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FDP-Klausur soll Krise beenden Westerwelles letzte Chance

Parteichef in der Krise: Westerwelle sucht den Befreiungsschlag.

Parteichef in der Krise: Westerwelle sucht den Befreiungsschlag.

(Foto: REUTERS)

Es geht um die Zukunft der FDP: Die Liberalen haben seit ihrem Regierungsantritt dramatisch an Ansehen verloren. Nun sucht die Partei auf einer Klausur den Befreiungsschlag, die FDP will sich neu aufstellen. "Mit Westerwelle", wie betont wird. Es ist die letzte Chance des FDP-Chefs.

Guido Westerwelle ist dem Sturm noch einmal entkommen. In den vergangenen Tagen sah es noch so aus, als würde sich über dem FDP-Vorsitzenden ein politisches Gewitter zusammenbrauen, das zu einem Orkan anschwellen und Westerwelle ernsthaft beschädigen könnte. In der FDP hatte sich eine politische Schlechtwetterfront breit gemacht, die sich aus anhaltend miesen Umfragewerten, andauerndem Koalitionszank und thematischer Eintönigkeit der Liberalen speist. Lange Zeit entlud sich dieser Ärger nur über den beiden Koalitionspartnern CDU und CSU. Doch spätestens seit der ernüchternden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist auch der Parteivorsitzende nicht mehr unantastbar.

In der FDP-Spitze hat man diese Spannungen genau registriert und sich zu einem außergewöhnlichen Schritt entschlossen. Am Sonntag und Montag kommen in der FDP-Zentrale Fraktions- und Parteivorstand zu einer Klausur zusammen, um über den Kurs der FDP zu beraten. "Mit Westerwelle in die Offensive", lautet das inoffizielle Motto dieses Treffens. Dass dieses "mit" so betont werden muss, zeigt, wie angeschlagen der Parteichef bereits ist.

Der FDP-Führung geht es mit der Klausur vor allem darum, ein Signal ins Land und an die eigene Basis zu senden: Seht her, wir haben Eure Kritik verstanden und nehmen sie ernst. Die Klausur soll eine reinigende Wirkung haben, hinter den verschlossenen Türen des Thomas-Dehler-Hauses in Berlin dürfen sich die Kritiker Luft verschaffen. Aber es soll mehr ein Sommergewitter sein denn ein Hurrikan. Deshalb hat die Parteispitze bereits vorgebaut und eine offene Debatte ohne Diskussionsverbote angekündigt.

FDP diskutiert Spitzensteuersatz

Viele in der FDP sind das Image der Klientel- und Steuersenkungspartei leid, das den Liberalen anhaftet. Fraktionschefin Birgit Homburger hat deshalb eine thematische Neuaufstellung der Partei versprochen. "Die Verengung in der öffentlichen Wahrnehmung auf das Steuerthema werden wir korrigieren." Es sind vor allem die Jüngeren in Partei und Fraktion, die auf eine Neuausrichtung dringen. "Wir müssen unsere Position in wichtigen politischen Fragen überdenken beziehungsweise besser kommunizieren. Dazu zählen Kernkraft, Bürgerrechtsfragen und die sozialen Sicherungssysteme", formulierte es Juli-Chef Lasse Becker gegenüber n-tv.de. Dem Vorsitzenden der liberalen Jugendorganisation geht es dabei sowohl um Themen wie Netzsperren oder Ende der Atomkraft als auch Generationengerechtigkeit.

Revolte verhindert: Westerwelle-Kritiker Hahn.

Revolte verhindert: Westerwelle-Kritiker Hahn.

(Foto: dpa)

Wie groß die Angst vor dem Absturz und die Verunsicherung in der Partei sind, zeigt die Debatte über eine Anhebung der Spitzensteuersätze vor Beginn der Klausur. Bislang ein absolutes Tabu, soll das Thema zumindest diskutiert werden, hieß es. Doch da eine Erhöhung neben Besserverdienenden auch alle mittelständischen Unternehmen treffen würde, die keine Kapitalgesellschaften sind, wird sich die Partei kaum dafür aussprechen. Eher noch scheint die sogenannte Reichensteuer möglich, die nach Informationen von n-tv.de zumindest in Teilen der Partei Zustimmung findet. Belastet sie doch die wirklich Wohlhabenden und nicht den Mittelstand.

