid-Emissionen (CO2) wachsen signifikant langsamer. Im Schnitt um 0,3 Prozent pro Jahr seit 2015. In den zehn Jahren vor Paris lag dieser Wert noch bei 1,7 Prozent.

Kurs: 2,8 Grad mehr bis 2100

Das reicht alles noch nicht, um katastrophale Veränderungen für Menschen und Natur zu verhindern. Die Emissionen müssen runter, idealerweise auf null. Und selbst dann ist schon so viel CO2 in der Atmosphäre, dass der Planet auf jeden Fall heißer und der Meeresspiegel steigen wird - mit immer noch kaum überschaubaren Konsequenzen für die so fein austarierte Welt aus Strömungen, Pflanzen und Tieren. Die Vereinten Nationen erwarten in ihrem jüngsten Bericht eine Erwärmung um 2,8 Grad bis zum Jahr 2100.

Die angestrebte Begrenzung auf 1,5 Grad gilt als nicht mehr machbar. Setzen die Staaten all ihre angekündigten Klimamaßnahmen um, könnten es auch 2,3 Grad werden. Doch danach sieht es nicht aus: Die USA sind aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen. Ihr Präsident, Donald Trump, gibt Naturschutzgebiete für Öl- und Gasbohrungen frei und sagt sogar Windkrafträdern den Kampf an, weil er Klimawandel und Erneuerbare für "Betrug" hält.

Was aber auch stimmt: 2015 steuerte die Erde noch auf eine Erwärmung um 4 Grad zu, was fast alle besiedelten Teile der Welt für Menschen unbewohnbar gemacht hätte. Und in den USA verfolgen wichtige Bundesstaaten weiter ihre Klimaschutzziele, Trump hin oder her.

Je konkreter und damit teurer die Dekarbonisierung wird, desto mehr wackelt allerdings auch Europa: Die EU-Staaten konnten sich nicht auf einen verbindlichen Zielwert einigen für ihre Emissionsreduzierung bis 2035. Vor Beginn der COP30 haben nur etwas mehr als 30 Prozent der Staaten fristgerecht und konkret Klimaschutzziele (NDC) eingereicht, wie es das Pariser Abkommen alle fünf Jahre vorschreibt. Unter diesen 60 Staaten sind vor allem Inselstaaten und Entwicklungsländer, die wenig zum Klimawandel beitragen, von seinen Folgen aber umso heftiger betroffen sind und sein werden.

Ewiger Streit ums Geld

Die armen oder geografisch besonders exponierten Länder müssen sich aber auch an die Spielregeln halten, um in den Verhandlungen mit den Verursacher-Staaten auf selbige Regeln pochen zu können. Schließlich haben sich die großen Industrienationen 2015 auch zu Zahlungen verpflichtet, mit denen die besonders betroffenen Länder eigene Klimaschutzinitiativen und Anpassungsmaßnahmen finanzieren sowie Schäden durch Extremwetter kompensieren können sollten.

Doch nicht nur die USA verabschieden sich aus der Klimafinanzierung. Auch Deutschland hat in der bisherigen Haushaltsplanung ab diesem Jahr nicht mehr genügend Geld zur Verfügung, um eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen. Dabei hatten sich die COP-Teilnehmer im vergangenen Jahr, noch unter US-Präsident Joe Biden, auf das Ziel von 300 Milliarden Dollar geeinigt. So viel Geld soll spätestens ab 2035 jedes Jahr für Ausgleichsmaßnahmen zusammenkommen.

Die konkrete Umsetzung und wer was beiträgt, ist ein zentraler Streitpunkt in Belém. Es geht neben den Staaten auch um die Privatwirtschaft. Gastgeber Luiz Inácio Lula da Silva machte keinen Hehl daraus, was er erwartet: "Die reichen Länder haben am meisten von der kohlenstoffbasierten Wirtschaft profitiert. Sie müssen sich nun ihrer Verantwortung stellen, nicht nur, indem sie Verpflichtungen eingehen, sondern auch durch die Begleichung ihrer Schulden", schrieb der brasilianische Präsident in einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Brasilien ist in seiner Ambivalenz ein geradezu exemplarischer Gastgeber: Die Regierung will den Regenwald und auch den Lebensraum seiner indigenen Bevölkerung ernsthaft schützen. Zugleich ist die Landwirtschaft ein immens wichtiger Wirtschaftsfaktor und die satten Gewinne des staatlichen Öl- und Gasriesen Petrobras finanzieren einen erheblichen Teil der Sozialprogramme der Regierung. Jüngst wurden weitere Bohrungen im Mündungsgebiet des Amazonas genehmigt. Zugleich geht der Staat wieder mehr gegen Waldrodungen vor als unter Präsident Jair Bolsonaro. Der Trump-Alliierte hatte eine COP in Brasilien noch verhindert, nun sitzt er im Gefängnis wegen Putschplänen.

