Person der Woche Alexis Tsipras - Mister Eurokrise
30.12.2014, 10:59 Uhr
Griechenland steht vor Schicksalswahlen. Der radikale Linken-Führer Tsipras verspricht Geld für alle, droht Deutschland und könnte damit gewinnen. Europa ist schockiert.
Wenn Politiker wirklich Händler in Versprechungen sind, dann ist Alexis Tsipras ein wahrer Handelsgigant - eine Art Verheißungs-Aldi des europäischen Politikbetriebes. Der griechische Linken-Führer verspricht seinen Landsleuten ein schlagartiges Ende der Sparpolitik, eine radikale Schuldenbefreiung, neue Staatsjobs, einen Aufschwung, soziale Wohltaten, steigende Renten und niedrigere Steuern. Kurzum: Freibier für alle.

Der griechische Linken-Führer Tsipras verspricht seinen Landsleuten jede Menge Wohltaten.
(Foto: dpa)
Normalerweise wäre das Programm etwas für sozialistische Märchenabende. Nun aber könnte er damit europäische Geschichte schreiben. Inmitten des laufenden Rettungsprogramms von Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds IWF steht Griechenland vor vorgezogenen Parlamentswahlen - und die linksradikale Syriza-Partei mit Tsipras und seinen Versprechen könnten gewinnen. Strotzend vor Selbstbewusstsein tönt Tsipras bereits, in wenigen Wochen würden die Reformauflagen von EU und IWF der Vergangenheit angehören. Er spricht von einem historischen Tag für die griechische Demokratie. Alle Griechen dürften sich freuen. Das Diktat Europas sei bald vorbei - als seien die helfenden Anderen für die eigenen Schulden verantwortlich, und als könne man Geld einfach herbeibefehlen.
Einiges Entsetzen löst die Aussicht auf einen Tsipras-Wahlsieg daher im Rest Europas aus. An den Börsen macht sich Nervosität breit, die Renditen für griechische Staatsanleihen schießen nach oben, die EU fürchtet eine Rückkehr der Euro-Schuldenkrise und der IWF will vorerst keine weiteren Notkredite mehr auszahlen. In Berlin werden bereits Notfallpläne vorbereitet für den roten Super-Gau in Athen. Denn besonders gegenüber Deutschland sinnt Tsipras auf Vergeltung. Er bezichtigt Merkel und Schäuble, "Südeuropa zu einer Sonderwirtschaftszone und Niedriglohn-Kolonie" machen zu wollen. In einem Interview polemisiert Tsipras: "Frau Merkel und Herr Schäuble haben einen strategischen Plan, der Germanisierung Europas und Kolonialisierung Südeuropas genannt wird."
In Wahrheit ist Griechenland seit 2010 mit zwei Rettungsprogrammen von insgesamt 240 Milliarden Euro im Kampf gegen die Schuldenkrise unterstützt worden. Im Gegenzug verlangt die sogenannte Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und IWF aber Reformen und Sparanstrengungen, die unpopulär sind und zu Einschnitten bei Löhnen und Sozialleistungen führten. Die Reformpolitik beginnt gerade sich auszuzahlen. Es mehren sich die Aufschwungmeldungen, die Haushalte sind so solide wie seit Jahrzehnten nicht mehr und die Menschen schöpfen langsam wieder Vertrauen. Das sieht Tsipras ganz anders, er versammelt die Krisenopfer hinter sich und verkündet: Ministerpräsident Antonis Samaras und dessen Regierung hätten mithilfe der Troika die Gesellschaft in ihrer zweieinhalbjährigen Amtszeit "nur ausgeplündert". Jetzt müsse ein Neuanfang her.
"Recht auf Schuleschwänzen"
Tsipras ist ein lupenreiner Karrierepolitiker und hat zeitlebens nichts anderes gemacht als linke Proteste zu organisieren. Bereits mit 16 Jahren beginnt er seinen Lebensweg als Protestheld: Anfang 1990 führt der Jungkommunist einen Schüleraufstand gegen die konservative Regierung von Konstantinos Mitsotakis an. Wochenlang fällt der Unterricht an öffentlichen Schulen aus. Mit entwaffnender Eloquenz verteidigt Tsipras das "Recht auf Schuleschwänzen". Seine Rednerbegabung und sein Mut, immer wieder Konventionen zu brechen, lassen ihn in der Studentenbewegungen, in Lokalpolitik und schließlich auf nationaler Ebene eine Kaderkarriere machen.
Tsipras weigert sich, Krawatten zu tragen, und avanciert vom Kommunisten zum demagogischen Linkspopulisten, organisiert eine Sammlungsbewegung - und seit Dezember 2010 ist er gar Vizepräsident der Europäischen Linken. 2013 nominierte die Europäische Linke Tsipras als Spitzenkandidat für die Europawahl 2014 und damit zugleich als Kandidat für das Amt des Präsidenten der EU-Kommission. Beim Schlagabtausch aller Spitzenkandidaten in Brüssel sprach er anders als die deutschen Kandidaten, der Sozialdemokrat Martin Schulz und die grüne Ska Keller, in seiner Muttersprache. Kommentatoren in Griechenland spotteten daraufhin: "Ist doch klar, dass der junge Tsipras keine Zeit für Englischunterricht hatte, der hat ja immer geschwänzt."
Doch gerade das Nonkonformistische könnte ihm nun nutzen. In den kommenden Wochen wird sich Tsipras als eine Art Robin Hood der Griechen stilisieren. Dass er mit seiner antideutschen Schuldenschnitt-Strategie Griechenland in die Staatspleite und sein Volk ins Elend treiben könnte, hält er für ein geringes Risiko. Wie ein cooler Pokerspieler setzt er darauf, dass Europa - um Schlimmeres zu vermeiden - den Schuldenschnitt am Ende doch gewähren müsse. Deutschland werde schon zahlen. Man kann das Erpressungsstrategie oder Schulden-Sozialismus nennen. Für Europa wird Tsipras jedenfalls schlagartig zur Personifizierung der Euro-Krise, Teil 2.
Quelle: ntv.de