Auf Lindner kommt es an

Datenschutz im Internet, Bildungspolitik, Anhebung des Spitzensteuersatzes, Deckelung des Elterngeldes, eine Rücknahme des Steuerprivilegs für Hoteliers, Atomkraft, Gesundheitspolitik, Reichensteuer – in der FDP scheint plötzlich alles möglich. Die Spekulationen über den neuen Kurs der Partei nahmen unmittelbar vor der Klausur solch wilde Auswüchse an, dass Generalsekretär Christian Lindner sich zu einem Machtwort gezwungen sah. "Die FDP strebt weiter eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger insbesondere der Mittelschicht an", erklärte er. Dieses Ziel solle bei gleichzeitiger Sanierung der Staatsfinanzen erreicht werden. "Berichte über bereits getroffene Entscheidungen der Parteiführung treffen nicht zu."

Generalsekretär Lindner will ein Grundsatzprogramm erarbeiten, und dabei die Kritiker einbinden.

Generalsekretär Lindner will ein Grundsatzprogramm erarbeiten, und dabei die Kritiker einbinden.

(Foto: picture alliance / dpa)

Es ist vor allem an Lindner, die Diskussionen in der Partei zu kanalisieren und ihnen eine Richtung vorzugeben, in der sie sich konstruktiv entladen können. Am Ende der Klausur soll ein gemeinsamer Beschluss zu Papier gebracht werden. Die inhaltlich breitere Aufstellung wird sich in der Arbeit an einem neuen Grundsatzprogramm niederschlagen. "Das ist der Schlüssel zu einer thematischen Verbreiterung", sagt auch Juli-Chef Becker.

Lindner ist es auch, der FDP-Chef Westerwelle aus der Schusslinie nimmt und ihm bei der Neuaufstellung eine wichtige Rolle zuschreibt. "Guido Westerwelle wird die FDP auch aus der schwierigen Phase, in der wir jetzt sind, herausführen", betonte er. Damit reagiert der General auch auf den zunehmenden Druck aus der Partei heraus, in der viele eine Trennung der Ämter als Außenminister, Vizekanzler und Parteichef fordern.

Westerwelle unter Druck

Denn auch wenn die Parteispitze sich vor ihren Vorsitzenden stellt – Westerwelle steht mit dem Rücken zur Wand. Der FDP-Chef ist unbeliebt wie nie zuvor, sein öffentliches Ansehen erreicht in Umfragen immer neue Tiefstwerte. So wenig Anerkennung hatte ein amtierender Außenminister noch nie. Und auch in der Partei steht er massiv unter Druck. So sehr, dass es schon aus der Parteiführung heißt: "Der Parteichef ist gefasst und will führen."

Aber zu einem Putsch wird es nicht kommen. Zum einen will sich die Partei (noch) nicht selbst zerfleischen. Zum anderen steht (noch) kein Nachfolger bereit. Die Hoffnungsträger Lindner und Gesundheitsminister Philipp Rösler etwa sind einfach noch zu neu im Geschäft. Deshalb bekommt Westerwelle eine "zweite Chance", wie es Hessens FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn formuliert. Er hat auf seinem Landesparteitag vergangene Woche deshalb auch verhindert, dass ein Sonderparteitag gefordert wird, der sich explizit mit der FDP-Spitze beschäftigt.

Auch eine Ämtertrennung scheint vorerst aus dem Spiel. Westerwelle habe selbst begriffen, dass er sich mehr auf sein Amt des Außenministers konzentrieren und den FDP-Chef etwas zurückschrauben müsse, heißt es aus der Parteiführung. "Der Erkenntnisprozess ist da."

Selbstkritik hilft weiter

Doch das dürfte ein schwieriger Prozess werden. Denn Westerwelle tickt so nicht. "Es geht nicht darum, das Populäre zu machen, sondern das Richtige zu tun. Und dann muss man dafür sorgen, dass es populär wird. So funktioniert politische Führung", verriet er Anfang des Jahres in einem "Spiegel"-Interview. Und Westerwelle glaubt natürlich, das Richtige zu vertreten. Also muss man nur noch dafür sorgen, dass er populär wird, würde das bei ihm bedeuten.