Ein umstrittener Austragungsort

Präsident Lula hofft, mit dem Austragungsort der COP die Herzen der verantwortlichen Politiker zu erreichen. Belém liegt unweit der Mündung des Amazonas-Flusses direkt am Amazonas-Urwald. Der Ort verfügt trotz seiner rund 1,5 Millionen Einwohner nicht über die Infrastruktur für eine Konferenz mit 50.000 Teilnehmern in elf Tagen. Die wenigen Hotels sind noch teurer und überbuchter als ohnehin üblich.

Ausweich-Hotels vor Belém: Brasiliens Regierung hat ganze Kreuzfahrtschiffe gebucht.

Ausweich-Hotels vor Belém: Brasiliens Regierung hat ganze Kreuzfahrtschiffe gebucht.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Um zusätzlich Menschen unterzubringen, liegen deshalb vor Belém riesige Kreuzfahrtschiffe vor Anker. Ausgerechnet die so CO2-intensiven Stahlriesen! Dennoch können deutsche Umweltschutzorganisationen dem Austragungsort auch Positives abgewinnen: Aktionen von Menschenrechts- und Umweltorganisationen, Proteste und Beteiligung sind im demokratischen Brasilien unter dem Sozialisten Lula im Herzen der COP angesiedelt. Das war zuletzt in Aserbaidschan, Dubai und Ägypten noch ganz anders - drei autoritär regierten Ländern mit einem Herz für fossile Energieträger.

Der Chef von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser, hofft auf "eine steile Lernkurve" bei Bundeskanzler Friedrich Merz in Belém; darauf, "dass er mit seinen Erfahrungen im Amazonas eine andere Politik verfolgen wird als mit den Erfahrungen, die er bisher im Sauerland gesammelt hat". Doch der Kanzler macht nur zum Gipfeltreffen mit 50 Staats- und Regierungschefs in Belém kurz Station, bevor am Sonntag die eigentliche Klimakonferenz beginnt.

Berlin will neuen Schub für internationale Kooperation

Dort vertritt vor allem Bundesumweltminister Carsten Schneider von der SPD die Bundesregierung. Seine Parteikollegin Reem Alabali Radovan ist ebenfalls vor Ort. Die deutsche Entwicklungsministerin tritt geschwächt auf, wie sie vor ihrer Abreise selbst einräumte: Die Haushaltskürzungen seien "eine Herausforderung für die internationale Klimafinanzierung". Die Grünen kritisierten aus der Opposition heraus scharf, dass Deutschland in Belém nicht mehr als Antreiber beim Klimaschutz auftreten könne, wenn die Bundesregierung zugesagte Klimahilfen nicht auszahle.

Alabali Radovan räumte diesen Konflikt auch an anderer Stelle ein: "Wir unterstützten die Idee", sagte sie über den von Präsident Lula ins Leben gerufenen Regenwaldfonds. Der globale Waldschutz-Fonds Tropical Forests Forever Facility (TFFF) soll Milliardensummen gewinnbringend anlegen und mit den Gewinnen diejenigen Tropenländer belohnen, die ihre Regenwälder schützen. Alabali Radovan konnte vor Abreise nicht sagen, wie viel Geld Deutschland beisteuern wird.

Doch mit ganz leeren Händen werden Merz und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil ihre Kabinettskollegin nicht im Regenwald stehen lassen: Aus Berlin ist zu vernehmen, dass die Bundesregierung die COP30 durchaus ernst nimmt. In Zeiten, in denen die internationale Zusammenarbeit unter Druck steht wie nie seit Ende des Kalten Krieges, ist die Klimakonferenz auch ein Ort der Begegnung und des Multilateralismus. Selbst China zeigt Interesse. Präsident Xi Jinping hatte in der UN-Generalversammlung angekündigt, das Land werde seine CO2-Emissionen bis 2035 um 7 bis 10 Prozent senken.

Ein kraftvolles Signal, so die Einschätzung in Deutschland vertretener humanitärer und Klimaorganisationen, wird von Belém nicht ausgehen. Jedenfalls keines in der Dimension von Paris 2015. Wenn aber die Staaten zumindest das damals Vereinbarte im Groben weiterverfolgen, Reduktionsziele genauso wie die internationale Klimafinanzierung, sei schon viel erreicht. Es gehe nicht mehr darum, Ziele und Instrumente für die Begrenzung der Erderwärmung zu entwickeln. Es gehe darum, diese umzusetzen und am Ball zu bleiben, wenn es konkret wird. Sprich: anstrengend und teuer.

Quelle: ntv.de, mit dpa und AFP

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