
Der Präsident geht, seine Standarte bleibt.
(Foto: dpa)
Die Mehrheitsverhältnisse und der Wahlkampfmodus, in dem die Parteien sich Anfang 2017 befinden werden, machen die Suche nach einem neuen Staatsoberhaupt kompliziert. Dabei liegt die Lösung so nahe.
So viel Aufmerksamkeit wie zuletzt in Österreich erfährt die Wahl des deutschen Bundespräsidenten normalerweise nicht – schließlich hat das Staatsoberhaupt in Deutschland weniger Befugnisse als sein österreichischer Kollege. Vor allem wird es nicht direkt gewählt.
Trotzdem ist die Vergabe dieses Amtes immer auch Ausdruck des Zeitgeistes, ein Signal, eine Richtungsentscheidung. Und genau das macht die Sache so kompliziert. Zumal die Bundesversammlung im Februar 2017 zusammentreten wird, sieben Monate vor der nächsten Bundestagswahl. Schlechte Voraussetzungen für einen Konsenskandidaten.
Keine Partei hat in der Bundesversammlung allein die Mehrheit. Ein Kandidat bräuchte die Unterstützung von Union und SPD oder von Union und Grünen. Sollten SPD, Grüne und Linke einen gemeinsamen Kandidaten aufstellen wollen, dann bräuchten sie zusätzlich noch die Stimmen der Piraten, die es in der Bundesversammlung auch noch gibt.
Das Problem ist, dass jedes dieser Bündnisse ein Signal wäre, auf das sich die beteiligten Parteien nicht festlegen wollen, um möglichst unbelastet in den Wahlkampf ziehen zu können. Rot-Rot-Grün? Für SPD und Grüne heikel. Schwarz-Grün? Findet die CSU nicht so gut. Schwarz-Rot? Weder Union noch SPD strebt eine Fortsetzung dieser Koalition an.
Sozialdemokraten chancenlos
Damit sind einige Namen vom Tisch, die derzeit als mögliche Gauck-Nachfolger gehandelt werden, die Ministerpräsidenten Volker Bouffier oder Winfried Kretschmann etwa, die für Schwarz-Grün stehen. Da die Union als größte Gruppe in der Bundesversammlung nicht davon zu überzeugen sein wird, einen Sozialdemokraten zu wählen, sind auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier oder der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, chancenlos. Für CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt oder Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wiederum wird sich außerhalb der Union keine Begeisterung wecken lassen, zu sehr sind diese beiden Frauen Parteipolitikerinnen.
Wer bleibt da übrig? Ganz klar: der CDU-Politiker Norbert Lammert. Mit 67 Jahren ist er – im Gegensatz zu Finanzminister Wolfgang Schäuble – deutlich unter der Altersgrenze, die Gaucks Verzicht auf eine zweite Kandidatur faktisch gezogen hat. Er ist seit 2005 Präsident des Bundestags und damit seit mehr als zehn Jahren auf Überparteilichkeit festgelegt. Auch Sozialdemokraten, Grüne und Linke respektieren Lammert, der mit praktisch jeder Wortmeldung demonstriert, dass er für das höchste Amt im Staat mehr als qualifiziert ist. Denn egal, worum es geht: Lammert findet die richtigen Worte.
Aber wäre Lammert nicht doch ein Erfolg für die Union und damit den anderen Parteien nicht zu vermitteln? Man kann das auch anders sehen. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel wäre Lammert kein Erfolg, sondern ein Zugeständnis; sie verhindert seine Kandidatur bereits seit sechs Jahren, seit dem Rücktritt des damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler. Das kann man nachvollziehen: Lammert ist so selbstbewusst, wie es sich für den Chef eines Parlaments gehört. Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Kanzlerin nimmt er nicht – ansonsten hätte er sich kritische Bemerkungen über die Eile, mit der Griechenland-Rettungspakete durch den Bundestag gepeitscht wurden, vermutlich verkniffen.
Kurzum: Lammert ist zwar Mitglied der Partei, die in der Bundesversammlung die größte Fraktion stellt. Aber er ist auch für SPD und Grüne wählbar und für Linke zumindest akzeptabel. Die zentrale Aufgabe des Bundespräsidenten, das Halten von Reden, beherrscht Lammert, man kann es nicht anders sagen, meisterhaft. Merkel und die SPD, auch die Grünen, sie alle sollten sich einen Ruck geben. Einen Besseren werden sie kaum finden.
Quelle: ntv.de