Brüderle versucht sich derzeit in der Offensive.

Brüderle versucht sich derzeit in der Offensive.

(Foto: picture alliance / dpa)

Nun befindet sich Westerwelle erstmals in seiner Karriere in einer Rückwärtsbewegung. Er muss von Steuersenkungen ebenso abrücken wie von seiner "geistig-politischen Wende". Die Realität des Regierens und die miesen Umfragewerte haben ihm dafür den Boden entzogen. Westerwelle muss zurückstecken. Ein ungewohntes Gefühl für einen Politiker, dessen Karriere sich durch ständige Offensive auszeichnet. Doch der Druck ist zu groß, vor allem in seiner Partei. Deshalb übt sich Westerwelle neuerdings in Selbstkritik, wie etwa auf dem Parteitag der FDP. "Das war sehr hilfreich", sagte Juli-Chef Becker. "Seine Äußerungen zeigen, dass er die Kritik verstanden hat." Da schwingt wohl auch ein bisschen Hoffnung des FDP-Nachwuchses mit.

Verstanden zu haben scheint auch ein anderes Führungsmitglied der FDP, das bislang als Schwachstelle in Partei und Regierung galt: Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle. Westerwelles Vize scheint aus einer Art Koma erwacht und meldet sich nun fast täglich zu Wort. Mal zur Situation in der FDP, mal mit ordnungspolitischen Paukenschlägen bei der Opel-Rettung im Stil seines Vorgängers Guttenberg.

Bis die Stunde schlägt

Es scheint, dass die Parteiführung noch einmal den größten Ärger abwenden kann. Nicht um Köpfe wird es gehen, sondern um Inhalte. "Die Verantwortung ist weniger eine personelle Frage. Es ist vielmehr die bittere Enttäuschung, dass wir keine Inhalte in der Regierung durchgesetzt haben", fasst Becker den Frust in seiner Partei zusammen. Die FDP-Spitze und insbesondere Westerwelle bekommen nun noch einmal die Chance, politische Vorhaben neu zu bestimmen und diese dann auch durchzusetzen. "Die Frage wird sein, wie sich die Arbeit der Regierung im Herbst entwickelt", machte der Juli-Chef klar.

Im Herbst muss es laufen: Die Stimmung in der Regierung ist alles andere als gut. Die FDP gibt der Kanzlerin einen Großteil der Schuld.

Im Herbst muss es laufen: Die Stimmung in der Regierung ist alles andere als gut. Die FDP gibt der Kanzlerin einen Großteil der Schuld.

(Foto: dpa)

Vorerst richtet sich der Ärger der Liberalen damit wieder auf die Koalitionspartner. Der hessische FDP-Chef Hahn stellte angesichts der Unzufriedenheit über die Durchsetzungsfähigkeit der Liberalen das schwarz-gelbe Bündnis bereits infrage. "Ich bin mir nicht sicher und würde keine großen Wetten eingehen, dass diese Koalition dieses Jahr überlebt", polterte er. Die Schuld am schlechten Erscheinungsbild wird zunehmend der Bundeskanzlerin in die Schuhe geschoben. Uneindeutigkeit und Führungsschwäche werfen ihr die Liberalen vor. "Guido Westerwelle muss die Kanzlerin zur Aufstellung eines Fahrplans zwingen", forderte Becker. "Irgendwann muss man ihr die Pistole auf die Brust setzen."

Ob eine solche Strategie bei Angela Merkel allerdings Früchte tragen wird, ist äußerst fraglich. Vielmehr wird es deshalb darauf ankommen, ob die FDP-Spitze ihre Versprechen halten kann und Westerwelle mit der Klausurtagung ein kleiner Neustart gelingt. Wenn sich Regierungsarbeit und insbesondere die politische Stimmung für die FDP im Herbst nicht deutlich verbessert, dürfte es eng werden für den Parteichef. Spätestens im Frühjahr 2011 dürfte sich Westerwelles Schicksal dann entscheiden. Denn Ende März ist Wahltag in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt. Da können aus schlechten Umfragewerten verheerende Niederlagen werden. Sollte die FDP dann ein Wahldesaster erleben, wird auch Westerwelles Stunde schlagen.

Quelle: ntv.de

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