
Horst Seehofer präsentierte heute ein Lagebild, das mit einer eigenartigen Methode erarbeitet worden ist.
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Stellen Sie sich vor, die Berliner Polizei würde behaupten, es gebe keine Probleme mit Clankriminalität in der Stadt - man habe die Großfamilien danach befragt. Wie glaubhaft wäre das? Auf ähnlich absurden Grundlagen beruht Horst Seehofers heute aufgestellte These, es gebe kein strukturelles Problem mit Rechtsextremismus bei der Polizei.
Horst Seehofer klopft sich selbst auf die Schulter. Keine Bundesregierung habe das Thema Rechtsextremismus jemals so ernst genommen, wie jene, an der er beteiligt ist, sagt er. Niemals zuvor seien Rassismus und Antisemitismus derart in den Fokus des Innenministers geraten, beteuert er. An seinem Eigenlob wäre weniger auszusetzen, wenn es keine Zweifel an der Aufrichtigkeit von Seehofers Engagement gäbe. Doch so, wie der Innenminister das Problem Rechtsextremismus bei den deutschen Behörden behandelt, ist die Frage berechtigt, was das größere Problem ist: Extremismus bei den Behörden oder ein Politiker, der ihn stoisch relativiert.
Denn Seehofer zeichnet bei der Vorstellung des Lageberichts zu Rechtsextremismus in der Polizei ein Bild von nahezu makellosen Behörden. Immerhin sagt er, dass "jeder erwiesene Fall eine Schande" sei und dass Polizistinnen und Polizisten eine besondere Vorbildfunktion für die Gesellschaft hätten, der Maßstab daher ein anderer sei. Damit ist die Problembeschreibung aber im Wesentlichen abgeschlossen. Grundsätzlich, das betont Seehofer mit Nachdruck, gebe es "kein strukturelles Problem mit Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden". Man habe es mit einer "geringen Fallzahl" zu tun und "die ganz, ganz überwiegende Mehrheit der Mitarbeiter - über 99 Prozent - stehen fest auf dem Boden des Grundgesetzes." Rassistisches, antisemitisches, rechtsextremes Gedankengut sei höchstens in homöopathischen Dosen in die Köpfe der Sicherheitsbeamten eingesickert, soll das wohl bedeuten. Das Problem sei im Grunde keines.
Rechtsextreme haben weiterhin nicht viel zu befürchten
Seehofer, der sich heute einmal wieder vorbildliches Engagement gegen Rechtsextremismus bescheinigt, wurde in der Vergangenheit schon mehrfach der Vorwurf gemacht, das Problem kleinzureden, zu vertuschen. Zuletzt hagelte es Kritik, als er eine unabhängige Studie über Rassismus bei der Polizei absagte. Und auch die heute vorliegende Untersuchung weckt Zweifel daran, ob der Innenminister bei dem Thema wirklich erkenntnisgeleitet handelt oder ob er nur einen Beleg dafür sucht, dass bei den Behörden alles in Ordnung ist.
Denn der heute vorgelegte Lagebericht beruht auf freiwilligen Angaben der Behörden. Wenn ein Behördenchef vor Ort also seine schützende Hand über den einen oder anderen Kollegen halten wollte, dessen rechtsextreme oder rassistische Umtriebe ihm bekannt waren, war das überhaupt kein Problem. Das gilt freilich auch für den Fall, dass Personal auf der Leitungsebene selbst verwickelt gewesen sein sollte. Wie viel die einzelnen Behörden auf Bundes- und Landesebene preisgeben wollten, entschieden sie selbst. Es ist kein Lagebild und auch keine Studie, sondern eine Selbstauskunft. Es ist so, als würde die Berliner Polizei behaupten, es gebe kein Problem mit Clankriminalität in der Stadt und als Beleg dafür darauf verweisen, dass man ja die einzelnen kriminellen Großfamilien danach befragt habe. Es ist eine absurde Methode.
Und so darf es niemanden überraschen, wenn die Landespolizeibehörde im Saarland keinen einzigen Verdachtsfall meldete und die Polizei in Bremen einen. In beiden Bundesländern arbeiten jeweils rund 2700 Beamtinnen und Beamte. So gerät selbst Seehofers 99-Prozent-Rechnung zur Farce. Auch berücksichtigt das "Lagebild" des Innenministers nicht die mehr als 300 sogenannten Einzelfälle, die seit März diesen Jahres bekannt geworden sind. Rechtsextreme Chatgruppen in NRW, Drohschreiben vom NSU 2.0, Bundespolizisten aus Rosenheim, die in einem Lokal den Hitlergruß gezeigt haben sollen. Die Liste ist lang. Aber auch die Tatsache, dass es nach dem Ende des Erfassungszeitraums des Lagebildes zu vielen beunruhigenden Enthüllungen kam, lässt Seehofer unerwähnt.
Auf die Frage, ob Rechtsextremismus bei der Polizei ein strukturelles Problem ist oder nicht, konnte der Innenminister heute wieder keine glaubhafte Antwort liefern. Und es sieht weiterhin nicht danach aus, als sei er ernsthaft an einer Antwort interessiert. Auch wenn sich Seehofer einmal mehr für sein Engagement lobt, ist das Signal an die Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden klar: Sie haben weiterhin nicht viel zu befürchten.
Quelle: ntv.de