
Ein Besuch im Außenbereich von Restaurants ist bei vorheriger Terminbuchung im Saarland ab heute möglich.
(Foto: dpa)
Kurz vor der nächsten Bund-Länder-Runde wagen einzelne Bundesländer Öffnungen. Gerade im Saarland ist dies ein deutlicher Kurswechsel - in die völlig falsche Richtung.
Im Saarland dürfen sich die Menschen auf mehr Lockerungen freuen, ihr Ministerpräsident Tobias Hans beschert ihnen kurz nach Ostern ein wenig mehr Normalität, ein wenig Aufatmen vom Pandemie-Stress. Doch einen Gefallen tut der CDU-Politiker seinem Land damit nicht. Das Gegenteil wäre jetzt angesagt. Der Schritt passt weder zu den aktuellen Infektionszahlen noch zur bisherigen Corona-Politik des saarländischen Regierungschefs. Hans gehörte in den vergangenen Monaten eher zum "Team Vorsicht". Es ist keine drei Wochen her, dass er sich gegen weitere Lockerungen aussprach.
Im Saarland sieht es mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 91,3 zwar gar nicht so schlecht aus. Aber die Tendenz ist steigend und auch hier gibt es einen Landkreis, der schon vor Tagen die kritische Schwelle erreicht hat, ab der eigentlich die Notbremse in Kraft treten müsste. Zwei der sechs saarländischen Landkreise liegen über 100. Dennoch ist an diesem Dienstag das sogenannte Saarland-Modell gestartet, bei dem Lockerungen durch Schnelltests abgesichert werden sollen.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach dürfte Recht behalten, wenn er für einen harten Lockdown wirbt, wie er im "Frühstart" bei ntv sagte: "Wenn man eine Woche lang sinkende Zahlen hat, kann man aus dem Lockdown rausgehen." Das ist die sinnvolle Reihenfolge: erst die Zahlen senken, dann den Lockdown lockern und mit einer Teststrategie absichern.
Lauterbach ist nicht der einzige Experte, der das so sieht. Auch Christian Drosten, Viola Priesemann und andere fordern strenge Maßnahmen. Zumal in Tübingen, einem wichtigen Vorbild für das Saarland-Modell, die Inzidenz längst wieder steigt. Weltärzte-Präsident Frank Ulrich Montgomery sieht das Modell bereits als gescheitert an. Doch das Saarland reißt trotzdem die Türen auf.
Erst kürzlich gab es Extra-Impfdosen für das Saarland
Irritierend ist der Öffnungskurs aber nicht nur aus Sicht vieler Wissenschaftler, sondern auch aus Sicht der anderen Bundesländer. Erst Ende März erhielt das Saarland wie auch fünf weitere Länder mehrere zehntausend Extra-Impfdosen, da es durch die Nähe zu Frankreich besonders gefährdet sei. Und ausgerechnet das Saarland öffnet nun? Das torpediert die Solidarität zwischen den Bundesländern und macht eine bundesweite Einigung umso schwieriger.
Genau die wollen aber die meisten Menschen hierzulande - Bund und Länder müssen sich nach dem Durcheinander der vergangenen Wochen endlich zusammenraufen. Wie soll das gehen, wenn in Saarbrücken, aber auch in Dresden oder Berlin die Gelassenheit ausbricht, während in Hamburg Ausgangssperren gelten? Ministerpräsident Hans genießt gerade vielleicht die Zustimmung, die er daheim für seinen Lockerungskurs erfährt. Doch er sollte sich klarmachen, dass er in einem größeren Boot sitzt - gemeinsam mit den anderen Bundesländern und der Bundesregierung. Und wenn darin jeder für sich rudert, ist ein klarer Kurs ausgeschlossen.
Hinter den Lockerungen, der Verdacht liegt nahe, steckt das Grundprinzip der deutschen Corona-Politik: Sie folgt Stimmungen und verzichtet dabei auf einen klaren Plan. Nötig wäre aber ein Konzept, das bundesweit festlegt, unter welchen Bedingungen geöffnet oder geschlossen wird, das Ziele definiert und die Wege dahin beschreibt. Am kommenden Montag hätten die Ministerpräsidenten bei ihrem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel die Chance, dieses Ziel zu erreichen. Mit dem wachsenden Durcheinander und der kurzsichtigen Durchwurstelei wird es für die Ministerpräsidenten nicht einfacher werden. Für das Virus hingegen schon.
Quelle: ntv.de